BAMF-Affäre: Seehofer und Cordt vor dem Innenausschuss

Grafik: TP

In einer zweiten Anhörung sollen Weise und de Maizière aussagen

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Gestern befragte der Innenausschuss des Bundestages Bundesinnenminister Horst Seehofer und BAMF-Zentralleiterin Jutta Cordt zur Affäre um möglicherweise zu Unrecht ausgestellte Asylberechtigungen, bei denen häufig noch nicht einmal die Identität der Personen geprüft wurde, die sie beantragten. Anders als in anderen Ländern, in denen Anhörungen von solch großem öffentlichem Interesse regelmäßig im Fernsehen übertragen und live gestreamt werden, damit die Bürger sehen können, wie sich die von ihnen gewählten Politiker und deren Beamte verhalten, war diese Sitzung nicht öffentlich. Einen Antrag der AfD, sie öffentlich abzuhalten, hatten CDU, CSU und SPD überstimmt.

Die Politiker, die während und nach der Anhörung vor die Mikrofone traten, erzählten das, worauf sich ihre jeweiligen Parteien bereits vorher abgestimmt hatten: Armin Schuster von der CDU meinte, der Skandal sei nach jetzigem Kenntnisstand auf Bremen begrenzt, weshalb man keinen Untersuchungsausschuss brauche. Der sei auch für die Aufklärung zur Migrationspolitik seit 2014 nicht nötig, weil sich damals ja nicht nur alle Parteien im Bundestag, sondern auch die Medien über die "Willkommenskultur" einig gewesen seien.

Burkhard Lischka von der SPD forderte Aufklärung und tat dabei so, als ob seine Partei in den letzten Jahren nicht mit an der Regierung gewesen wäre. Konstantin von Notz versuchte die Aufmerksamkeit von Merkel weg auf Seehofer zu lenken und lehnte einen Untersuchungsausschuss mit der Behauptung ab, dass dessen Ergebnis erst nach der Bayernwahl feststehen würde. Dem widersprach Linda Teuteberg von der FDP, die betonte, dass der Innen- und der Untersuchungsausschuss ja gleichzeitig ermitteln könnten. Und Gottfried Curio von der AfD sprach von einer "einzigen Enttäuschung", bei der "nichts klar" geworden sei.

Ein wenig müssen auch die anderen Mitglieder des Innenausschusses diesen nur von Curio offen geäußerten Eindruck gehabt haben. Zumindest einigten sie sich auf darauf, dass in einer weiteren Anhörung der ehemalige BAMF-Chef Jürgen Weise und der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière aussagen sollen. Die AfD will darüber hinaus noch Merkels ehemaligen "Flüchtlingskoordinator" Peter Altmaier vorladen. Bis dahin können sich die Mitglieder des Innenausschusses auch den 208 Seiten langen Bericht ansehen, den man ihnen erst eineinhalb Stunden vor der ersten Anhörung zukommen ließ.

"Heimliche Kanzlerpartei" Grüne

Am Montag hatte Merkel über ihren (vorher als ZDF-Nachrichtensprecher tätigen) Regierungssprecher Steffen Seibert verlautbart, Seehofer habe ihre "volle politische Unterstützung". Vorher wunderten sich sonst nicht unbedingt einander nahe Akteure von Joachim Steinhöfel bis hin zu Ralf Stegner öffentlich, warum sich die Kanzlerin in dieser Angelegenheit aus einem Bereich, den sie 2015 zu ihrer Chefsache gemacht hatte, so auffällig zurückhielt.

Bei anderen Ministern Merkels - von Karl Theodor von und zu Guttenberg und Hans-Peter Friedrich bis hin zu Annette Schavan - geschah so eine "volle" oder (grammatik- und logikwidrig) "vollste" öffentliche Vertrauenskundgebung immer kurz vor dem Fallenlassen. Ließe Merkel Seehofer fallen, dann könnte das jedoch auch ihren eigenen Sturz bedeuten, weil CDU und SPD alleine ohne Seehofers CSU keine Mehrheit im Bundestag haben. Es sei denn, sie lässt sich danach von der "heimlichen Kanzlerpartei" tolerieren: von den Grünen, die mit ihren 67 Abgeordneten die 46 CSU-Abgeordneten ersetzen könnten und die der Getriebenen-Autor Robin Alexander angesichts des Unwillens, in der Untersuchungsausschussfrage ihre Oppositionsrolle auszufüllen, als "Cheerleader" der Kanzlerin bezeichnete.

Ebenfalls gegen einen Untersuchungsausschuss dürfte die Mehrheit der Linksfraktion stimmen: Nachdem deren Innenausschussmitglied Petra Pau am Freitag dem Parlamentssender Phoenix noch sagte, das werde man "nach den Innenausschuss-Sitzungen entscheiden", preschte der Kipping-Flügel am Montag mit der Äußerung vor, "wenn zwei rechte Parteien einen Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen im BAMF fordern", dann werde "die Linke definitiv nicht ihre Stimme dafür geben". FDP-Generalsekretärin Nicola Beer twitterte dazu, wer "im 21. Jahrhundert die politische Welt immer noch in die Kategorien links und rechts einteil[e]", der brauche "eine neue Brille" und mache "Politik an den Menschen vorbei".

Möglicherweise sind ihre Liberalen und die AfD beim Einsetzen eines Untersuchungsausschusses auch gar nicht auf ganze Fraktionen angewiesen: Es würde reichen, wenn sich vier Merkel-Skeptiker aus der CDU oder der CSU zum Mitstimmen entscheiden. Der im letzten Jahr bei der Kandidatenaufstellung aus dem Parlament gesäuberte Merkel-Skeptiker Philipp Lengsfeld (der wissen könnte, wer dafür im aktuellen Bundestag infrage kommt), meinte gestern gegenüber Telepolis, er werde "nicht über das Verhalten der Fraktionskollegen spekulieren", die man "an ihren Taten" erkennen müsse.

Stichproben, Rechnungshof, Verwaltungsamt und "Selbstüberprüfung"

Seehofer selbst bat nach der heutigen etwa fünfstündigen Anhörung "im Namen der Bundesregierung" um Entschuldigung für den "schlimmen Skandal". Bereits vorher hatte er angekündigt, stichprobenartig zehn Prozent aller Asylbescheide überprüfen zu lassen, um das nach Umfragen zu 80 Prozent verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung in das BAMF wiederherzustellen. Hinzu kämen eine Überprüfung durch den Bundesrechnungshof und das Bundesverwaltungsamt sowie - wahrscheinlich weniger vertrauenserweckungsgeeignet - eine "Selbstüberprüfung" der Behörde, der man in Sozialen Medien den Spottnamen "Bundesamt für Merkelsche Folgenvertuschung gegeben hat.

Durch solche Überprüfungen könnte man unter anderem der Frage nachgehen, wie am 25. August 2015 ein BAMF-Tweet zustande kam, der dem Guardian nach "Deutschland zum Hauptziel für geflohene Syrer, die zuvor eher in andere europäische Länder strebten" machte und "einen Eindruck von Verwirrung und politischem Kontrollverlust" auslöste. "#Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt" hatte es darin geheißen. Am Tag darauf fand die ungarische Polizei tausende weggeworfener nichtsyrischer Pässe, von Personen, die anscheinend vorhatten, sich das zunutze zu machen.

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