Aufbruch in die Informationsgesellschaft

Zum Leitantrag des SPD Parteivorstandes

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In Hamburg hatte sich die SPD unter Voscherau verkalkuliert. Innere Sicherheit ist kein Thema, bei dem die Sozialdemokraten Erfolge einheimsen können. Gezeigt hat sich allerdings, daß die Besetzung eines von der Bevölkerung vermeintlich gewünschten Themas zum Selbstläufer wird und nach hinten losgeht. Sicherheit hat stets mit Angst zu tun - und wenig mit Zukunft. Richtig ist daher sicherlich, daß der SPD Parteivorstand derzeit eine Flut von Leitanträgen hervorbringt, die demonstrieren sollen, daß die SPD nicht so verkrustet ist wie die Regierungskoalition, aus der wenig Visionen für die Zukunft Deutschlands kommen. Die Gewinne der CDU und der DVU in Hamburg demonstrieren vielmehr, daß die Bereitschaft groß ist, mit altbewährten Instrumenten und Konzepten weiterzumachen und das Risiko der Veränderung nicht einzugehen.

Derzeit jedenfalls scheint die SPD ganz auf Innovationen zu setzen, ein Wort, das zwar oft wenig sagt, dafür aber etwa im Leitantrag Innovationen für Deutschland fast in jedem Satz vorkommt. Mit der SPD soll es an der "Schwelle zum 21. Jahrhundert" einen "Aufbruch nach vorne" und "Innovationen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft" geben. Forschung und Entwicklung, Ausbau des Dienstleistungssektors, Flexibilisierung der Arbeitsorganisation, Modernisierung des Staates als Dienstleister und "ökologische Modernisierung" sowie Bildung und Medienkompetenz - die "Schlüsselressource für die Ökonomie des 21. Jahrhunderts" - haben Priorität. Selbst die Bio- und Gentechnologie soll "verantwortlich" entwickelt werden. Wie das genauer aussehen und finanziert werden soll, bleibt freilich über viele Gemeinplätze des guten Willens hinaus noch ein Geheimnis. Auf jeden Fall soll ein "neuer Konsens" für eine "neue Sozialstaatlichkeit" - aber nicht zu radikal, denn die bisherigen "Grundstrukturen" will man erhalten - gefunden werden, die mehr auf Selbständigkeit und Freiwilligkeit setzt und irgendwie "Individualität und Solidarität" nach dem modischen kommunitaristischen Muster verknüpft.

Wir sind die politische Kraft, die die zukunftsweisenden Ideen hat und den erforderlichen Konsens zu stiften vermag.

Leitantrag Informationsgesellschaft

Jetzt wurde von Wolfgang Thierse, Wolfgang Clement, Edelgard Bulmahn, Wolf-Michael Catenhusen und Reinhard Klimmt der Leitantrag Von der Utopie zur Wirklichkeit: Aufbruch in die Informationsgesellschaft der Öffentlichkeit präsentiert. Mit großen Worten wird der Übergang zur Informationsgesellschaft als totale Veränderung des gesellschaftlichen Lebens bezeichnet. Alles werde sich "nachhaltig" verändern. Deutschland falle im globalen Markt der Medien und Telekommunikation immer weiter zurück. Um die Innovation hierzulande zu steigern und neue Arbeitsplätze zu schaffen, will man ganz neoliberal die "Modernisierungshemmnisse" beseitigen und die "Marktkräfte" freisetzen.

Staatliche Regulierung soll weitestgehend reduziert werden und nur dann einsetzen, wenn die Selbstkontrolle versagt. Wirkungsvoller Verbraucher-, Persönlichkeits-, Jugend- und Datenschutz soll geschaffen und Urheber- sowie Leistungsschutz gesichert werden. Hier vermißt man allerdings genauere Hinweise. Klar ist jedenfalls, daß die SPD, um ein "Informationsproletariat" zu verhindern, an einem "wettbewerbsfähigen öffentlich-rechtlichen Angebot" festhält und einen "leistungsfähigen Universaldienst" (mit einem flächendeckenden und bezahlbaren Netzzugang, öffentlichen Zugangsstellen, einem "Bildungstarif" etc. ) einrichten will.

