Autobomben-Loser

Wie der irakische Widerstand den Besatzern in die Hände spielt

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Fortschritte im Irak? Ja, auf kriegerischer Ebene, bei den sogenannten Insurgents. Sie sind brutaler geworden. Die Serie von Autobomben-Anschlägen zeige deutlich, so ein amerikanischer Experte für die "Dynamik von Aufständen", dass die brutalen Attentate ohne Rücksicht auf unbeteiligte Zivilisten nicht mehr nur der Sarkawi-Gang zuzuordnen seien. Auch andere Elemente des irakischen Widerstands würden sich zunehmend einer Hemmschwelle entledigen, die für sie lange Zeit wichtig war, und den Tod von Zivilisten gezielt in Kauf nehmen.

Gestern waren es drei simultan gezündete Autobomben, die im Nordirak das Leben von mindestens 20 Irakern beendeten und 30 andere verletzten. Derartige Meldungen sorgen derzeit für die Schlagzeilen aus dem Irak; die Berichterstattung über die schwierigen Bemühungen der neuen Regierung, die Sunniten in den politischen Prozess zu integrieren, treten dagegen in den Hintergrund.

Besatzung und Widerstand bleiben die wichtigsten Kräfte

Für den amerikanischen Soziologie-Professor Michael Schwartz ist allein schon das Ringen der neuen Regierung um die Repräsentation der Sunniten Zeichen genug dafür, dass die Regierung kein bedeutender Faktor in der "Dynamik der irakischen Gesellschaft" ist. Die jüngsten Entwicklungen im Irak deuten nach seiner gestern veröffentlichten, beachtenswerten Analyse darauf hin, dass die "Besatzung und der Widerstand die wichtigsten Kräfte im Land bleiben." Im Zentrum der neuen Entwicklungen sind nach seiner Sicht die Autobomben, die für eine "neue und qualitativ unterschiedliche Offensiv-Strategie der 'Resistance' " stünden.

Schwartz, der schon mit seiner Analyse zum Aufstand von Muktada as-Sadr im letzten Jahr unorthodoxe Aufklärung jenseits der gängigen Berichterstattung bot, versucht diesmal Licht in die komplexe strategische Logik der Car Bomber zu bringen und äußert dabei einige Thesen, die viel geäußerten Annahmen widersprechen.

Allen voran derjenigen, dass man den Großteil der mörderischen Anschläge den Brutalos um Sarkawi zuordnen kann, währenddessen sich die militärischen Operationen der "Resistance" dadurch auszeichnen würden, dass sie unbeteiligte irakische Zivilisten - also solche, die nicht für Polizei-oder Armeejobs anstehen - weitgehend verschonen. Nach seinen Schätzungen ist die Sarkawi-Gang für etwa fünf Aktionen pro Woche verantwortlich, darunter eine Autobombe. Eine geringer Anteil also bei etwa 10 Autobomben pro Woche und 400 gewaltsamen Aktionen in diesem Zeitraum, die sich vorwiegend auf militärische Ziele richten würden. Etwa 70% davon auf amerikanische Truppen. (Auch dies eine ungewöhnlicher Behauptung, die im Gegensatz zu vielen Presseberichten steht, die in letzter Zeit immer wieder betonen, dass sich die Anschläge auf irakische Ziele verlagert hätten).

Medienhype um überschätzten Sarkawi

Die Aktionen von Sarkawi stünden allerdings im Scheinwerferlicht der Medien, sie seien zum "sichtbarsten Element" in der Autobomben-Offensive geworden. Diese Aufmerksamkeit bestärke einerseits die Wichtigkeit Sarakawis in der Öffentlichkeit und bestätige andrerseits, was für die Medien ohnehin zu einem zentralen Thema geworden ist: die bürgerkriegsähnlichen Spannungen zwischen sunnitischen und schiitischen Gruppierungen. (Von Sarkawi heißt es, dass er Schiiten für Abtrünnige hält, für zu bekämpfende Feinde des richtigen Glaubens).

Dass Sarkawi mit seinen brutalen Aktionen, die immer wieder Unschuldige töten, so sehr im Scheinwerferlicht steht, hat zwangsläufig zur Distanzierung der anderen Widerstandsgruppen geführt. Seit einigen Monaten bemühten sich mehrere Organisationen und Gruppierungen, die den irakischen Widerstand politisch unterstützen, darum, sich von Sarkawi abzugrenzen: die Association of Muslim Scholars erklärte ihn und seine Gruppe zu Kriminellen, ebenso die Sadristen um Muktada as-Sadr und andere Besatzungsgegner. War Sarkawi einstmals für einige ein nützlicher Verbündeter im Kampf gegen die Regierung, so sei er jetzt eine Last, zitiert Schwartz einen irakischen Regierungsberater.

