zurück zum Artikel

Berlin möchte ein bisschen Klimaschutz

Deich in Büsum. Bild: Dirk Ingo Franke/CC BY-SA-3.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Von einem eher verspäteten Kohleausstieg, steigenden Hochwassern, Kürzungen beim Küstenschutz und EU-Mitgliedern, die wenig von Klimaschutz halten

Berlin steigt langsam aus der Kohle aus. Vergangene Woche wurde im Heizkraftwerk Klingenberg, an der Spree im Osten der Stadt gelegen, der Umstieg von Braunkohle auf Erdgas [1] vollzogen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass Vattenfall an dieser Stelle ein neues Braunkohlekraftwerk erreichten wollte.

Ein 800-Megawatt-Großkraftwerk hatte ursprünglich an dem jetzt umgerüsteten Standort entstehen sollen. Nach erheblichen Protesten [2] nahm der schwedische Konzern davon 2009 Abstand, was ihn vor einer gewaltigen Fehlinvestition bewahrt haben dürfte. Auch die Idee, an der Stelle ein Biomassekraftwerk zu errichten, wurde schließlich aufgegeben. Das dafür benötigte Holz hatte aus Westafrika importiert werden sollen. Entsprechend war das Vorhaben ebenfalls von Umweltschützern vehement kritisiert worden, die Raubbau an tropischen Wäldern befürchteten.

Seit dem 24. Mai ist Berlin also Braunkohle frei, wenn auch noch Braunkohlestrom aus den Kraftwerken in der südost-brandenburgischen Lausitz bezogen wird. In der Bundeshauptstadt selbst laufen noch drei Steinkohlekraftwerke, die über wiegend zur Bedienung des Fernwärmenetzes im Betrieb sind. Bis spätestens 2030, so steht es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linkspartei sollen sie vom Netz gehen.

Berlin will symbolisch aus der Kohle aussteigen

Zu diesem Zweck hat der Senat kürzlich einen Entwurf [3] vorgelegt, mit dem das Energiewendegesetz geändert werden soll. Der sieht allerdings noch keinen Ausstiegsplan vor, sondern formuliert lediglich als verbindliches Ziel, bis 2030 auch aus der Steinkohleverbrennung aussteigen zu wollen. Angesichts dessen, dass die in Frage stehenden Heizkraftwerke bereits über 30, in einem Fall sogar über 40 Jahre laufen und ohnehin in nicht allzu ferner Zukunft ersetzt werden müssen, ist das kein besonders ehrgeiziges Ziel.

Insbesondere, da alles nach einem Ersatz durch Erdgasanlagen aussieht. Die emittieren zwar deutlich weniger CO2, tragen aber durchaus weiter zum Treibhauseffekt bei. Nur wenn das verbrannte Methan nicht mehr aus Erdgas, sondern aus Biogas stammen würde oder wenn es mit überschüssigem Sonnen- oder Windstrom synthetisiert wäre, liefen die Kraftwerke wirklich klimafreundlich. Aber das ist noch Zukunftsmusik und so ist denn auch der Berliner Kohleausstieg zunächst eher ein symbolischer. Zumal die Gelegenheit versäumt wurde, die Ziele des Energiewendegesetzes an die Vorgaben des Pariser Abkommens anzupassen. Dieses fordert eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius und weitere Verhandlungen darüber, dieses Ziel auf eine Obergrenze von 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Um das zu erreichen, müssten Deutschland und damit auch Berlin seine Treibhausgasemissionen schon vor 2050 auf Null herunter fahren und nicht nur auf 15 Prozent des Niveaus von 1990, wie es unverändert im erwähnten Berliner Landesgesetz steht. Beim Freiburger Ökoinstitut, schreibt [4] die tageszeitung, hält man einen Berliner Kohleausstieg bis 2019 für möglich und nötig, um die Pariser Ziele zu erreichen.

Deiche müssen höher werden

Andernfalls gibt es nasse Füße. Vorerst nicht in Berlin, denn bis das Meer dorthin vordringt, wird es weit über 1000 Jahre dauern und dafür bräuchte es wohl eine globale Erwärmung von vier Grad oder mehr. Aber schon lange vorher, vermutlich bereits in den nächsten Jahrzehnten, werden viele Küstenländer zunehmend stärker durch Sturmfluten gefährdet. Wir hatten an dieser Stelle kürzlich über eine Studie berichtet [5], die für viele Weltregionen schon bis 2050 eine Zunahme von schweren Sturmfluten prognostiziert.

Schutz können Deiche liefern, doch wie hoch müssen diese ausfallen? Arne Arns, der sich an der Uni Siegen mit Küstenschutz, das heißt, mit Deichbau und Ähnlichem beschäftigt, erklärt [6] auf dem Wissenschaftsblog von Spektrum.de den Zusammenhang zwischen Anstieg des mittleren Meeresspiegels und der benötigten Deichhöhe.

Anders als man vermuten könnte, reicht es bei einem Anstieg des mittleren Meeresspiegels um 50 Zentimeter in den seltensten Fällen aus, den Deich um eben diesen Betrag zu erhöhen. An der schleswig-holsteinischen Nordseeküste müsse vielmehr, um das gegenwärtige Schutzniveau zu erhalten, so Arns, noch einmal je nach lokalen Verhältnissen 25 bis 50 Zentimeter drauf gepackt werden.

