Bau und Gegenbau

Blick über den Strausberger Platz Richtung Alexanderplatz. Bild: Bernhard Wiens

War der Kalte Krieg eine Win-win-Situation der Stadtentwicklung?

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Sie war die "erste sozialistische Straße auf deutschen Boden" - die zeitgleich mit der DDR aus der Taufe gehobene Stalinallee. Dagegen das Westberliner Hansaviertel (1957): Es war die erste in den begrünten Stadtraum aufgefächerte "Stadtlandschaft". Klassizistisch auftrumpfende Tradition gegen vom Bauhaus inspirierte Moderne. Im Osten die prachtvolle und festliche "Achse der Befreiung" und des Friedens, im Westen das heitere und auch wieder festliche "Schaufenster der freien Welt". Die politischen Systeme trugen ihren Wettstreit um die bessere Zukunft demonstrativ in Städtebau und Architektur aus. Der Antrag, beide Quartiere gemeinsam für die UNESCO-Welterbeliste vorzuschlagen, enthielte das architekturpädagogische Moment, den Nachgeborenen die Geschichte einer Systemkonfrontation plastisch vor Augen zu führen.

Hermann Henselmann: Hochhaus an der Weberwiese. Bild: Bernhard Wiens

Sie würden auch lernen, wie die Konfrontation aufzulösen ist. Zwar schaukelten sich in sukzessiven Aufbauetappen "Bau und Gegenbau" immer weiter hoch, bis in guter deutscher Dialektik gar von "Gegengegenbau" gesprochen wird, doch liegt darin auch Versöhnung. Die kam nicht erst 1989. Erstaunlich sind bei allen Differenzen die Analogien und Kontinuitäten des Bauens. Die Linien ziehen sich durch den Nationalsozialismus bis in die 20er Jahre. Nach der Teilung übernahm, jeweils zeitlich versetzt oder latent, der Westen Stilmittel des Ostens und umgekehrt. Die Konfrontation von Tradition und Moderne kann, wie es im Antrag heißt, in eine Koevolution aufgelöst werden.

Was ineinander verwoben ist, ist zunächst chronologisch in vier Phasen teilbar:

1. Wohnzelle Friedrichshain

Die zwei viergeschossigen Laubenganghäuser, die unter diesem Titel längs der Stalinallee 1949/50 verwirklicht worden sind, geben diesem Straßenabschnitt einen musealen Charakter. Sie sind Fremdkörper zwischen den großen Volumen der stalinistischen Architektur der darauffolgenden Phase. So befremdlich sind sie jedoch nicht. Mit ihren außen verlaufenden Fluren knüpfen sie an einen Bauhaus-Typ an. Zu Wohnzellen verdichtet, sollten solche Haustypen das Ideal der aufgelockerten und gegliederten Stadt einlösen, das aus der "Charta von Athen" von 1933 abgeleitet wurde.

Der Kollektivplan von 1946, erarbeitet von einem Team um den für Gesamtberlin verantwortlichen Planer Hans Scharoun, bereitete jenes Ideal für eine Stadt auf, von der Max Frisch schrieb: "Unter dem Asphaltpflaster Berlins liegt der Sand. Die Stadt sinkt in die Natur zurück." Das wurde zum Begriff der Stadtlandschaft ausgeprägt. Die verbliebenen Funktionen werden zu Zellen verdichtet und die Landschaft zieht in Form von Grünzügen in die Stadt, wie die Stadt entlang dem "Urstromtal der Spree" in die Landschaft fließt. Das lässt Landwirtschaft, aber auch Industrie und Straßenbänder zu.

Wo noch nicht gentrifiziert ist, bröckelt es. Bild: Bernhard Wiens

1948 setzte mit der Blockade die Teilung Berlins ein. Scharouns Team schien das nicht bemerken zu wollen, bis Ulbricht persönlich Schluss machte mit Funktionalismus, Formalismus, US-Kosmopolitismus und wie die Schimpfworte alle hießen. Der Kollektivplan verschwand in der Schublade, bis er - in Phase 3 - neue Verwendung fand.

Richard Paulick entwarf diesen Block der Stalinallee. Bild: Bernhard Wiens