Bankrotterklärung in Bangkok

Die 15. Welt-AIDS-Konferenz ging heute mit einer verheerender Bilanz zu Ende

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Über 42 Millionen Menschen sind weltweit an dem HI-Virus erkrankt, 90 Prozent von ihnen leben in Schwellen- und Entwicklungsländern. Alle sechs Sekunden kommt es zu einer Neuinfektion. Alle zehn Sekunden stirbt ein Mensch an der Immunschwächekrankheit. Die dramatischen Zahlen waren schon auf der letzten Welt-AIDS-Konferenz 1992 im spanischen Barcelona bekannt. Geschehen ist seither fast nichts (Eine rote Schleife für die Welt).

"Wir alle wissen, was zu tun ist. Alles was fehlt, ist der politische Wille." Mit diesen alarmierenden Worten wandte sich Nelson Mandela am heutigen Freitag, dem letzten Tag der diesjährigen AIDS-Konferenz, an die gut 15.000 Teilnehmer. Der frühere südafrikanische Präsident hatte eigentlich schon vor Wochen seinen Rückzug aus dem öffentlichen Leben bekannt gegeben. Es sei ihm aber ein Anliegen gewesen, diese Worte an die Verantwortlichen für die Blockadepolitik zu richten, sagte der Friedensnobelpreisträger, der am Sonntag seinen 86. Geburtstag feiert. "Lassen Sie mich meinen Ruhestand genießen, indem Sie beweisen, dass Sie den Herausforderungen gewachsen sind", forderte Mandela zum Ende seiner Rede.

Das Scheitern aller bisherigen Bemühungen im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit war in der thailändischen Hauptstadt am letzten Tag der Welt-AIDS-Konferenz trauriger Konsens. So wurde auch in der Abschlusserklärung anerkannt, "dass wir nicht genug getan haben, um Menschen vor neuen Ansteckungen zu bewahren". Auch sei es nicht gelungen, "den Zugang zu erschwinglichen Behandlungs- und Pflegemaßnahmen für alle Bedürftigen zu ermöglichen". Die Erklärung wurde unter anderem von Graça Machel, der Frau von Nelson Mandela, erarbeitet. Doch allem Anschein nach wird es auch bei dieser 15. Welt-AIDS-Konferenz bei leeren Worten, eindringlichen Mahnungen und verärgerten Forderungen bleiben: Die Abschlusserklärung hat keinen verbindlichen Charakter. Sie enthält vielmehr Empfehlungen, die bei der kommenden AIDS-Konferenz im kanadischen Toronto überprüft werden sollen.

Größtes Problem sind die Finanzierung und kostengünstige Generika

Größtes Problem ist nach wie vor die chronische Unterfinanzierung des "Globalen Fonds zur Bekämpfung von Malaria, Tuberkulose und AIDS", der im September 2000 von UN-Generalsekretär Kofi Annan auf der Millenniumskonferenz der Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde. Matthias Fischer, der Pressesprecher des deutschen Aktionsbündnis gegen AIDS, erläuterte im Gespräch mit Telepolis das Ausmaß der Unterfinanzierung. "Ursprünglich wurden dem Globalen Fonds 5,5 Milliarden US-Dollar zugesagt, tatsächlich sind bislang aber nur drei Milliarden eingegangen", so Fischer. Nach Veröffentlichung der jüngsten Infektionszahlen und der daraus erkennbaren Perspektive gingen Experten inzwischen aber von einer notwendigen Finanzierung des Anti-AIDS-Kampfes in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2007 aus. Nach der Bangkoker Konferenz dürfte aber allen Beteiligten klar sein, dass ein solches Finanzengagement nicht zu erwarten ist.

Statt dessen drehte sich der Streit in Bangkok neben der staatlichen Finanzierung vor allem um den Zugang zu Medikamenten. Ärztliche Hilfsorganisationen fordern schon seit Jahren eine Freigabe der Patente von AIDS-Präparaten. Nur so könnten in den Ländern der sogenannten Dritten Welt preisgünstige Generika in großem Maße produziert werden, um der tödlichen Gefahr zu begegnen. In Bangkok nun versuchten internationale Pharmakonzerne diesen Forderungen erstmals mit gut geplanten PR-Kampagnen entgegenzuwirken.

US-Regierung legt sich quer, Bundesregierung zeigt wenig Interesse

"Vor allem das US-amerikanische Hudson Institute trat hier mit Beiträgen auf, die Position gegen den Einsatz von Generika bezogen", sagte Tobias Luppe, der für die ärztliche Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen (MSF) an der Welt-AIDS-Konferenz in Bagkok teilnahm. So habe das Hudson Institute sogar erklärt, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit dem Einsatz nicht getesteter Medikamente unverantwortliche Studien an HIV-Infizierten durchführe. Solche Stellungnahmen hält MSF-Mitarbeiter Luppe für unseriös: "Die WHO unterzieht alle Präparate einem aufwendigen Prüfungsverfahren, bevor sie zertifiziert werden."

Allerdings unterstütze die US-Regierung inzwischen nur noch AIDS-Medikamente, die mit dem Siegel der eigenen Kontrollbehörde (Food and Drug Administration) versehen seien. Diese Position wird von der Bush-Regierung nach Angaben des MSF-Mitarbeiters vertreten, seit diese im Februar 15 Milliarden US-Dollar für den "Kampf gegen AIDS" bereitgestellt hat. Schon damals verurteilten Hilfsorganisationen weltweit die US-Initiative als Subventionsprojekt für die eigene Pharmaindustrie. In Bangkok nun stellte Randall Tobias, der Vorsitzende des US-amerikanischen "Anti-AIDS-Fonds", das FDA-Zertifikat offen über das der WHO, um gegen den Einsatz von Generika Front zu machen.

Während die Bush-Administration offen gegen die Interessen der Betroffenen arbeitete, fiel die Bundesregierung durch Desinteresse auf. Zwar wurde die SPD-Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul seit der vergangenen AIDS-Konferenz 1992 in Barcelona nicht müde, ein verstärktes Engagement beim Kampf gegen AIDS anzukündigen. Tatsächlich aber war die SPD-Grünen-Regierung auf dem Krisengipfel in Bangkok nur durch einen Unterstaatssekretär vertreten. "Das hatten wir uns nicht vorgestellt, als die Ministerin davon gesprochen hat, den Kampf gegen AIDS zum Schwerpunkt in der Entwicklungszusammenarbeit zu machen", so Luppe nach Ende der Konferenz auf Anfrage von Telepolis.