Die Isolation von Sarkawi mache die jüngsten Serie von Autobomben-Anschlägen umso bemerkenswerter:

Sie werden von Elementen des Widerstands ausgeführt, die traditionellerweise keine Zivilisten im Visier haben.

Zwar würde auf Zivilisten nach den Beobachtungen von Schwartz auch in dieser Offensivaktion nicht absichtlich gezielt, aber man versuche auch nicht mehr zivile Opfer zu vermeiden. Das sei nicht immer so gewesen. Wie genügend Berichte zeigen würden, hätten Widerstandskämpfer vor Monaten noch Aussenstehende vor Aktionen gewarnt und sie dazu angehalten, das Feld zu räumen. Doch Anschläge wie derjenige, der vor einiger Zeit auf ein Restaurant ausgeübt worden ist, weil sich dort öfter Polizisten aufhalten, seien ein signifikantes Zeichen für einen Wechsel der taktischen Vorgaben.

Ausgedientes "Trojanisches Pferd"

Auch dass auf Polizisten und Polizistenrekruten immer wieder Anschläge verübt werden, mit dem einkalkulierten Risiko dabei auch Zivilsten zu verletzen, schließlich befinden sich viele Bewerbungsbüros an belebten Stellen der Städte, sei schon eine Veränderung früherer Strategien. Vor der Autobomben-"Kampagne" war die Strategie die des "Trojanischen Pferdes": Elemente des Widerstands hätten einfach die irakischen Sicherheitskräfte unterwandert und dadurch wirkungslos gemacht. So geschehen in Falludscha, Ramadi und Mosul. Da sich die USA auf die dortigen irakischen Sicherheitskräfte verlassen habe, sei es ein leichtes für die Widerstandsgruppen gewesen mit ihren irakischen Landsleuten "zusammenzuarbeiten". Dass sich so ganze Polizei- und Militärtruppen in Nichts aufgelöst hätten, sobald es darum ging, gegen Iraker vorzugehen, sei das Ergebnis dieser Taktik gewesen. Seit die USA und die irakische Regierung jedoch dafür gesorgt hätten, dass ortsfremde Truppen eingesetzt werden, beispielsweise Schiiten und Kurden in Falludscha, sei diese Taktik nicht mehr effektiv genug, bzw. unmöglich geworden.

Dies spräche andrerseits dafür, dass die US-Strategie funktionieren könne: die USA könnten es schaffen, Sicherheitskräfte zu rekrutieren, die nicht "co-optable" für den Widerstand sind. Man versuche dies, so Schwartz, in Ramadi und anderen Widerstandszentren. Allerdings zeitige dies auch eine Wirkung, die weniger erwünscht ist: Zwar sind schiitische Kämpfer, die Falludscha im Griff halten, für die sunnitischen Widerstandsgruppen kaum zu unterwandern, andrerseits würden sie für ihre "häufige, systematische Brutalität" kritisiert, was die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten nur weiter verschärfe. Dazu komme, dass man den Amerikanern unterstellen würde, sie seien die Komplizen der Schiiten und Kurden. Der Verdacht, die USA würden das Konfliktpotential zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen im Irak für ihre Ziele ausnützen, würde so weiter genährt.

Anheizen der religiösen Spannungen

Dass die USA die treibende Kraft hinter der wachsenden Spannung zwischen Sunniten und Schiiten sind, ist für Schwartz zwar ein "wichtiger Teil der Geschichte", aber eben nur einer. Den anderen Teil habe die "Resistance" zu verantworten.

Die Autobomben-Offensive ist dafür angelegt, die Unterwanderung und Zusammenarbeit mit der Polizei zu ersetzten; sie hat aber weitreichende Konsequenzen. Jenseits der Tötung von Zivilisten, der Entfremdung der Bevölkerung und der Wahrscheinlichkeit damit eine Feindseligkeit der Polizei gegenüber dem Widerstand zu verstärken, erweitert sie die Kluft zwischen Schiiten und Sunniten, indem sie gerade die ethnisch-religiösen Konflikte stärkt, die zur wichtigsten Ausrede Washingtons für andauernde Präsenz im Land geworden ist.