Aufschub für Polen

In der Krise um das Verfassungsgericht hat die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) den scharfen Ton etwas zurückgenommen

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Nach einer Unterredung mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der EU-Kommission Frans Timmermanns erklärte die Ministerpräsidentin Beata Szydlo in Warschau, dass "die Regierung eine Lösung angeboten wird, die das Parlament annehmen kann". Es würden alle Bedingungen erfüllt, die den Streit um das Verfassungsgericht beenden würde.

Die seit November regierende "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) hat das Verfassungsgericht mittels Gesetz marginalisiert, dieses bezeichnet die Novellen als verfassungsfeindlich und erkennt sie nicht an. Die Ministerpräsidentin Beata Szydlo weigert sich ihrerseits bislang, die Richtersprüche zu veröffentlichen.

Konkrete Schritte wurden am Dienstag nicht genannt, die regierungsnahe Zeitung "Rzeczpospolita" twitterte jedoch, dass drei Richter in das Verfassungsgericht aufgenommen werden sollen, die von der damaligen Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) nominiert worden sind und die die PiS bislang blockiert.

Szydlo war große Nervosität anzumerken, sie stockte mehrmals. Die Regierungschefin gilt als von PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski abhängig, der bereits erklärt hat, er könne sie jederzeit abberufen.

Die EU-Kommission hat bereits im Januar gegen Polen ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren aufgrund der Eingriffe in das Verfassungsgericht und die staatlichen Medien eröffnet (Polen: Pathos verhindert Sachgespräch in Straßburg). Frans Timmermans hatte in der vergangenen Woche der polnischen Regierung ein Ultimatum gestellt. "Erhebliche Fortschritte" sollte die polnische Regierung in der Krise um das Verfassungsgericht bis vergangenen Montag vorweisen. Polen kann bei Ende des Rechtsstaatlichkeitsverfahrens das Stimmrecht im Europarat entzogen werden.

Doch das Ultimatum bewirkte an der Weichsel vor allem Trotz. "Nicht Polen hat ein Problem mit seiner Reputation, sondern die EU-Kommission", so die Replik der Premierministerin Beata Szydlo am vergangenen Freitag.

Auch die Opposition traf sich am Dienstag zu Unterredungen mit Politikern der Regierungspartei. Der Chef der Bürgerplattform, Grzegorz Schetyna, sah in dem Besuch von Timmermans "keinen Durchbruch". Die Urteile des Verfassungsgerichts müssten veröffentlich werden, darauf beharre seine Partei.

Frans Timmermans erklärte, die EU-Kommission werde beide Seiten im Lösen des Konflikts unterstützen. Der holländische Politiker traf sich auch mit Andrzej Rzeplinski statt, dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, der als Gegenspieler Jaroslaw Kaczynskis gilt.

Die Entscheidung über das Ende des Konflikts muss nun im polnischen Sejm gefällt werden. Eine Woche Zeit verbleibe. Sollte es zu keinem Ergebnis kommen, wird Timmermans eine Beurteilung abgeben, wonach Brüssel Warschau konkrete Rechtsbelehrungen zuschicken kann.

Dem Konflikt liegt auch ein Kulturunterschied zwischen West- und Osteuropa zugrunde. In Polen lässt sich an einem Vertrag oder einer Vereinbarung immer wieder etwas ändern. Von großer Bedeutung ist die emotionale Übereinstimmung der Verhandlungspartner. Das berüchtigte polnische "Nachverhandeln" wird hingegen in westlichen Kreisen nicht akzeptiert, während eine Druckkulisse in Polen nicht gut ankommt.

Sowohl die EU-Kommission wie die polnische Regierung haben jedoch gute Gründe, den Konflikt hinauszuzögern. Demnächst steht die Brexit-Entscheidung ins Haus und eine zu starke Maßregelung Polens würde die EU-Skeptiker nur befeuern. Auch für das Flüchtlingsproblem ist die europäische Einheit notwendig. Für Polen stehen im Juli zwei prestigeträchtige Veranstaltungen an, bei der die internationale Öffentlichkeit beeindruckt werden soll: der NATO-Gipfel in Warschau sowie der Weltjugendtag mit Papst Franziskus in Krakau.