Atomic: Kunst über Kernforschung

Die Ausstellung "Atomic" füllt ihr Thema zwar nicht aus, wirft aber dennoch spannende Fragen auf

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London - Die Organisation "Arts Catalyst" zeigt in der Gallerie des Imperial College, einer Technischen Hochschule, die Ausstellung Atomic. Die Künstler James Acord, Carey Young und Mark Waller befassen sich dabei mit unterschiedlichen Sensibilitäten mit dem Themengebiet Kernforschung und Nuklearindustrie. Wie schon bei der Konferenz "Eye of the Storm" (siehe TP-Bericht) zeigt Arts Catalyst, offenbar mit einem guten Budget und ebenso guten Intentionen ausgestattet, ein gewisses Ungeschick, was die Plazierung im künstlerischen Kontext anbelangt. War es bei "Eye of the Storm" die oft haarsträubende Arroganz und Ignoranz der Wissenschaftler den neueren Strömungen der Kunst gegenüber, so war es diesmal eine Kette von Faktoren, die dazu führten, daß bei "Atomic" die geplante Kernreaktion nicht zur vollen Entfaltung kam.

So war der Teaser für diese Ausstellung die im Vorfeld kolportierte Nachricht, daß Werke von James Acord zu sehen sein würden, dem weltweit einzigen Künstler mit Lizenz zum Besitz von radioaktivem, spaltbarem Material. Dieser Bezug blieb in der Ausstellung aber weitgehend abstrakt. Zu sehen waren einige Fotos mit James Acord, als er zwölf von der Firma Siemens gelieferte Kisten mit radioaktivem Material in Empfang nimmt. Schauplatz: Hanford, die größte atomare Produktionsstätte in der westlichen Welt und von 1944 bis 1987 Zentrum der Plutoniumproduktion in den USA. Ebenfalls gezeigt wurde eine große Tafel beschriftet mit Formeln aus der Transmutationsphysik, sowie im "Campanile" des Imperial College eine sakrale Inszenierung von gotisch anmutenden Schaukästen, in denen radioaktive Elemente und Isotope dargestellt wurden, keramisch versiegelt und handbeschriftet, wie es etwa ein Spät-Alchemist machen würde.

Der Wink mit dem Zaunpfahl könnte nicht deutlicher sein. Acord bezieht sich auf Alchemie ebenso wie auf gotische Kathedralen. Sein in Planung befindliches Hauptwerk "Monstrance" will eben genau diese Verbindung thematisierten. Auf dem bereits erwähnten Gelände in Hansford, fünf Autostunden von Seattle im Nordwesten der USA gelegen, will Acord ein großes Monument errichten, eine Art Mahnmal für die Zukunft, das über den atomaren Wahnsinn des 20.Jahrhunderts Auskunft gibt. Was dabei für strikte Umweltfreunde sicherlich ein Schlag ins Gesicht sein wird, ist, daß dieses Werk selbst radioaktiv ist, in seinem Inneren werden die von Siemens gelieferten Brennstäbe noch Jahrtausende mit der kontaminierten Umwelt von Hanford um die Wette strahlen.

Als Ausstellungsbesucher sollte man natürlich ob der schieren Monumentalität des Vorhabens und seiner tatsächlich einzigartigen Konzeption vor Ehrfurcht erschauern. Es kann noch Jahrzehnte dauern, bis Acord sein Vorhaben eventuell verwirklichen kann, und es ist fraglich, ob es jemals verwirklicht werden wird. Doch als Ausstellungsbesucher - jene notorischen Gegenwartsmenschen, die an einen Ort kommen, um mit Augen, Ohren und eventuell weiteren Sinnen "Kunst" aufzunehmen - war die Reaktion eher ein Achselzucken als die gebotenen Ehrfurchtsschauer. Als "Kunst" im eigentlichen Sinn wurde einfach zuwenig geboten. Die Fotos von Acord in Hanford, sowie die Kreidetafel und das Original seiner Lizenz zum Umgang mit spaltbarem Material verwiesen auf den Prozess des Langzeitprojekts "Monstrance". Seine gotischen Alchemistenkästen sahen mehr nach einem Alibi-Kunstobjekt aus, als nach einem wirklich essentiellem Beitrag und liessen überdies höchstens Zweifel aufkommen, ob auch Monstrance aus solchen Mit-der-Faust-aufs-Auge Verweisen auf Alchemie, Christentum und Nuklear-Mystik bestehen würde.

Carey Young bei der Vernissage

Die weiteren Beiträge konnten James Acord da nicht wesentlich unter die Arme greifen. Carey Young zeigte auf Aluminium aufgezogen Fotoarbeiten, überwiegend von einer Reise in die post-sowjetischen Zentren der GUS-Raumfahrtindustrie, sowie aus der Transitstadt Milton Keynes. Ganz abgesehen davon, daß hier Äpfel mit Birnen vermischt wurden, bestätigte sich leider, daß Young zwar eine sehr smarte Künstlerin ist, die immer an aktuelle und spannende Diskurse anzuschließen vermag, in ihren Fotoarbeiten aber über eine gewisse glatte Ästhetik nicht hinauskommt. Das Resultat einer sicherlich aufschlußreichen Recherchereise durch die Raumfahrtzentren postsowjetischer Staaten erschien zu sehr von Galeriekunstkalkül getragen, um wirklich vertiefende Assoziationen herzustellen. Und Air Mosaic, YoungŽs Milton Keynes Projekt, bei dem sie Verbindungen zwischen Architektur, Information Superhighway, Web- und Fotoarbeiten herzustellen versucht, das ist eigentlich eine ganz andere Story, die in der "Atomic" Ausstellung wenig zu suchen hatte, und die einen eigenen, exklusiv dem Thema gewidmeten Rahmen verdienen würde.

