Bei Bestrahlung Plopp!

Intelligentes Plastik mit Gedächtnis

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Die Entwicklung so genannter intelligenter Werkstoffe, die sich verschiedenen Situationen anpassen, gilt als wichtige Innovationsforschung. Die Idee ist, dass diese Materialien nicht von außen durch Steuerungsmechanismen beeinflusst werden müssen, wenn sich z.B. die Temperatur oder die Druckverhältnisse ändern. Sie „erkennen“ durch ihre speziellen Eigenschaften die neue Situation und passen sich entsprechend an. Jetzt wird ein neuer Kunststoff vorgestellt , der sein eigenes Formgedächtnis hat und bei verschiedenen Lichtbedingungen automatisch seine Gestalt verändert.

In der Vergangenheit haben intelligente Werkstoffe immer wieder Schlagzeilen gemacht: Lebensmittelverpackungen, die ihre Farbe verändern, wenn der Inhalt nicht mehr frisch ist; Autobleche, die nach einem Unfall ihre ursprüngliche Form wieder annehmen; oder medizinische Implantate, die sich im Körper ohne Rückstande auflösen, wenn der Heilungsprozess weit genug fortgeschritten ist.

Ein viel versprechender Ausgangsstoff sind Polymere, große Moleküle, die im einfachsten Fall die Form einer linearen Kette haben, in der sehr viele identische Einheiten, bzw. Segmente aufeinander folgen (Lexikon der Polymere und Kunststoffe).

Kunststoffe sind Werkstoffe aus sehr großen, langen Molekülen. Sie entstehen durch chemische Umwandlung von Naturprodukten wie Erdöl oder auch vollsynthetisch. Ihre Eigenschaften beruhen in erster Linie auf dem strukturellen Aufbau. Polymerisation ist eine chemische Reaktion, die zum Aufbau von sehr großen Molekülen führt, zum Beispiel in der Herstellung von Plastik.

Lichtinduzierter Formgedächtniseffekt eines IPN-Polymers: (a) ursprüngliche, (b) temporär fixierte; (c) und (d) wiederhergestellte Formen mit zunehmender Bestrahlungsdauer. (Bild: GKSS-Forschungszentrum Geesthacht GmbH)

Im Wissenschaftsmagazin Nature stellen Andreas Lendlein vom GKSS-Forschungszentrum Geesthacht und Kollegen von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) ihre „Light-induced shape-memory polymers“ vor: intelligente Kunststoffe, die ihre Form durch Licht ändern.

Plastikblütenblätter

Die Wissenschaftler ließen sich von der Natur inspirieren. Wenn die Sonne scheint, öffnen Blumen ihre Blütenblätter. Setzt nach dem Sonnenuntergang das Zwielicht ein, schließen sie ihre Blüten wieder. Licht ist die Information und die Pflanze reagiert darauf.

Ausgangspunkt der Entwicklung des neuen intelligenten Materials war die Idee, dieses biologische System, bzw. seine Funktionalität technisch nachzubauen. Die Werkstoffwissenschaften haben in den letzten vierzig Jahren verschiedene Materialien mit Materialien entwickelt, die über ein Formgedächtnis verfügen. Im Kunststoffbereich gelang das vor allem über Reaktionen auf Temperaturschwankungen. Andreas Lendlein erklärt den Ansatz seiner Forschung:

Formgedächtnispolymere zeigen eine Reaktion auf einen externen Stimulus. Sie haben die Fähigkeit, eine permanente Form ‚im Gedächtnis’ zu behalten und beim Überschreiten der Schalttemperatur wieder einzunehmen. Es handelt sich dabei nicht um ein einzelnes Polymer, sondern vielmehr um Polymersysteme. Durch nur kleine Änderungen in der chemischen Struktur können verschiedene makroskopische Eigenschaften der Polymersysteme über weite Bereiche variiert werden.

Die neu geschaffenen Polymere reagieren jetzt selbstständig auf ultraviolettes Licht und bleiben dabei über lange Zeit und bei Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius stabil, bzw. kontinuierliche, lichtgesteuerte Formwandler. Das synthetische Material kann mit Licht einer spezifischen Wellenlänge in eine bestimmte Form fixiert werden. Wird der intelligente Werkstoff dann Licht einer anderen, bestimmten Wellenlänge ausgesetzt, stellt er seine ursprüngliche Form wieder her. Verantwortlich dafür sind so genannte molekulare Schalter, fotosensitive Gruppen, die unter Einwirkung von Licht verschiedener Wellenlänge untereinander Bindungen eingehen und wieder spalten.

Lichtinduzierter Formgedächtniseffekt eines IPN-Polymers: v.l.n.r. ursprüngliche, temporär fixierte und wiederhergestellte Form

Mögliche Anwendungsbereiche für das innovative Material sehen die Wissenschaftler vor allem in der Medizin, zum Beispiel für intelligente Fäden, die sich nach dem Nähen einer Wunde selbst zusammenziehen und dadurch das Vernähen unnötig machen; oder für Stents, die kleinen Gittergerüste, die als Abstützung in Blutgefäße implantiert werden, um Verstopfungen oder einen Verschluss zu verhindern.