BP-Motto: "Macht das Loch endlich fertig!"

Die Katastrophe auf der Bohrinsel Deepwater Horizon hätte verhindert werden können, so der Explorationsgeologe Wilhelm Dominik

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Prof. Wilhelm Dominik, Explorationsgeologe an der TU Berlin, erhebt schwere Vorwürfe gegen BP: Der Öl-Konzern hätte sein "offensichtlich problematisches Bohrloch" rechtzeitig verschließen müssen. Doch vier Tage lang habe man Warnungen ignoriert - wohl aus Kostengründen. Dominik fordert ein Moratorium für Tiefseebohrungen: "Die Havarietechnik ist bisher schlicht unterentwickelt."

Die Erfolgsmeldung vom Donnerstag war, BP habe erstmals die Ölfontäne zum Versiegen gebracht. Wie nahe sind wir einer endgültigen Lösung des Problems Deepwater Horizon?

Wilhelm Dominik: Zunächst einmal ist erst das Ausströmen des Öls am Meeresboden in 1.500 Metern Wassertiefe vorläufig beendet. Aber die Bohrung selbst, vom Meeresboden bis zur Lagerstätte in 5.500 Metern Tiefe, ist dann noch lange nicht dicht. Mitte August wird die Entlastungsbohrung diese Tiefe erreichen. Dann erst kann man beginnen, die eigentliche Lagerstätte abzuschließen. Die laufenden Tests werden in den kommenden Tagen zeigen, ob man den Bohrkopf jetzt verschlossen halten muss oder eine kontrollierte Förderung des Öls zu den Produktionsschiffen stattfinden kann.

Das heißt: Es wurde ein Teilerfolg erzielt wurde, immerhin. Warum hat das so lange gedauert?

Wilhelm Dominik: Letztlich hat einer der Versuche nach dem Prinzip trial and error, die wir in den vergangenen zweieinhalb Monaten erlebt haben, den erhofften Erfolg erzielt. Es hat deshalb so lange gedauert, weil die Havarietechnik bisher schlicht unterentwickelt ist, gerade was Schadensfälle im Tiefwasser der Ozeane betrifft.

Warum dürfen die Ölkonzerne dann dennoch dort bohren?

Wilhelm Dominik: Die Politik hat einen Fehler gemacht. Sie hätte das Tiefwasser nicht für Bohrungen freigeben dürfen, solange die Havarietechnik für diese Extrembedingungen nicht entwickelt und getestet und durch Aufsichtsbehörden abgenommen ist. Die Politik hat das vor zwanzig Jahren schlicht vergessen.

Pardon: Vergessen?

Wilhelm Dominik: Die Technologie in der Exploration und Produktion entwickelte sich schrittweise. Man ist in immer größere Wassertiefen vorgedrungen. Ende der 1980er-Jahre waren wir bei 300, maximal 400 Metern angekommen. Dann ging es munter weiter. Aber niemand ist auf die Idee gekommen, dass die entsprechende Technologie für den Fall einer Havarie bereit stehen muss. Auch in den Aufsichtsbehörden hat man schlicht geschlafen.

Keine Havarie-Technik und keine Kalkulation von möglichen Schäden

Wie kalkuliert ein Öl-Konzern die Havarie-Risiken?

Wilhelm Dominik: So gut wie gar nicht. Sie werden nicht in Zahlen ausgedrückt. Die possibility of success (POS), die Erfolgsaussicht einer Bohrung, wird noch schön berechnet: Welche Risiken, auch politische, wirtschaftliche und technische, haben wir, um am Ende ohne fündige Bohrung da zu stehen? Nirgendwo kalkuliert werden aber die Havarierisiken oder generell die Schäden, die durch eine nachhaltig verkorkste Bohrung entstehen können. Das interessiert allenfalls die Versicherer.

Es existiert keine angemessene Havarietechnik und die potenziellen Schäden werden nicht kalkuliert... A ... man dachte, man käme mit den Techniken zurecht, die man für geringe Wassertiefen oder gar für den Einsatz auf dem Festland entwickelt hatte. Dass die Übertagetechnik und die Flachwassertechnik aber wenig nutzt, wenn es in größeren Meerestiefen zu einer Havarie kommt, hat man nicht einkalkuliert. Man kann aber nicht mit allen Methoden, die bei einer Wassertiefe von 50 Metern funktioniert haben, auf 1.500 Metern arbeiten. Die Erfahrungen sind schlicht nicht einfach übertragbar.

Welche Unterschiede bestehen?

