Bequemer regieren

Die große Koalition in Österreich plant eine Verfassungsänderung, die Interpretationsmöglichkeiten für eine starke Einschränkung plebiszitärer Elemente zugunsten der Europäischen Union bietet

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Während der ORF nur Augen für die Abstimmung zur Verfassungsänderung in Venezuela hatte (und ein wenig noch für die Frage, ob Putin in Russland eine Stoiber-Mehrheit erreicht oder nicht) bahnte sich auch in Österreich eine Verfassungsänderung an möglicherweise gravierenden Auswirkungen.

Das österreichische Parlament besteht aus zwei Kammern: Dem direkt gewählten Nationalrat und dem Bundesrat mit Vertretern aus den Parlamenten der Bundesländer. Die große Koalition aus SPÖ und ÖVP verfügt im Nationalrat über 133 von 183 Abgeordneten. Den Rest der Sitze teilen sich Grüne (21), FPÖ (21), BZÖ (7) und LiF (1). Von den insgesamt 62 Bundesratssitzen besetzen die Abgeordneten der großen Koalition 55, die Grünen vier, das BZÖ zwei und die FPÖ einen. Mit ihrer komfortablen Zweidrittelmehrheit können SPÖ und OVP auch Verfassungsänderungen beschließen.

Genau so eine Verfassungsänderung plant die Regierung derzeit mit dem esverfassungsrechtsbereinigungsgesetz 4. oder am 5. Dezember soll die Vorlage den Nationalrat passieren. Das Gesetz ändert das Ratifizierungsverfahren von EU-Verträgen und anderen Staatsverträgen. Durch den neu gefassten Artikel 50 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) würde die Regierung die bald anstehende Ratifikation des "EU-Reformvertrages" wesentlich schneller durch das Parlament bekommen. Weil dafür in Zukunft kein spezielles Ermächtigungsgesetz mehr notwendig sein soll, sprechen Gegner auch von einem "Verfassungsbruchbeschleunigungsgesetz".

Versteckt wurde die Verfassungsänderung in einem Gesetz, das sich eigentlich mit dem Asylrecht befasst, weshalb es bisher öffentlich kaum wahrgenommen wurde. Eine Praxis, die man in den USA "Paperclipping" nennt. Neben den Verfassungsänderungen enthält das Gesetzespaket darüber hinaus auch eine lange Liste von zu entsorgenden Bestimmungen, die überwiegend so bedeutsam klingen wie die "Rindfleischvermarktungsrichtlinie" von 1954.

Es ist deshalb nicht sehr verwunderlich, dass das esverfassungsrechtsbereinigungsgesetzÖsterreich bisher nur wenig mediales Aufsehen erregte. Wenn von den Regelungen überhaupt zu lesen war, dann wurde die Formulierung der Regierungsparteien übernommen, dass lediglich das Ratifikationsverfahren für EU-Verträge "vereinfacht" werden solle.

Dabei gibt es durchaus Anhaltspunkte, dass die Möglichkeiten der direkten Demokratie in Österreich durch das Gesetz erheblich eingeschränkt werden könnten: Artikel 50 des B-VG erlaubt in der jetzigen Fassung eine Volksabstimmung über Verträge wie den "EU-Reformvertrag", wenn ein Drittel der Nationalrats- oder Bundesrats-Abgeordneten zustimmen. Nach Angaben der iative für mehr direkte Demokratietp://www.mehr-demokratie.at/ soll das geplante esverfassungsrechtsbereinigungsgesetz" diese Möglichkeit erheblich einschränken.

Dem widerspricht die ebenfalls EU-kritische Linzer Werkstatt Frieden & Solidarität, die der Auffassung ist, dass die plebiszitären Möglichkeiten bestehen bleiben, weil im Absatz 4 des Artikels 50 durch die Formulierung "unbeschadet des Artikels 44 Absatz 3" explizit darauf hingewiesen würde. Artikel 44 Absatz 3 B-VG regelt, dass Volksabstimmungen bei "Gesamtänderungen" der Verfassung verpflichtend sind und dass es für sonstige Verfassungsänderungen Plebiszite gibt, wenn ein Drittel der Abgeordneten im Nationalrat oder im Bundesrat dies verlangt. Die Linzer gehen deshalb davon aus, dass auch in Zukunft ein Drittel des National- oder Bundesrats eine Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag erzwingen kann.

Die Initiative Demokratie Österreichtp://www.mehr-demokratie.at/ ist dagegen der Ansicht, dass es "mehr als fraglich" ist, ob nach einer Verabschiedung des Gesetzes eine Volksabstimmung über den "EU-Reformvertrag" zugelassen würde, selbst wenn sich ein Drittel der Abgeordneten dafür aussprächen. Das Problem liegt nach Ansicht der Initiative in der Systematik der Neuregelung, die in "Staatsverträgen" und "Gesetzen" etwas grundsätzlich anderes sieht. Deshalb bestünden "erhebliche Zweifel, ob bzw. inwieweit Bestimmungen für Verfassungsgesetze (insbesondere Artikel 44 Absatz 3 B-VG) auch auf Staatsverträge anwendbar sind." Auslegungsprobleme liegen der Bürgerbewegung zufolge unter anderem darin, ob eine Volksabstimmung nur über ein Gesetz, oder auch über einen Staatsvertrag abgehalten werden kann.

Zwar sei eine Interpretation des Artikels 50 Absatz 4 B-VG denkbar, die auch letzteres erlaube, allerdings wird in den offiziellen Erläuterungen zur Regierungsvorlage nach Ansicht der Bürgerbewegung "die Auffassung vertreten, dass über einen Staatsvertrag als solchen keine Volksabstimmung abgehalten werden kann", was auch Rückschlüsse auf eine "unmittelbare Anwendbarkeit dieses parlamentarischen Minderheitenrechts auf Staatsverträge" zulasse. Im Rahmen der "historischen Interpretation" von Rechtstexten müssen sich Gerichte mit den vom Gesetzgeber veröffentlichten Erläuterungen einer Regierungsvorlage zumindest intensiv auseinandersetzen. Folgt ein Gericht solch einer Interpretation des Artikels 50 B-VG, dann hätte dies zur Folge, dass die Regelung des Artikels 44 Absatz 3 B-VG, wonach ein Drittel der Abgeordneten eine Volksabstimmung einleiten kann, zwar weiter besteht, aber für EU-Verträge "ins Leere läuft".

"Mehr Demokratie Österreich" kündigte gestern an, auch nach der Gesetzesänderung ein Drittel der Abgeordneten für das Einleiten einer Volksabstimmung gegen den "EU-Reformvertrag" gewinnen zu wollen. Hoffnung hierfür besteht insofern, als sich mittlerweile kommunale Mandatsträger aus allen Parteien für eine Volksabstimmung zur in "Reformvertrag" umbenannten EU-Verfassung aussprachen. Die Spitzen von SPÖ und ÖVP zeigen sich jedoch weiter als unbeirrte Gegner solch einer Lösung.

Allerdings geht die Initiative im Falle einer Verabschiedung des esverfassungsrechtsbereinigungsgesetzesh eigenen Angaben davon aus, dass die politischen Eliten ausreichend namhafte Rechtsgelehrte finden werden, welche die von der Initiative befürchtete Interpretation schnell zur herrschenden Meinung machen und so eine Volksabstimmung nicht zulassen würden.