Auf den Beifahrer kommt es an

Verkehrsuntersuchung spricht von Schicksalsgemeinschaft

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Kritik am Fahrstil kann kaum ein Autofahrer vertragen, schließlich fühlen sich die meisten als Herr im eigenen Auto. Ist allerdings ein Beifahrer dabei, kann dies schon mal ein Besserwisser sein, der durch sein Verhalten auf den Fahrer einwirkt. Ob Beifahrer das Unfallrisiko erhöhen oder zur Sicherheit beitragen, ist man in der Uniroyal-Verkehrsuntersuchung: Eine Untersuchung über die psychologischen und soziologischen Aspekte des Zusammenspiels von Fahrer und Beifahrer nachgegangen.

Schicksalsgemeinschaft Auto

Kaum zu glauben, aber in bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen ist man tatsächlich meist davon ausgegangen, dass ein Beifahrer hauptsächlich in der Rolle des einfach nur Mitfahrenden zu sehen ist. Man befasste sich daher eher mit deren Leiden. Der Mitfahrer hat jedoch nicht nur einen entscheidenden Einfluss auf den Fahrstil und auf die Atmosphäre im Auto, sondern auch auf die Sicherheit. Aus diesen Gründen sei es wünschenswert, wenn das "sichere, konfliktfreie und angenehme Miteinander im Auto" geübt würde, schreiben die Autoren der Studie, Dieter Ellinghaus und Bernhard Schlag.

Um eine Schicksalsgemeinschaft handelt es sich, weil beide Fahrinsassen im Straßenverkehr potenziell gefährdet sind, um eine Verhaltensgemeinschaft, weil das Zusammenfahren in einem Auto von einer Vielzahl von Interaktionen und Konflikten begleitet wird. Nicht umsonst wird vom Beifahrersitz oft auch als "Todessitz" gesprochen. Die Studie zeigt, dass der Beifahrer eine hohe Verantwortung für das gemeinsame Schicksal bei der jeweiligen Autofahrt mitträgt.

Ein Teil der unangenehmen Verhaltensweisen von Beifahrern ist in deren Ängsten begründet, denn als Mitfahrende sind sie ausschließlich zu einem passiven Verhalten verurteilt und den Fahrkünsten des Fahrers ausgeliefert. Besonders der Mitfahrer, der den Fuß ständig auf dem imaginären Bremspedal hat, kann den Fahrstil des Fahrenden nicht akzeptieren. Die Angst steigt, wenn sich das Fahrzeug in einem offensichtlich schlechten Zustand befindet. Je seltener die Fahrgäste Mitfahrer sind, umso höher wird die Angst beim Fahren empfunden. Besonders unangenehm wird rasantes Fahren, wie Kurvenfahrten, dichtes Auffahren, scharfes Bremsen oder knappes Überholen auf Landstraßen empfunden. Mehr als zwei Drittel haben "Schiss", wenn der Fahrer leicht alkoholisiert ist.

"Dieses Ergebnis spiegelt nicht zuletzt die Tatsache wider, dass Alkohol am Steuer in der Öffentlichkeit als Unfallursache vielfach überschätzt wird. So herrscht verbreitet die Meinung, Alkohol sei die Unfallursache Nummer eins. Wie die amtliche Unfallstatistik zeigt, ist dies keineswegs richtig, Alkohol rangiert als Unfallursache auf Platz sechs."

Nur für die jungen Beifahrer liegt im rasanten Fahrstil des Fahrers ein Fahrspaß. Ob ein Führerschein vorhanden ist oder keiner, spielt bei ihren empfundenen Ängsten keinerlei Rolle.

