Belarus: Die Zerstörung einer Gegen-Elite

Polizeieinsatz in Minsk (November 2020) Foto: Homoatrox / CC-BY-SA-3.0

Repressionswelle gegen belorussische Opposition: Experten vermuten neben Lukaschenkos Willen zur "Säuberung" Stimmungsmache für ein geplantes Verfassungsreferendum

Die oppositionelle Onlinezeitung Zerkalo, Nachfolgerin des von der Regierung in Minsk geschlossenen Onlineportals tut.by, listet in einem aktuellen Artikel 15 Organisationen in Belarus auf, die in dieser Woche von Razzien betroffen waren - darunter Berufsverbände, Menschenrechtsorganisationen und Parteien. Dabei seien 32 namentlich bekannte Personen festgenommen worden: Verbandsfunktionäre, Politiker, Gewerkschafter und Aktivisten.

"Lukaschenko zerstört die nationale Elite" kommentierte die Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta die Repressionswelle im Nachbarland. Sie zitiert den weißrussischen Politologen Pawel Usow, der glaubt, dass die Gegenbewegung zur Regierung Alexander Lukaschenkos mit den Maßnahmen endgültig mundtot gemacht werden soll. Er denkt auch nicht, dass nach den jüngsten Verhaftungen Schluss erst einmal Schluss sein wird - eher würden sich die Behörden nach der Führung auch die tieferen Etagen der Oppositionsbewegung vornehmen.

Lukaschenko selbst hat sein eigenes Bild der Oppositionellen am Rande eines Treffens mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sehr deutlich gemacht. "Ekelhafte NGOs" würden nach seiner Auffassung unter dem Deckmantel der Demokratie Terror schüren, zitiert ihn die russische Zeitung Kommersant.

Ein Referendum steht bevor

Dass all diese Maßnahmen genau jetzt stattfinden, ist kein Zufall. Ein Referendum über eine von Lukaschenko federführend geplante Verfassungsänderung steht in Kürze an. Hierbei haben die Weißrussen jedoch nur die Auswahl, die neue Lukaschenko-Verfassung anzunehmen oder dies abzulehnen, wodurch die alte Lukaschenko-Verfassung weiter gelten würde. Widerspruch von regierungskritischen Stimmen ist hier vorprogrammiert - und von den Behörden des Präsidenten nicht gerne gesehen.

So laufen weitere Maßnahmen gegen die verbliebenen regierungsunabhängigen Medien im Land. Vergangene Woche wurde die Redaktion der Onlinezeitung Nascha Niwa durchsucht, es wurden Geschäftspapiere beschlagnahmt und ihre Webseite abgeschaltet. Nascha Niwa ist dabei ein sehr traditionsreiches Blatt, das bereits seit dem Ende der Sowjetunion 1991 zunächst in Papierform erschien und 2018 auf ein Onlineformat umgestellt wurde.

Das gleiche Schicksal ereilte auch zwei regionale Webnews-Portale, die Brestskaja Gaseta und Intex-Press. Die Zeitungen entziehen sich dem Einfluss der Behörden dabei oft durch Wegzug ins Ausland und dem dortigen Aufbau neuer Angebote - einen solchen Schritt hat auch die Redaktion von Nascha Niwa angekündigt.

Strafrechtliche Vorwände für den richtigen Moment

Die Rechtfertigungsstrategie der Strafverfolgungsbehörden für solche Maßnahmen basiert darauf, dass den Oppositionellen bei passender Gelegenheit vorgeblich neu entdeckte strafrechtlich relevante Sachverhalte zur Last gelegt werden, die mit der unliebsamen Oppositionstätigkeit direkt nichts zu tun haben, aber nach und nach die Anführer des gesamten Anti-Lukaschenko-Widerstands im Land hinter Gitter bringen. So wurde tut.by formalrechtlich wegen Steuerhinterziehung geschlossen oder der Lukaschenko-Gegenkandidat Babariko wegen Geldwäsche verurteilt.

Der Oppositionsanwalt Gaschinsky, der unter anderem zwei in Minsk festgehaltene Russen vertritt, verliert nahezu zeitgleich seine Zulassung. Formalrechtliche Begründung ist bei ihm laut der russischen Nachrichtenagentur Tass "die Verletzung gesetzlich festgelegter Voraussetzungen". Das veranlasste selbst die regierungsnahe russische Traditionsagentur zu der Bemerkung, es sei auffällig, dass Anwälte in Weißrussland ihre Lizenz immer dann verlieren, wenn sie hochkarätige politische Fälle annehmen.

Weitere strafrechtliche Vorschriften, um gegen Oppositionelle vorgehen zu können, sind bereits in Arbeit. So bereitet das belorussische Innenministerium laut der russischen Zeitung Wedomosti einen Gesetzentwurf vor, um die bei Lukaschenko-Gegnern beliebte weiß-rot-weiße Fahne als Nazi-Symbol zu verbieten. Tatsächlich wurde die Fahne im Zweiten Weltkrieg von weißrussischen Kollaborateuren mit den deutschen Besatzern genutzt wurde. Entstanden ist sie jedoch bereits 1917 im Rahmen der belorussischen Unabhängigkeitsbewegung vom Zarenreich und war vor Lukaschenko in den 1990er-Jahren sogar für kurze Zeit Nationalflagge, was ihre Beliebtheit unter dessen Gegnern erklärt.

Weiterer Hinweis auf erpresste Geständnisse

Eine weitere Strategie der Offiziellen ist die Erpressung von Geständnissen in Haft. Nach dem sehr kooperationsbereit wirkenden früheren Blogger Roman Protasewitsch hat nun auch der inhaftierte Russe Jegor Dudnikow sein Umfeld in einer Videoaussage umfassend belastet. Bei diesem Geständnis gibt es jedoch laut der russischen Nowaja Gaseta eindeutige Hinweise auf Gewaltanwendungen durch die Vertreter der Behörden aus der Phase, als er seine Schuld noch nicht gestand. Das erhärtet natürlich den schon bestehenden Verdacht, dass mehrere in Belarus groß verkündete Geständnisse der letzten Wochen nur durch Gewalt und Erpressung zustande gekommen sind.

Sollte Lukaschenko seine innenpolitische Strategie gegenüber der Opposition fortsetzen, wird das über kurz oder lang dazu führen, dass die gesamte Führungsschicht seiner Kritiker entweder in Haft sitzt oder ins Ausland geflohen ist. Dass dieser repressive Weg im Land mehr Zufriedenheit schafft, darf bezweifelt werden. Die Exil-Opposition wird sich notgedrungen - wie bereits die frühere Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja - ganz in die unterstützenden Hände westlicher Förderer begeben, die ihrerseits nicht ohne geopolitische Hintergedanken helfen.