Wilhelm Dominik: Bei 1.500 Metern herrscht ein Druck von 150 Bar – und man kommt natürlich viel schlechter an das Bohrloch heran. Außerdem steigt das mit Dispersionsmittel angereicherte ausströmende Öl nicht bis zur Meeresoberfläche auf, sondern bewegt sich weit darunter in großen Emulsionsfahnen. Wie soll man es da einfangen? Auch für dieses Problem gibt es noch keine Technologie.

Zurück zur Deepwater Horizon: Die Bohrung, die zur Katastrophe führte, sei überaus kritisch gewesen, so Ihre Analyse.

Wilhelm Dominik: Man hätte sie nach Erreichen der Endtiefe verschließen und aufgeben müssen.

Wäre uns das Unglück dann erspart geblieben?

Wilhelm Dominik: Ja, sicher.

Man wollte ein paar Millionen Dollar sparen

Die Katastrophe begann nach Ihrer Einschätzung bereits vier Tage vor der Explosion. Dennoch machte BP weiter. Warnhinweise wurden ignoriert, Sicherheitssysteme versagten. Wie kann das passieren?

Wilhelm Dominik: Die Bohrung war eine technische Herausforderung. Man war länger vor Ort, als man geplant hatte. Die Kosten drohten aus dem Ruder zu laufen. "Macht das Loch endlich fertig!", war wohl das Motto. Wenn alle unter Zeitdruck arbeiten, werden Warnungen in den Wind geschrieben. Die Verantwortlichen hätten, nachdem das Öl gefunden war, immer noch die Entscheidung fällen können, das offensichtlich problematische Bohrloch zu verschließen. Eine Explorationsbohrung wie diese soll ja zunächst nur den Nachweis von technisch-wirtschaftlich förderbaren Ölreserven erbringen.

Und dann?

Wilhelm Dominik: BP hätte dann einen Gesamtentwicklungsplan für das Ölfeld entwerfen müssen – auf Grundlage der gemachten Erfahrungen. Das hätte rund zwei Jahre gedauert. Dann hätte man das Ölfeld mit einer neuen Bohrung erschließen und die Förderanlagen installieren können. Eine spätere neue Produktionsbohrung hätte zwar die Wirtschaftlichkeit des Projektes verschlechtert, man hätte aber die Risiken bei der Komplettierung der Explo-Bohrung vermieden.

Es gab massive Probleme auf der Deepwater Horizon: Es ging nicht gut voran, der Zeitdruck stieg. Pro Bohrtag kamen Fix-Kosten von rund einer Million Dollar dazu. Ging BP ein zu hohes Risiko ein, um Geld zu sparen?

Wilhelm Dominik: Ja, in den letzten Tagen vor der Havarie schon. Weitere Messungen im Bohrloch hätten ein paar hunderttausend Dollar mehr gekostet. Möglicherweise für zwei bis drei Tage angefallen wären die genannten Fixkosten von rund einer Million Dollar pro Tag. Diese zusätzlichen Kosten wollte BP sich wohl ersparen.

Sicherheit kostet

Die Ölförderung wird immer schwieriger. Gleichzeitig steigt der Öl-Durst der Welt.

Wilhelm Dominik: Wir nähern uns in der Tat dem Peak Oil, dem Höhepunkt der globalen Ölförderung. Die meisten Groß-Lagerstätten der Welt befinden sich im decline, die Förderraten gehen Jahr für Jahr kontinuierlich zurück. Also müssen wir ständig neue Lagerstätten erschließen, um die Förderung zumindest auf dem heutigen Stand zu halten: etwa 86 Millionen Barrel Öl am Tag. Aber wird sind ja schon am Rande der Welt angekommen, in den entlegensten Regionen der Kontinente und in den Ozeanen steigt die Wassertiefe immer weiter.

Müssen wird vor diesem Hintergrund mit weiteren Katastrophen wie derjenigen auf der Deepwater Horizon rechnen?

Wilhelm Dominik: Nicht unbedingt. Die Politik muss aber ein mittelfristiges Moratorium für Tiefseebohrungen aussprechen. In der Zwischenzeit muss die Havarietechnik entwickelt und getestet werden. Die neuen Techniken müssen in den Regelwerken für die Vergabe von Tiefwasserlizenzen vorgeschrieben werden und die entsprechenden Anlagen an den verschiedenen Einsatzorten stationiert und vorgehalten werden.

Wie steht es um Dauer und Kosten der Technik-Entwicklung?

Wilhelm Dominik: Ein oder zwei Jahre würden wohl reichen. Kosten würde es ein paar hundert Millionen Dollar. Das Problem: mit dem Aussetzen der Bohraktivitäten im Tiefwasser könnte es in den kommenden Jahren zu einer Öl-Verknappung kommen – und damit zu einem deutlichen Anstieg des Ölpreises.