Der Beifahrer wird durch seine Querelen zur Belastung für den Fahrer und zum Gefährdungspotenzial für den gesamten Straßenverkehr. Dennoch empfinden viele Fahrer den Beifahrer nicht ausschließlich als belastend. In der Regel ist er sogar erwünscht, nur 3% fahren grundsätzlich und unter allen Umständen lieber allein. So fahren viele in ihrer Freizeit bevorzugt in Begleitung, Männer am liebsten mit gleichaltrigen Freunden, Frauen mit ihren Freundinnen und den Kindern. Selbst Anhaltern wird wohl wollend begegnet, wenngleich die Bereitschaft, einen Anhalter mitzunehmen, allerdings im Alter abnimmt: Sieben von zehn älteren Fahrerinnen und Fahrern nehmen grundsätzlich keine Anhalter mit.

Die Verkehrssicherheitsforschung weiß, dass der Einfluss des Mitfahrers auch positive Effekte haben kann. Aus dem sonst mit Vollgas auf der Autobahn rasenden Vertreter wird am Wochenende oder im Urlaub der aufmerksame, rücksichtsvolle, vorsichtige und vorschriftsmäßig fahrende Familienkutscher. Der Effekt verstärkt sich, wenn Kinder, ältere Personen oder Lebenspartner mitfahren. Studien aus den Vereinigten Staaten belegen, dass das Unfallrisiko um 50 Prozent sinkt, wenn ein Mitfahrer vorhanden ist. Für Deutschland gehen die Wissenschaftler nur von einem verringerten Risiko von 15 Prozent aus. Einer der Hauptgründe für diese großen prozentualen Unterschiede sehen die Forscher offensichtlich bei jüngeren Alleinfahrern und Mitfahrern, die sich bei uns risikobereiter in den Straßenverkehr begeben. Hier kann es eher zu einem Umkehreffekt der positiven Einflussgröße von Mitfahrern kommen.

Im Auto-Team kann es aber auch verteilte Rollen geben, so kann sich der Beifahrer zum Beispiel um die Navigation und die Bedienung von Radio oder anderer Geräte kümmern sowie den Fahrer auf potenzielle Gefahren aufmerksam machen. In dieser aktiven Mitfahrrolle wird jeder Beifahrer als willkommen empfunden. Jedoch zeigt die Praxis, dass es eben genau an dieser Kooperation mangelt und die Mitfahrer lieber aus dem Fenster gucken oder vor sich hindösen.

Der aktive Beifahrer

Dabei muss man in Zukunft dem Beifahrer eine größere Rolle zubilligen, wenn man die Ergebnisse einer weiteren Studie der Universität Ulm berücksichtigt. Hier kommen die Wissenschaftler zu dem dramatischen Ergebnis, dass das Gehirn beim Fahrer weniger aktiv ist als das des Mitfahrenden. Auch bei ansteigender Geschwindigkeit, so konnten die Wissenschaftler nun nachweisen, gebe es keine verstärkten Aktivitäten in den kortikalen Bereichen. Die Aktivität wichtiger kortikaler Areale nahm bei steigender Geschwindigkeit sogar ab. Die Ulmer Wissenschaftler liefern eine überspitzte Interpretation der Forschungsergebnisse gleich mit:

"Je schneller man fährt, desto weniger sollte man nachdenken. Man sollte vielmehr reflexhaft und automatisch reagieren. Da die vergleichsweise langsamen, im Frontalhirn stattfindenden Denkvorgänge ungeeignet sind für automatisch ablaufende schnelle Prozesse, verlieren sie mit zunehmender Geschwindigkeit immer mehr an Einfluss auf die Informationsvorgänge beim Fahren."

Man könnte es auch so ausdrücken, je schneller ein Proband fährt, umso eindimensionaler werden seine Gehirnströme, weswegen er nicht in der Lage ist, seine Umwelt in all ihren Facetten wahrzunehmen oder kompliziertere Gedanken auszutauschen.

