Balkanstaaten kontern Merkel: "Grenzen geschlossen"

Österreichs Außenminister sieht einen Erfolg monatelanger Bemühungen, Italiens Regierung befürchtet eine Ausweichroute über Albanien

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Die Balkan-Route ist faktisch geschlossen. Entgegen der Erklärung der deutschen Kanzlerin vom Montag, wonach "es nicht darum geht, dass irgendetwas geschlossen wird" (Merkel: Nachhaltig gegen "Balkan-Route ist gesperrt"-Erklärung), entschied Slowenien am Dienstagabend anders, Serbien und Mazedonien folgten.

"Die Balkan-Flüchtlings-Route gibt es nicht mehr", verkündete der slowenische Ministerpräsident Miro Cerar gestern Abend vor TV-Kameras. Ab Mitternacht würden keine Flüchtlinge mehr durchgelassen. Nur mehr Personen mit gültigen Pässen und Visa dürften einreisen.

Pro Monat nur mehr Asyl für 40 bis 50 Menschen

Ausnahmen gebe es für Schutzbedürftige, die in Slowenien Asyl beantragen wollen sowie "in Einzelfällen aus humanitären Gründen", beschied das Innenministerium. Cerar nannte eine Zahl: Pro Monat würden 40 bis 50 Menschen Asyl gewährt.

Aus dem vorgelagerten Kroatien folgte heute eine ähnliche Erklärung. Innenminister Vlaho Orepic teilte mit, dass sein Land, seit Mitternacht dieselben Regeln anwende.

Bereits zuvor kamen zunächst aus Serben, dann aus Mazedonien ebensolche Erklärungen. Galten in Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien jüngst noch "Tagesobergrenzen von 580 Flüchtlingen", ist die Balkanroute mit diesen Ankündigungen "faktisch dicht" (Der Standard).

Merkels Äußerung wurde damit ausmanövriert. Cerars Erklärungen lassen jedoch verstehen, dass die Positionen bei den Verhandlungen beim EU-Treffen am Montag nicht weit auseinanderlagen.

Der Schengenraum müsse gesichert werden, das sei ein Hauptanliegen gewesen. Merkel habe schließlich auch dem Text zugestimmt, wonach die irreguläre Migration auf der Balkanroute nicht mehr existiert. "Weil sie sah, dass dies die einzige sinnvolle Lösung ist, wenn wir Schengen-Raum erhalten wollen."

Damit hat Merkel ihr Einverständnis zu einer gesamteuropäische Lösung gegeben, die - sehr niedrige - Obergrenzen festsetzt, ohne mit einem offen dokumentierten Kurswechsel ihr Image zu beschädigen. Ihre Position in Europa ist allerdings schwächer geworden. Österreich hat sich im Streit durchgesetzt, wie die konzertierte Aktion der Balkanroutenländer zeigt. Der Wiener Außenminister Kurz ist entsprechend zufrieden mit der faktisch durchgesetzten Schließung:

Wir haben monatelang darauf hingearbeitet.

"Die meisten Toten entstehen, wenn wir in Europa offen sind"

Kurz ist davon überzeugt, dass nicht zu befürchten sei, dass sich Flüchtlinge nun über Ausweichrouten auf lebensgefährliche Wege begeben und mehr Tote zu befürchten seien. Das grundlegende Signal ist seiner Ansicht entscheidend. Der Anreiz nach Europa zu kommen, müsse den Menschen genommen werden.

Die meisten Toten entstehen, wenn wir in Europa offen sind und dazu verleiten, dass sich immer mehr auf den Weg machen.

Dieser Behauptung steht allerdings die Zahl vieler Flüchtlinge entgegen, die bereits vor der "Politik des Durchwinkens" bei ihren Versuchen, nach Europa zu gelangen, ums Leben kamen (Völkerwanderung per Boot). So berichtete das Projekt The Migrants' Files im März 2014 von über 23.000 Personen, die von 2000 bis Anfang 2014 auf dem Weg nach Europa gestorben oder als vermisst" gemeldet wurden. Frühere Schätzungen, berichtete damals die Neue Zürcher Zeitung, gingen von von 17.000 bis 19.000 Opfern seit den frühen neunziger Jahren aus.

Italien befürchtet nun einen Flüchtlingszustrom über Albanien. Zwischen Albanien und dem italienischen Apulien liegen nur c.a. 90 km.

"Mit einem schnellen Motorboot kann die Strecke in zwei Stunden bewältigt werden", informiert stol.it. Der Staatssekretär für Europafragen, Sandro Gozi sei bereits nach Tirana gereist, um dem albanischen Premier Edi Rama Italiens Kooperation bei strengeren Kontrollen gegen Schlepper über die Adria anzubieten, wird dort berichtet.

Die Landroute zwischen Griechenland und Albanien

Laut Frontex gehörte die Landroute zwischen Griechenland und Albanien jahrelang zu den bedeutendsten irregulären Migrationswegen über die EU-Außengrenzen. So wurden dort 2008 und 2009 um die 40.000 irreguläre Grenzübertritte verzeichnet. Nach dem im Jahr 2010 albanischen Staatsangehörigen die Visumspflicht für Reisen in die EU erlassen wurde, gingen die Zahlen deutlich zurück. Seit 2013 stiegen die Zahlen wieder an. Für 2015 notiert Frontex fast 9.000 irreguläre Grenzübertritte.

Mögliche Ausweichrouten werfen nicht die einzigen Fragen auf, die sich nach der faktischen Schließung der Balkanroute stellen. Wie Balkan Insight berichtet, stecken noch 1.000 Flüchlinge in Mazedonien an der Grenze zu Serbien fest, weitere 400 in einem Flüchtlingscamp in Slavonski Brod in Kroatien und 400 in Sid, in Serbien. Wie mit ihnen verfahren wird, ist noch unklar.