Befreit – von den Nazis, doch nicht vom Krieg

Veranstaltungen und eine CD zum 60. Jahrestags des Kriegsendes

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Die Friedensbewegung? Kennt man kaum mehr, wann war das noch mal? Achja, 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Krieg kommt dagegen in dieser Welt nicht aus der Mode, auch wenn in Deutschland nun seit 60 Jahren Ruhe ist. Einige Künstler haben sich Gedanken zu diesem Jahrestag gemacht.

Am 8. Mai ist dieses Jahr was? Genau, Muttertag! Und so fand sich in der Redaktionsmailbox folgendes, auf Telepolis nicht wirklich maßgeschneiderte Angebot:

Unser Kunde – Europas beliebteste Online-Dating-Plattform – möchte allein erziehenden Müttern eine ganz besondere Freunde machen und einen Rundum-Verwöhn-Nachmittag in einem Beautysalon im Wert von 120 Euro zusammen mit Ihnen verlosen. Auch die Kosten für den Babysitter übernehmen wir für die Zeit, in der Mama sich erholt.

Für Frauen sind die Plattform-Dienste mit Ausnahme von SMS kostenlos! Für alle anderen Neu-Kunden gibt es zwei unterschiedliche Bezahlsysteme

Doch welche anderen Arten von Neu-Kunden kann eine Online-Dating-Plattform neben Frauen und Männern wohl noch haben? Hunde? Fahrräder? Bushaltestellen? Und welche davon lesen wohl Telepolis?

Unsere Waffe ist die friedliche Demokratie. Einen anderen Schutz vor Terrorismus gibt es nicht.

Daniela Dahn

Ok, für das Thema Muttertag ist Telepolis vielleicht doch nicht ganz kompetent. Doch jährt sich am 8. Mai 2005 auch das Ende des II. Weltkriegs und damit der Befreiung vom Faschismus. Unter dem Titel Befreit! – Lieder und Texte nach dem 8. Mai beschäftigt sich eine Veranstaltungsreihe und eine CD auf verschiedenste Art und Weise mit diesem historischen Datum, mit Kapitulation, KZ-Befreiung, Kriegsende, Frage nach Gründen für die Naziherrschaft etc.

Das von Diether Dehm zusammengestellte Album enthält sowohl musikalische Beiträge – unter anderem von Konstantin Wecker, Pete Seeger, Manfred Maurenbrecher und Dieter Dehm selbst – als auch hörbuchartig gesprochene Beiträge (Interviews, Reden, Rezitationen), die allerdings praktisch durchgehend mit Musik unterlegt sind und ein in Computern abspielbares MPEG-Video.

Durch den Irakkrieg sind die Gewinne der Rüstungskonzerne weltweit wieder auf den Höchstwert gestiegen, den sie in den Jahren des Kalten Krieges hatten, ermittelte das Stockholmer Friedensinstitut

Daniela Dahn

Die Wortbeiträge stammen u.a. von der Schriftstellerin Daniela Dahm, dem Dramatiker Rolf Hochhuth und dem Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Vortragende sind dabei die Schauspieler Peter Sodann und Götz George oder Willy Brandt, der den Text „Das Weiche Wasser“ spricht, musikalisch untermalt werden die Lesungen unter anderem von Albert Mangelsdorff an der Posaune.

Das Album wühlt dabei nicht wie so viele Filme dieser Tage („Hitlers Nichte“, „Hitlers Architekt“, „Der Untergang“) nur in der braunen Vergangenheit, sondern greift auch aktuelle Probleme wie Kosovo- und Irakkrieg auf und setzt sie in den entsprechenden Kontext. Allerdings ist es teils recht schwer, den Textbeiträgen konzentriert zu folgen, da die Musik nicht – wie in den unsäglichen „Magazinsendungen“ des Rundfunks die Textbeiträge umrahmt und unterbricht, sondern untermalt. Ja, teils sogar eher übermalt.

Für das Geld, das der Kosovo-Krieg gekostst hat, hätte man jeder Familie im Kosovo ein Haus mit Swimmingpool bauen können.

Daniela Dahn

In einer Zeit, in der im Radio Nachrichten ein Nachrichtenbett, Wetter ein Wetterbett und Verkehrsmeldungen ein Verkehrsbett verpasst bekommen, ist Text ohne Musik wohl nicht mehr angesagt, doch dem ernsten Thema wird diese Präsentationsform nicht gerecht. Die reinen Musikstücke und auch die fünfte Version von Konstantin Weckers „Willy“, in der er sich selbst begleitet und somit auch nicht musikalisch beim Erzählen unterbricht, sind einwandfrei und dass im Bonus-Video von Pete Seeger der Ton nicht zum Bild synchron läuft, ist auch zu verschmerzen, doch bei den Texten hätte selbst die Gaga-Lösung von Jürgen Kuttner (Stoppt den Dudel!), Musik auf dem einen und Text auf dem anderen Stereo-Kanal einzuspielen, noch eine Verbesserung gebracht. Damit verschenkt die CD leider viel ihres Potentials.

