Auf dem Weg in den Maschinenpark

Rezension Friedrich Kittler: Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft

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Der Berliner Professor Friedrich Kittler ist ein Ikone des deutschen medientheoretischen Diskurses. Er ist dauerpräsent auf den einschlägigen Symposien, nicht immer zur Freude seiner Zuhörer, denen ob seiner passionierten Vortragsweise schon auch das Vertrauen in die eigene Rezeptionsfähigkeit abhanden kommen mag. (siehe auch Kritik der Interface V) Dabei ist Kittler ein ebenso gewitzter wie ironischer Vortragender, bei dem es immer wieder blitzt, während ein mit Militärmetaphern durchtränkter informationstheoretischer Materialismus durchdekliniert wird.

Friedrich Kittler, vorlesend

Nun hat Kittler ein neues Buch vorgelegt, das er aber nicht geschrieben hat; vielmehr hat er Geschriebenes in Vorlesungen vorgetragen und dann abdrucken lassen. Leserinnen und Leser haben also die Chance, ihn als Vortragenden zu erleben, ohne frustriert weglaufen zu müssen. Und die Lektüre von Kittlers Vorlesungen über die Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft verbindet sich durchaus mit intellektuellem Gewinn. Mit Medien hat dies sofern zu tun, als Kulturwissenschaft, ebenso wie die Ästhetik, ohne ihre mediale Vermittlung heute wohl nicht mehr denkbar ist.

Die erklärte Absicht, "der Kulturwissenschaft das Verenden in Kulturmanagement zu ersparen", führt zu einer Rekonstruktion kulturwissenschaftlicher Ansätze unter Bedingungen von Technologie und Mathematik, beginnend mit Philosophen vor Hegel und endend mit Philosophen nach Hegel, wobei - Sie werden's erraten - das Hauptaugenmerk auf den Berliner Professor Hegel gelegt wird. Zwischen Giambattista Vico und Martin Heidegger erfährt man einiges an Theorie und Anekdotischem zur Frage nach der Möglichkeit von kulturwissenschaftlicher Erkenntnis, die sich auf die von Menschen selbst geschaffene historische oder kulturelle Welt bezieht.

Kittler ist am Strukturalismus geschult und hat im deutschen Diskurs eine wichtige Position gegen die Hermeneutik entwickelt - es geht ihm um die "Schaltungen" und nicht um das "Verstehen" von medialen Inhalten. Für die Kulturwissenschaft heißt das: weg von der Ideengeschichte und hin zu den Kontexten, um zu zeigen, was die Ideen strukturiert hat und wie Kultur von technischen Systemen durchdrungen ist.

Ob es Kittler gelingt, diesem theoretischen Anspruch in den einzelnen Vorträgen nachzukommen, kann diskutiert werden. Die Kontextualisierung läuft oft auf die berüchtigte philosophische Hintertreppe hinaus, die den Denker auch als Menschen vorführt. Kittler bleibt dabei nicht stehen, wobei die Andeutung einer "Kulturgeschichte, die Siliziumchips und Computerhardware nicht mehr systematisch ausschließt" freilich etwas kryptisch bleibt. Polemisch wehrt sich der Autor gegen den in der Kulturwissenschaft anscheinend unmöglich gewordenen Gesellschaftsbegriff und gegen allerhand "soziologische Einverleibungen".

Nun verwundert es, dass die mit vielen militärgeschichtlichen Anspielungen versehene Rekonstruktionsarbeit - immer wieder mit grandiosen Einfällen wie dem, das Freudsche Unbewusste stehe "grundsätzlich für noch unbegriffene Maschinenparks" - letztlich bei Heideggers "absichtsvoller Alltäglichkeit" endet, also mit 1945 abrupt abbricht. Die vom Vorlesenden unter Linux (wie bedeutsamerweise vermerkt wird) nachgeschriebenen Texte lesend, erfährt man auch warum das Ganze ein Torso geblieben ist: der "kriegsentscheidende Computer" habe eben auch gezeigt, "dass Strukturen mächtiger sind als Gründungsakte" und damit das Ende der großen Kulturpolitik gebracht, "die als Gigantenkampf um die Wesenheiten den Geschichtsablauf selber umstürzen zu können glaubte".

Mit anderen Worten: angesichts einer umfassend gewordenen Mathematisierbarkeit der Welt ist auf dem Weg von den Göttern zu den Menschen zu den Maschinen die Rede von einem geschichtsphilosophischen Subjekt, inklusive des kulturellen Bildungs- und Aufklärungsprojektes, obsolet geworden. Fast scheint, als würde angesichts dieses Fatalismus die Aufgabe einer rhetorischen Fassung der sich abzeichnenden Ununterscheidbarkeit einer Wissenschaft von der Natur und einer von der Kultur dem Autor als zu hoch gegriffen sein. Dass dieser Schein trügt, diese Erwartung darf und soll man an Kittler herantragen. Einstweilen hält er es mit der hier vorgelegten Rekonstruktion für ausgemacht, dass diese sich anbahnende "Kulturnaturwissenschaft" nicht zu Cultural Studies amerikanisiert werden muss, um als Wissenschaft zu dauern.

Friedrich Kittler: Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft. Fink Verlag 2000