Empfehlungen

Die Uniroyal-Studie zeigt deutlich auf, dass es ein Umdenken in der Rolle des Fahrers als auch des Mitfahrers geben muss. Nicht der Fahrer ist "Herr der Situation" und im Auto, sondern eine Fahrgemeinschaft bildet ein Team. Diesen Teamgeist zu fördern, wird vor allem Aufgabe der Fahrschulen sein, denn in Deutschland muss man bekanntlich nicht automatisch zur Nachschulung, wenn man einmal seinen Führerschein erworben hat. Eine neue Schulung ist erst dann nötig, wenn man sich äußerst auffällig im Verkehr verhalten hat.

Im Prinzip führt die Anwesenheit von Mitfahrern zu einer Senkung des Unfallrisikos, was allerdings nicht generell gilt, für junge Fahrer wirken sich gleichaltrige Beifahrer als risikosteigernd aus. Mit einem Alter von spätestens 30 Jahren kehrt sich dieser Trend um. Vielen Beteiligten sei der positive Effekt allerdings nicht bewusst:

"Versucht man, aus all diesen Erkenntnissen ein Resümee zu ziehen, dann gilt, dass der Sicherheitsbeitrag, den Beifahrer liefern könnten, mangels unzureichender Kenntnisse der Beteiligten keineswegs ausgeschöpft ist, und dass für diejenigen Konstellationen, in denen Beifahrer risikosteigernd wirken, verstärkt Konzepte entwickelt werden sollten, die diesen Gefahren entgegen wirken."

Um den Umgang zwischen den Beteiligten zu verbessern, haben die Wissenschaftler in ihrer Untersuchung daher auch jeweils 10 Empfehlungen "Zum sicheren, konfliktfreien und angenehmen Miteinander" formuliert. So soll der Fahrer seine Fahrweise den Bedürfnissen seiner Mitfahrer anpassen, Kritik akzeptieren, emotional aufgeladene Diskussionen vermeiden, sich nicht zu einer Fahrweise animieren lassen, die ihn überfordert.

Auch für den Beifahrer haben die Wissenschaftler ein paar Empfehlungen im Umgang mit dem Fahrer parat. So soll er die Kompetenz des Fahrers nicht in Frage stellen und Kritik am Fahrstil vermeiden. Angst und Unbehagen sollten nicht gezeigt und jeglicher Streit im Auto vermieden werden. Lärm sollte unterlassen werden und die Autoradio-Lautstärke sollte sich nach den Bedürfnissen des Fahrers richten. Der Fahrer sollte keinem Stress oder Zeitdruck ausgesetzt werden und ein Lob kann nie schaden. Der Beifahrer kann aktiv beim Fahren helfen und zum Beispiel die Navigation übernehmen, jedoch sollte der Beifahrer immer als aktiver Partner im Auto sitzen und auf wahrgenommene Gefahren aufmerksam machen. Ein müder Fahrer hat nichts am Lenkrad zu suchen, der Beifahrer trägt dafür mit die Verantwortung und hat einzugreifen.

Fahren nur mit Partner

Sowohl die Empfehlungen für den Fahrer als für den Mitfahrer zeigen, dass Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick erforderlich sind. Doch ohne Teamgeist sollte es in Zukunft nicht mehr auf die Straße gehen.

Für die müden Alleinfahrenden wird es in Zukunft vielleicht einen virtuellen Beifahrer geben, der den Fahrer durch Gespräch auf Schläfrigkeit untersucht und Gegenmaßnahmen einleitet (HALs kleiner ADAC Freund). Vom Spritzer Wasser, über das Herunterfahren der Scheiben bis zum schrillen Alarmton verfügt der virtuelle Beifahrer über geeignete Gegenmaßnahmen, um den Fahrer wieder auf Vordermann zu bringen. Natürlich werden abgestufte Schritte eingeleitet, so beginnt der Computer wohl erst einmal den Sender am Autoradio zu verstellen oder die Lautstärke zu erhöhen, um nicht gleich einen einnickenden Fahrer einen solchen Schrecken einzujagen, dass er dadurch in den Graben fährt.