Bakterien mit Gedächtnis erkunden den Darm

Veränderte E. coli-Bakterien kolonisieren den Darm einer Maus und produzieren beim Detektieren eines bestimmten Umweltsignals Proteine. Bild: Jonathan Kotula, Harvard Medical School and Harvard's Wyss Institute

Ein synthetischer Schaltkreis in Bakterien, der Informationen über die Umwelt speichert, bewährt sich im lebenden Tier

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Bakterien als Biosensoren - die Ergebnisse waren meist nur im Labor überzeugend. Synthetische Biologen erzeugten nun Biosensoren, die auch unter realen Bedingungen verlässlich arbeiten. Ein genetischer Schaltkreis in Bakterien erkennt die Gegenwart eines Antibiotikums und speichert diese Information über mehrere Tage. Die Bakterien überleben im Darm von Mäusen und können über eine Farbreaktion anzeigen, ob sie dort Kontakt mit dem Antibiotikum hatten. Die Forscher hoffen, dass dieser Ansatz die Entwicklung von "lebenden Diagnostika" erlaubt.

Mit der Nahrung nimmt ein Mensch ständig Erreger und Giftstoffe auf, die im Darm Entzündungen und Krankheiten verursachen können. Ärzte verfügen jedoch nur über begrenzte Möglichkeiten, Erkrankungen des Darms ohne einen operativen Eingriff zu diagnostizieren: Darmspiegelungen geben nur visuelle Informationen, und die Aussagekraft von Stuhlproben ist begrenzt. Neuartige Biosensoren, die gezielt nach Erregern oder Giftstoffen Ausschau halten, könnten die Möglichkeiten erweitern. Doch das Milieu des Darms ist komplex und wandelhaft - eine harte Probe für die Robustheit der Biosensoren.

Dieser Herausforderung stellten sich synthetischen Biologen um Pamela Silver von der US-amerikanischen Harvard Universität (Kotula et al., PNAS, April 2014: Programmable bacteria detect and record an environmental signal in the mammalian gut). Sie installierten in einem Bakterium einen synthetischen Schaltkreis, der in Gegenwart einer chemischen Substanz - als Modell diente ein Antibiotikum - in einen anderen Modus wechselte. Dieser bakterielle Biosensor wurde Mäusen über das Maul eingetrichtert und nach einigen Tagen wieder aus Stuhlproben isoliert. Eine einfache Farbreaktion zeigte an, ob der Biosensor in der Zwischenzeit Kontakt mit dem Antibiotikum hatte. Das Ergebnis war beeindruckend: Trotz der schwer kontrollierbaren und schwankende Bedingungen lag der Biosensor fast immer richtig.

Grundlage für den Biosensor ist das Bakterium E. coli, ein natürlicher Bewohner des menschlichen Darms. Sein Genom ist gut charakterisiert und leicht zu manipulieren. Deswegen fiel es nicht schwer, es um einen synthetischen Schaltkreis zu erweitern. Dieser stammt ursprünglich aus dem Bakteriophagen Lambda, einem Virus, der vor allem das E. coli-Bakterium befällt.

Der Bakteriophage nutzt den Schaltkreis, um seine Ruhe- und Aktivitätsphasen zu steuern. Herzstück ist ein bistabiler Schalter, der im Grundzustand stabil auf "Aus" steht. Auf die Eingangsseite des Schalters setzten die Forscher ein genetisches Element, das durch das Antibiotikum aktiviert wird und daraufhin den Schalter auf "An" stellt. Auch die "An"-Position ist stabil und bildet somit eine Art von Gedächtnis, in dem Umweltbedingungen gespeichert werden. Am Ausgang des Schalters installierten die Forscher das Enzym LacZ, das unter Laborbedingungen eine blaue Farbreaktion hervorrufen kann.

Die Auswertung der Versuche war denkbar einfach: Nach der Passage durch den Darm wurde der Biosensor auf Petrischalen angezüchtet, eine Blaufärbung gab Aufschluss, ob der Maus das Antibiotikum verabreicht wurde. Das System erwies sich als sehr robust. Wurde der Maus kein Antibiotikum zugefüttert, blieb auch der Biosensor farblos, in Gegenwart des Antibiotikums hingegen stellte sich in fast 100 % der Fälle die blaue Färbung ein. Selbst eine Woche nach Kontakt mit dem Antibiotikum wurden die meisten Biosensoren noch blau - für ein Bakterium ein äußerst stabiles Gedächtnis.

Ursprünglich entwickelten die synthetischen Biologen den Biosensor auf der Grundlage eines Laborklons von E. coli. Dieser hatte jedoch Schwierigkeiten, sich in dem schwierigen Milieu des Darms gegen die Konkurrenz der natürlichen Bakterien durchzusetzen. Daher isolierten die Forscher einen natürlichen E. coli-Klon aus dem Mäusedarm und nutzten diesen als Biosensor. Der Schaltkreis arbeitete ebenso verlässlich wie in dem Laborklon, allerdings erwies sich das natürliche Bakterium als durchsetzungsfähiger im Darm. Die Robustheit des Biosensors wurde also nochmals gesteigert.

Die Forscher haben damit erstmals eindeutig nachgewiesen, dass Biosensoren auch in einer realen Umwelt verlässlich arbeiten können. Ihr System ist so konstruiert, dass das Detektions-Element leicht austauschbar ist - statt des Antibiotikums könnten beliebige andere Substanzen erkannt werden. Somit wird auch eine Anwendung beim Menschen denkbar: Die Biosensoren stellen für den Patienten nur eine geringe Belastung dar und könnten schon bei ersten Anzeichen von Infektionen und Entzündungen zum Einsatz kommen. Bis dahin sind noch viele Hürden zu überwinden, aber diese Ergebnisse zeigen, dass "lebende Diagnostika" grundsätzlich möglich sind.