Autoanschlag in Frankreich: Soldaten als Ziele - Wie steht es um den Schutz?

Screenshot BFMTV, YouTube

Der mutmaßliche Täter des heutigen Angriffs auf Wachsoldaten wurde von Polizeieinheiten angeschossen und gefasst. Die Operation Sentinelle zum Schutz der Bevölkerung gerät in die Kritik

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Noch wird der Angriff mit einem Auto auf zehn Soldaten heute Morgen in Levallois-Perret (Hauts-de-Seine) an der Peripherie von Paris offiziell nicht als "Terroranschlag" bezeichnet, auch wenn vieles darauf hindeutet, dass es sich um einen solchen handelt. Die Ermittlungen der für solche Delikte zuständigen Staatsanwaltschaft laufen unter der Anklage des Mordversuchs auf Vertreter des Staates in Zusammenhang mit einem terroristischen Unterfangen.

Der mutmaßliche Täter wurde am Nachmittag von BRI-Spezialeinheiten der Polizei im Norden Frankreichs im Département Pas-de-Calais gestellt und mit Schüssen schwer verletzt. Mittlerweile wurde er mehreren Presseberichten zufolge als Algerier identifiziert, geboren 1980, namens Hammou oder Amou B.

Über seinen Aufenthaltsstatus, ob regulär oder irregulär, gibt es noch widersprüchliche Signale. Laut bisherigen Informationen war er den Behörden wegen kleinerer Vergehen bekannt; in der französischen Gefährder-Datenbank "fiche S" soll er nicht registriert sein. Dies sind vorläufige Angaben. Präzisere werden folgen. Der Auto-Angriff von heute Morgen hat große Aufmerksamkeit in Frankreich ausgelöst.

Nicht der erste Angriff auf Soldaten und Polizisten

Vieles ist zu klären. Die französischen Behörden formulieren vorsichtig. So wird der Verdächtige bis dato als "mutmaßlicher Verantwortlicher" für den Angriff bezeichnet. Er geschah während einer Wachablösung eines Wachkommandos von Soldaten, die im Rahmen der "Operation Sentinelle" für mehr Sicherheit in Frankreich sorgen sollen.

Dass die Operation nun stark unter Kritik gerät, ist das politische Thema, das sich mit dem Angriff/Anschlag in den Vordergrund drängt. Es war nicht der erste Angriff auf Soldaten und Polizisten seit Beginn der Operation nach den Anschlägen im Januar 2015. Man kann von einer Serie sprechen.

Sehr schnell sprachen offizielle Stellen und Regierungsmitglieder von einer Absicht. Das Auto fuhr langsam auf die Gruppe der zehn Soldaten zu und "beschleunigte dann wenige Meter vor den Soldaten, das war kein Unfall", erklärte Innenminister Collomb wenige Stunden nach dem Vorfall, der sich gegen 8 Uhr morgens in Levallois-Perret ereignete. 6 Soldaten wurden verletzt, 2 schwer, sie seien aber außer Lebensgefahr, wie später mitgeteilt wurde.

Es fiel kein Schuss, war in Berichten zu lesen, was in Kommentaren spezielle Fragen oder Vorwürfe zum Schusswaffengebrauch der Soldaten auslöste. Mitglieder mit Armeeerfahrung erwidern erbosten Kommentatoren, dass der Schusswaffengebrauch in einer Wohngegend wegen der Risiken eine komplizierte Angelegenheit sei …

Dem mutmaßlichen Täter kam man auf die Spur, da er nach Informationen der Voix du Nord ein Leihauto fuhr, einen BMW, der über GPS geortet werden konnte. So einfach sind dann scheinbar wieder andere Dinge.

Kritik am Sicherheitsschema

Ob der mutmaßliche Täter Verbindungen zu dschihadistischen Banden wie dem IS hatte, ist zur Stunde noch offen wie auch die Frage, ob er seinen Angriff mit Mitwissern oder völlig nach eigenen Impulsen und Vorbereitungen unternommen hatte. Die Art des Angriffs mit dem Auto wird freilich in Zusammenhang mit IS-Anleitungen zu Gewalttaten gegen "Ungläubige" gebracht.

Neue Vehemenz bekommt durch den wiederholten Anschlag auf Wachpersonal der Operation Sentinelle die Kritik an dem Sicherheitsschema selbst. Sie datiert schon von früher. Heute wurden gleich an mehreren Stellen Artikel aus dem Archiv geholt, die an der Operation nichts Gutes finden können:

Die Operation Sentinelle ist in Wirklichkeit einem Widerspruch unterworfen. Eine Patrouille von Soldaten ist der sichtbare Beweis, dass die Regierung (bzw. die gewählten Lokalpolitiker) "etwas tun", aber, ob das "etwas" auch effizient ist, ist eine andere Frage. In der Tat ist das, wie man gesehen hat, nicht effizient, soweit es den Stopp von Anschlägen betrifft.

Es ist sogar zweifelhaft, ob das eine angstlösende Wirkung hat, mit der man die Operation bewirbt (es könnte sogar sein, dass sie den gegenteiligen Effekt hat). Um taktisch bei einer Mission zum Schutz der französischen Bevölkerung effizienter vorzugehen, wäre es in Wirklichkeit vielleicht besser, wenn die Soldaten auf diskretere Weise tätig sind wie etwa Polizisten in Zivil, um Verdächtige zu kontrollieren und gegebenenfalls festzunehmen.

La voie de l'epée,"Die Falle der Operation Sentinelle" von Februar 2017, upgedatet am 09.08.2017

Auch der Figaro verweist heute auf ein Interview mit einer Sicherheits-Forscherin vom Februar dieses Jahres, als ein Macheten-Anschlag auf einen Wachmann am Louvre Fragen aufwarf.

Bénédicte Chéron äußerte damals mit Bestimmtheit, dass ihr die Behauptung, wonach die Attacke am Louvre zeige, wie effektiv Sentinelle sei (Soldaten töteten den Machetenangreifer), "surreal" vorkomme.

Der Angriff zeigt ganz einfach, dass die Streitkräfte, die im Rahmen der Operation eingesetzt werden, zum Ziel geworden sind.

Bénédicte Chéron

Dass dieses Ziel einen hohen symbolischen Wert für die dschihadistischen Terroristen hat, wie es Experten in der französischen Diskussion vorbringen, wird mit dem heutigen Angriff zu einem Argument, dass die Regierung unter Macron nicht so leicht auf die Seite wischen kann.