Wir sind aufgerufen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Frieden ein besseres Geschäft ist als Krieg. Solange sich mit Bombern, Nuinen und Panzern und der langwierigen Beseitigung ihrer Zerstörungen mehr Geld verdienen lässt als mit Bewässerungstechnik, Mähdreschern, Schulen und Krankenhäusern, scheint mir jeder moralische Appell für die Katz.

Daniela Dahn

Am 8. Mai 2005 gibt es unter dem Titel „Befreit“ in Hannover (10 Uhr, Landesbühne), Halle (16 Uhr, Neues Theater) und Leipzig (20 Uhr, Schauspielhaus) auch Veranstaltungen unter anderem mit Konstantin Wecker, Peter Sodann und Rolf Hochhuth.

"Befreit! – Lieder und Texte nach dem 8. Mai", SPV Recordings, mitwirkende Künstler und Friedensaktivisten:

Dr. Daniela Dahn, geb. 1949 in Berlin (DDR); freie Schriftstellerin, Trägerin zahlreicher Literaturpreise (Kurt-Tucholsky-Preis, Fontane-Preis, Louise-Schröder-Medaille, Börne-Preis u. a.); Mitglied des PEN, 2. Vorsitzende des Willy-Brandt-Kreises.

Dr. Diether Dehm, geb. 1950 in Frankfurt/Main, Theater- und Roman-Schriftsteller, Lyriker, Songautor, Sänger.

Prof. Dr. Rudolf Hickel, geb. 1942 in Tübingen, Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen, Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW); Mitherausgeber des Gegengutachtens zum Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR). Er ist auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac und in mehreren Aufsichtsräten.

Rolf Hochhuth, geb. 1931 in Eschwege, Dramatiker, Hauptvertreter des „Dokumentartheaters“; erstes Aufsehen 1963 durch sein Drama „Der Stellvertreter“, in der Regie von Erwin Piscator in Berlin, später verfilmt von Costa Gavras. Durch seinen Artikel in „Die Zeit“ entfachte er die Diskussion um die Vergangenheit von Ministerpräsident Hans Filbinger, die 1978 zu dessen Rücktritt führte.

Michael Letz, geb. 1959 in Berlin; Musikwissenschaftler, Komponist, Pianist, Chorleiter („SADAKO“); seit 1986 Leiter des „Oktoberclub“.

Prof. Albert Mangelsdorff, geb. 1928 in Frankfurt, Gitarrist, Posaunist; organisierte vor 1945 mit seinem Bruder Emil illegale Jazz-Konzerte in Frankfurt/Main, mehrfach international ausgezeichnet, gilt als bedeutendster deutscher Jazzmusiker; u. a. auch wegen neuer Posaunentechnik, mehrstimmige Klänge durch Hineinsingen bei gleichzeitigem Anblasen; Leiter des HR-Jazz-Ensembles, künstlerischer Leiter des Jazzfestivals in Berlin; der Deutsche Jazzpreis der GEMA heißt Albert-Mangelsdorff-Preis.

Dr. Manfred Maurenbrecher, geb. 1950 in Berlin, ist Liedermacher, Kabarettist und Romanautor. 1991 Deutscher Kleinkunstpreis, 1998 Liederpreis des Südwestrundfunks, 2000 Kleinkunstgral Berlin; CDs auf LAMU in Köln.

Pete Seeger, geb. 1919 in Patterson, New York, Singer/Songwriter, stellte sich oft in den Dienst von Bürgerrechts-, Umwelt- und Stop-the-War!-Bewegungen, aber auch linker Parteien. Damit geriet er auf schwarze Listen „unamerikanischer Aktivitäten“, hatte zeitweilig Berufsverbot und wurde Opfer tätlicher Angriffe. Seine Lieder („Where have all the flowers gone“, „Turn, turn, turn“, „If I had a hammer“, „We shall overcome“) und seine Bearbeitung des „Guantanamera“ sind weltweit bekannt.

Peter Sodann, geb. 1936 in Meißen, Theaterleiter, Schauspieler, Kabarettist, Autor; 1961 Gefängnisstrafe wegen staatsfeindlicher Hetze, nach Haftentlassung Spitzendreher, 1975 Schauspieldirektor in Magdeburg, seit 1981 Intendant des Neuen Theaters in Halle, seit 1991 ARD-Tatortkommissar Bruno Ehrlicher.

Konstantin Wecker, geb. 1947 in München; Sänger, Komponist, Lyriker und Romanautor