Mark Wallers Beitrag schließlich, der 16mm Film "Glow Boys" (15 min.), leidet am Dilemma der meisten Künstlerfilme, die sich an einer Spielfilm-Form versuchen. Das Getue von Schauspielern und die filmische Umsetzung sind viel zu amateurhaft, um wirklich ein Identifikationsmoment auslösen zu können, was wiederum die Grundlage wäre, um irgendeine Botschaft vermitteln zu können. Die Story von den Wissenschaftlern im Atomkraftwerk, die nebenbei auf die Jagd nach mutierten Zombies gehen müssen, versackt in gewollter oder ungewollter B-Picture meats zeitgenössisches Fernsehspiel Banalität. Auch ein grantig krächzender Mark E.Smith, Gründer der Aushängeschild-Punkband The Fall, als "The Caterer" in diesem Kurzdrama, kann daran nicht viel ändern.

So ließe sich als verbindende Aussage über die Ausstellung sagen, daß Konzept und Kontext zwar weitere Aufmerksamkeit verdienen, die zur Schau gestellten Realisierungen einen aber höchst unbefriedigt zurück ließen. Doch das sollte nicht als die übliche Mäkelei an einer zu "unsinnlichen" Konzeptkunst mißverstanden werden. Vielmehr geht es um etwas Grundlegenderes. Wenn man Atomic als Beispiel nimmt, kann der Verdacht aufkommen, daß Kunst, die sich solcher Themen annimmt, von einer gewissen sprachlichen Determiniertheit nicht los kommt. Daß nicht nur zur Rezeption dieser Kunst eine ganze Menge sprachlicher Vermittlung notwendig ist, sondern daß auch die Werke selbst gewissermassen am zuvor formulierten intellektuellen Konzept kleben, daß ihre Realisation mehr eine Illustration oder Dokumentation von Gedankengängen ist, als eine eigenständige künstlerische Dimension zu eröffnen.

"Cyberspace [...] offers more of a slip slippage backwards than a leap forwards, suggesting that a return to rationality and high modernity might be imminent...", wird Cary Young im Katalog, durchaus im Sinn der oben geäußerten Kritik, zitiert.

Katalogautor James Flint

Um damit zum eigentlichen Star der Ausstellung, dem Katalog, zu kommen. Dieser ist ein kleines Büchlein von 48 Seiten, das neben den in der Ausstellung gezeigten Fotos weiteres Bildmaterial enthält, sowie, als sein Herzstück, einen Essay von James Flint mit dem Titel "The Bright Tunnels of Alchemy, the Dark Lights of Science". Darin beschäftigt er sich vorwiegend mit dem Werk von James Acord, die anderen beiden Künstler eher wie eine lästige Pflichtaufgabe auch noch mit nehmend. Informativ und solide recherchiert, zeigt Flint den wissenschaftlichen SuperGAU auf, den die Nuklearindustrie verursacht hat. Wie die Kernforschung nämlich, in der Stimmung des Kalten Krieges und unter einer militärischen Supermachtdoktrin aus den freien Wissenschaften ausscherte und um die abgeschirmten Atombombenbauer herum ein Staat im Staat, der Nuklearkomplex geschaffen wurde. Dieses Vermächtnis, welche Auswirkungen es auf die Zivilgesellschaft hatte und hat, bildet den eigentlichen thematischen Kern von Atomic. Flint geht dabei soweit, davon zu sprechen, daß diese Strukturen sich nun in einer Abbruchs- und Öffnungsphase befinden würden. Und sicherlich, ganz programmgemäß ist auch "Atomic" ein Beitrag in dieser Debatte, der Zivilisierung der Atomenergie. Doch tausende nach wie vor scharfer Atomsprengköpfe auf Interkontinental- und Mittelstreckenraketen sprechen eine andere Sprache.

Es ist also mehr als nur gerecht, daß das Hohepriestertum solcher und anderer High-Tech-Bereiche, die aufs engste mit den Sicherheitsinteressen von Staaten verbunden sind, einem demokratisierenden Diskussionsprozess ausgesetzt wird. Doch ob die Lösung von der Wissenschaftsreligion im Sprung nach vor zurück besteht, zu einer wiedervereinigten alchemistischen Dreieinigkeit von Kunst, Wissenschaft und Religion, ist auch höchst fragwürdig. Dieses alchemistische Gebrabbel, von dem auch Flints Essay nicht ganz frei ist, bläst doch nur ins esoterische Horn, wonach eh schon immer alles dagewesen sei und wir nur die alten Schirften besser zu lesen hätten. Das entspräche dem berühmt berüchtigen Mummenschanztheorem, wonach auf eine Verkleidung nur die andere folgt. Doch Flint ist sich solcher Gefahren gewahr und endet seinen Essay in kritischen Tönen:

"The Siames Twins of Nuclear and Space Technologies can no longer be looked at in isolation from the consumer-capitalist project in which the equations and slide-rule models of the post war years have not withered away but rather have matured into the advertising classifications and neuro-linguistic programming practices that define and delimite contemporary life".

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