Vor dem Hintergrund der Multimedia-Evolution ist es eine herausragende Aufgabe der sozialdemokratischen Medien- und Telekommunikationspolitik, Märkte zu öffnen, die Marktkräfte in bestmöglicher Weise zu dynamisieren und die Innovationsgeschwindigkeit der Medien- und Telekommunikationswirtschaft zu erhöhen.

Leitantrag Informationsgesellschaft

Radikaler als beim Leitantrag "Innovationen für Deutschland" wird hier die Veränderung der Arbeitswelt betont. Bis Mitte des nächsten Jahrhunderts sollen an vier von fünf Arbeitsplätzen "Informationsarbeit" stattfinden, weswegen Bildung und vor allem Medienkompetenz ganz entscheidend werden. Die Autoren betonen jedoch auch, daß Arbeit in der Informationsgesellschaft überwiegend selbständige Arbeit sei. "Wir wollen dazu beitragen, ein gesellschaftliches Bewußtsein zu erzeugen, das in der beruflichen Selbständigkeit zuerst die Chance und nicht das Risiko erblickt." Gefördert soll vor allem die Vermehrung von Telearbeitsplätzen werden, wobei für die "Auftraggeber-/Auftragnehmerbeziehungen" arbeits- und tarifrechtliche Probleme sowie Vorkehrungen zur sozialen Absicherung geschaffen werden müßten. Man will sich also vom Bild des festen Arbeitsplatzes und des Arbeitnehmers trennen.

Innerhalb von fünf Jahren sollen durch eine umfassende "Bildungspartnerschaft" öffentlicher Institutionen und privater Firmen alle Bildungseinrichtungen mit der erforderlichen Infrastruktur und Netzanschlüssen, Computern sowie Software ausgestattet und Telelearning gefördert werden. Dazu will man eine "Medienkompetenzoffensive" starten. Natürlich stehen auch hier neben Bildung Forschung und Entwicklung im Mittelpunkt, die wieder stärker vom Staat gefördert werden sollen. Ökologisch entstehen zwar durch die Computerisierung neue Umweltprobleme, die aber durch die Vorteile - sparsamer Verbrauch von Ressourcen und Energie, Optimierung von Produktionsprozessen oder Einsparung von Fahrten - mehr als aufgewogen würden. Politisch sollen "offene, interaktive Strukturen" gefördert, die Behörden ihre Dienste mehr ins Netz stellen und die "elektronische Demokratie" ausgebaut werden.

Interessant wird sicher, wie weit diese Absichtserklärungen schließlich verwässert und vor allem konkretisiert werden. Langsam scheint sich die SPD in der Nachfolge der Labour-Partei aus ihrem traditionellen Wertekanon lösen zu wollen, denn alles verändert sich, wie gesagt, durch den Übergang in die Informationsgesellschaft. Sollte sich die SPD tatsächlich als "Innovationspartei" etablieren und darstellen können, wäre das sicher ein besserer Weg als auf die Ängste vor Europa, vor den Ausländern oder vor der Kriminalität zu setzen. Noch allerdings sind die Absichten blaß und ist die wirkliche Alternative nicht recht erkennbar. Wie man Flexibilisierung, freien Markt, neue Selbständigkeit mit Sozialstaat und gesellschaftlicher Solidarität zusammenbringt, ist nicht wirklich erkennbar. Und wie all die Offensiven bei einem noch weiterhin sinkenden öffentlichen Haushalt finanziert werden können, bleibt auch dunkel. Von der Utopie freilich ist in diesem Leitantrag nichts mehr zu spüren. Schafft ein Anpassungsprogramm aber für die Menschen Lust an der Zukunft?