Ausweitung der Kampfzone

Dark Void

Der Shooter "Dark Void" will neue Maßstäbe setzen - mit einem "vertikalen Kampfsystem"

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Immer mehr Action-Games dehnen ihren Erlebnisraum in die Vertikale aus. In schwindelnder Höhe darf der Spieler nach Herzenslust klettern, hangeln, springen und ballern. Doch allzu oft entpuppt sich das Gameplay als langweilige Turnübung. "Dark Void" will es besser machen als seine Vorgänger.

Wie kaum einem anderen Videospiel gelingt es dem Third-Person-Shooter Uncharted 2, ein Gefühl von Tiefe zu vermitteln. Schon in der ersten Szene hängt die Spielfigur Nathan Drake an der rückwärtigen Plattform eines verunglückten Eisenbahnwaggons, der senkrecht über einem Abgrund baumelt. Das Ganze erinnert nicht von ungefähr an eine Szene aus Goldrausch, in der sich Charlie Chaplin aus einem abrutschenden Blockhaus retten muss. In Uncharted 2 hangelt sich der Spieler mühsam an dem Eisenbahnwaggon nach oben, droht immer wieder abzustürzen und erreicht erst im allerletzten Moment die rettende Klippe, während der Zug in die Tiefe donnert.

In seinem Höhenrausch ist Uncharted 2 allerdings keineswegs ein Einzelfall: In den letzten Jahren hat vertikale Mobilität in 3D-Action-Titeln kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Das Grundprinzip ist zwar nicht neu - man denke nur an die Trampolin-Orgien in Quake 3 Arena. Doch mit den immer leistungsfähigeren Grafikchips sind auch in "tiefen" Levels hohe Detailgrade und komplexe Strukturen möglich. Das trifft nicht nur auf klassische Open-World-Games wie GTA IV oder Assassin's Creed 2 zu, sondern auch auf lineare Action-Titel wie Mirror's Edge oder Bionic Commando.

Dark Void

Je nach Spiel erfüllt die Vertikale ganz unterschiedliche Zwecke: In Mirror's Edge rührt der Nervenkitzel meist aus der schieren Höhe, in der die Protagonistin Faith ihre Sprünge und Klettereien vollführt. In Batman: Arkham Asylum hingegen ist die Höhe vor allem ein taktischer Vorteil - Batman schwingt sich lautlos über die Köpfe der Feinde, um im richtigen Moment hinabzustoßen. In Prototype und InFamous attackieren mutierte Protagonisten ihre Gegner mit Sprüngen von Hochhausdächern. Rico Rodriguez hingegen, der Held aus Just Cause 2 (März 2010), setzt auf eine deftige Mischung aus Bungee-Jumping, Paragliding und Enterhaken-Würfen, um aus der Luft das maximale Chaos zu stiften. Doch nicht immer gelingt den Game-Designern eine gelungene Verquickung aus Story, Gameplay und Technik. Das Steampunk-Abenteuer Damnation zum Beispiel wurde vollmundig als "vertical shooter" angekündigt, in dem sich der Spieler wie selbstverständlich auf der Y-Achse bewegt, war aber ein echter Reinfall. Es ist also durchaus Skepsis erlaubt, wenn jetzt ein Spiel daherkommt und behauptet, mit seinem "vertikalen Kampfsystem" neue Maßstäbe setzen zu wollen. Schafft Dark Void eine nahtlose, unterhaltsame Verbindung von horizontalem und vertikalem Gameplay?

Das Grundkonzept von "Dark Void" jedenfalls verspricht eine Mobilität, die über Kraxeln, Hangeln und Springen weit hinausgeht: Der Spieler erhält einen Düsenrucksack, mit dem er kurze Distanzen schwebend überbrücken kann ("Hover Pack"), und später auch einen waschechten Raketenrucksack ("Jetpack") für waghalsige Flugmanöver. Das gute alte Jetpack ist aus so unterschiedlichen Werken wie Duke Nukem 3D, Worms World Party und LittleBigPlanet bekannt. In den meisten Spielen ist der Raketentreibstoff begrenzt, um dem Spieler kein zu machtvolles Instrument an die Hand zu geben. Nicht so bei Dark Void: Das Jetpack, dass der Spieler schon früh findet, besitzt eine unbegrenzte Flugdauer. Man merkt also deutlich den Einfluss der Entwickler, die auch schon beim Arcade-Flieger Crimson Skies: High Road to Revenge mitgewirkt haben. Die Story, die das Studio Airtight Games um seine Spielmechanik herumbaut, ist ein Kessel Buntes aus Steampunk, Alien-Bedrohung und "Lost": 1938 wählt der Frachtpilot Will Grey samt Ex-Geliebter eine unkluge Flugroute über das Bermuda-Dreieck. Von dort werden die beiden in ein Paralleluniversum teleportiert, in dem sowohl Menschen als auch Außerirdische ("Watchers") hausen. Die Aliens lassen sich von den Menschen als Götter verehren, werden aber von einer kleinen Gruppe Widerständler bekämpft. Anführer der Rebellen ist niemand anderes als die Ingenieurslegende Nikola Tesla, eine in der Populärkultur überaus beliebte und reichlich zitierte Erscheinung. Tesla spielt aber zunächst nur eine Nebenrolle. Im Zentrum des Geschehens steht Bruchpilot Will, der in seiner abgewetzten Lederjacke entfernt an den weitaus cooleren Nathan Drake erinnert.

Dark Void

In seiner anfänglichen Unbedarftheit erinnert Will stark an den Comic-Helden The Rocketeer, den Zeichner Dave Stevens 1982 erschuf. Stevens wiederum orientierte sich an den "pulp heroes" der 30er und 40er Jahre - und an mehreren TV-Serien der 50er, in denen Raketenmänner die Hauptrolle spielten. Die kommerzielle Verwertbarkeit von Düsentriebhelden hielt auch in der Folgezeit an: 1988 brachte Cinemaware das 2D-Adventure Rocket Ranger heraus, 1991 kam ein auf dem Stevens-Comic basierender Disney-Film in die Kinos, zeitgleich veröffentlichte Bandai einen Sidescroller für die NES-Konsole. Gegner des Raketenmannes waren wahlweise Gangster, Nazis oder beide auf einmal. Auch in "Dark Void" gibt es frühzeitig Andeutungen, dass Aliens und Nazis unter einer Decke stecken.

Dark Void

So weit, so trashig - aber was hat es denn nun mit dem "vertikalen Kampfsystem" auf sich? Dank des Hover Pack kann sich unser Held in Windeseile selbst an den steilsten Felswänden emporarbeiten - vorausgesetzt, er findet einen Felsvorsprung, den er mit einem kurzen Impuls anvisieren kann. Unter dem Vorsprung hängend, ist er vor feindlichen Kugeln aus höheren Etagen erst einmal geschützt und kann auch aus der Deckung heraus feuern. Behende wie Affen hangeln sich die Alien-Roboter von Plattform zu Plattform und nehmen Will von verschiedenen Seiten unter Beschuss. Hier bietet Dark Void zu Beginn durchaus packende Momente, indem es den üblicherweise horizontalen Stellungskampf in die Vertikale verlagert - es ist schon ein seltsames Gefühl, dabei immer wieder in gähnende Abgründe zu blicken. Allerdings werden die Kämpfe schon nach kurzer Zeit zu einer repetitiven Angelegenheit. Die Aliens legen offenbar keinen besonderen Wert auf gute Deckung und sind leicht zu treffen. Echte Spannung kommt auch deshalb nicht auf, weil man sich bei Bedarf an den Gegnern vorbeihangeln kann. An dieser Beliebigkeit krankt das Spiel auch in den Bodenkämpfen. Natürlich macht es Spaß, die Gegner per Hover-Angriff aus der Luft zu überrumpeln. Man kann aber genauso gut einfach über sie hinwegfliegen. Spielerische Freiheit ist zwar grundsätzlich positiv zu bewerten. Jeder Versuch, das Schema des ultra-linearen Shooters aufzubrechen, ist aller Ehren wert. Doch sollten die Entwickler dabei aufpassen, dass das Spiel seine Dramatik behält und nicht beliebig wird. Dark Void gelingt dieser Spagat nur ungenügend.

Dark Void

Der halbgare Eindruck des Spiels verfestigt sich in den reinen Luftschlachten. Die Jetpack-Duelle gegen Alien-Ufos sind zwar flüssig animiert und bieten rasante dogfights, in deren Verlauf der Held die Ufos sogar kapern kann. Allerdings schleicht sich auch hier sehr schnell Routine ein. Überhaupt tut Dark Void sehr wenig, um sich dem Spieler schmackhaft zu machen. Eines der wenigen Highlights ist der Soundtrack von Bear McCreary ("Battlestar Galactica"). Die Cutscenes aber sind lieblos gemacht und meilenweit von der inszenatorischen Größe eines Uncharted 2 entfernt. Die Story wird auch dadurch nicht interessanter, dass der Held unterwegs immer wieder Tagebucheinträge findet - man fragt sich, wer diese Aufzeichnungen so sorgsam in der Landschaft verteilt haben mag. Auch grafisch ist das auf der Unreal-3-Engine basierende Spiel keine Augenweide: Die verwaschene Texturen sehen bestenfalls aus großer Flughöhe akzeptabel aus. Bei der Ausgestaltung der Paralleldimension fehlte es den Dark-Void-Machern offenkundig an Phantasie: Berge, Wasserfälle und Tempelanlagen scheinen geradewegs aus dem Action-Adventure-Baukasten zu stammen. Bei den Aliens sieht es nicht viel besser aus: Aus der Masse gesichtsloser Gegner ragen nur einige wenige heraus, etwa der gewaltige Archon oder die "Ritter", die ein bisschen aussehen wie fliegende Kobras. Im Kampf mit den Aliens erweist sich die Third-Person-Kamera als wenig hilfreich, die Einstellungen sind häufig unübersichtlich und wackelig. Auch bei Kletterpartien verliert man schnell mal die Orientierung.

Dark Void

Bei all seinen Unzulänglichkeiten mag Dark Void einige ganz gute Ideen enthalten. Dass dem Spiel aber ein Multiplayer-Modus fehlt, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar. Nach Aussage des Senior Producers mangelte es an Zeit, die vertikale Kampfmechanik in ein Mehrspielersystem zu integrieren. Für die vielen Shooter-Fans wäre aber gerade das eines der spannendsten Spielelemente gewesen. Dass Publisher Capcom angesichts des mäßigen Singleplayer-Erfolges noch ein Multiplayer-Patch nachschiebt, darf bezweifelt werden. Die Ausweitung der Kampfzone ist damit vertagt.

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