Das liegt daran, dass die Deiche gegen Extremwasserstände schützen sollen, wie sie nur alle 200 Jahre vorkommen. Diese setzen sich aus dem mittleren Meeresspiegel, dem Windstau und der astronomischen Tide zusammen, wobei, so Arns, die Komponenten sich nicht einfach linear addieren. Etwas verkürzt lässt sich sagen, dass der Wassertiefe eine entscheidende Rolle zukommt. Diese steigt durch den Anstieg des Meeresspiegels. Dadurch wird die Tide weniger durch Reibung deformiert und ihre Amplitude wird größer. Andererseits wird der Effekt des Windstaus durch die größere Wassertiefe verringert.

Als Drittes spielt für die Extremwasserstände noch eine Rolle, wie weit die Wellen die Deiche hochlaufen. Das ist wiederum von ihrer Größe und dem Punkt abhängig, an dem sie brechen. Generell gilt, dass die Wellenhöhe maximal das 1,2-Fache der Wassertiefe betragen kann. Eine größere Wassertiefe bedeutet also, dass höhere Wellen die Küste erreichen können, die dann auch entsprechend weiter den Deich hoch laufen.

Das alles lässt sich nur noch abschätzen, indem man die Prozesse mathematisch modelliert und simuliert, soll heißen, mit einem Computerprogramm nachvollzieht, wie es Arns gemeinsam mit Kollegen für die schleswig-holsteinische Küste mit dem genannten Ergebnis unternommen hat. Unberücksichtigt blieb dabei, wie er anmerkt, die Entwicklung des Wattenmeeres. In Teilen der Deutschen Bucht werde bereits jetzt ein Aufwachsen des Watts beobachtet. Das würde bedeuten, dass die Wassertiefe weniger zunimmt und somit die Küsten weniger stark bedroht würden. In diesem Punkt wird aber auf jeden Fall mit großen lokalen Differenzen zu rechnen sein.

Kein Geld für Forschung zum Küstenschutz in den USA und Australien

Gute Gründe also, auf diesem Gebiet weitere Untersuchungen und Beobachtungen anzustellen, und zwar sicherlich nicht nur in der Deutschen Bucht, sondern an allen Küsten des Planeten, an denen Menschen leben und teure Infrastruktur durch steigende Fluten gefährdet werden könnten. In den USA und Australien scheint man allerdings anderer Ansicht zu sein. Im jüngsten Haushaltsentwurf der US-Regierung fehlen die Mittel für das 50 Jahre alte National Sea Grant College Program. Mit dem wird Forschung unterstützt, die den Gemeinden an der Küste zugutekommt. Unter anderem ging es dabei in den letzten Jahrzehnten um Fischerei, aber zuletzt auch viel um die Anpassung an den Klimawandel. Von diesem wird die US-Ostküste besonders betroffen sein, weil dort der Meeresspiegel überdurchschnittlich ansteigt.

Auch in Australien, wo das Great Barrier Reef, das größte Korallenriff der Erde, bereits erheblich und irreparabel geschädigt ist [7], meint die Regierung, sich Küstenschutzforschung sparen zu können. Für die National Climate Change Adaptation Research Facility [8], ein Institut, das die Forschung über die Anpassung an den Klimawandel koordiniert, sind im neuesten Haushaltsentwurf der Regierung in Canberra keine Mittel mehr vorgesehen. Das geht aus einem Bericht [9] des Magazins The Ecologist hervor. Die Autoren, zwei Wissenschaftler der Uni Canberra, werfen der Regierung vor, durch die Vernachlässigung der Anpassung an den Klimawandel Menschen und Investitionen in Gefahr zu bringen.

Übernehmen die Schwellenländer die Führung?

Für derlei Kürzungspolitik wird man auf dem noch bis zum morgigen Mittwoch in Berlin tagenden T20-Treffen [10] sicherlich wenig Verständnis haben. Im Vorfeld des diesjährigenG-20-Gipfels [11] treffen sich in der Bundeshauptstadt von führenden Forschungsinstituten und Think Tanks der G-20-Staaten [12].

Auf dem Programm stehen unter anderem Klimapolitik, Besteuerung von Treibhausgasen, nachhaltige Landwirtschaft und die ausreichende Versorgung aller Menschen, damit dem Hunger endlich ein Ende gemacht wird. Für Mittwoch hat sich unter anderem der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang angekündigt. In China mag man ein ähnliches Verhältnis zur Pressefreiheit haben, wie der neue US-Präsident, von der Wissenschaft pflegt man jedoch eindeutig eine höhere Meinung als die neue Trump-Regierung.

Wir hatten ja bereits kurz über das Ende der Klima-Diplomatie im Rahmen der G-7-Staaten berichtet [13]. US-Präsident Donald Trump ist offensichtlich wild entschlossen, alle diplomatischen Spielregeln fahren zu lassen und macht aus einem Unwillen, Klimaschutz zu betreiben keinerlei Hehl mehr. Für die anderen Industriestaaten könnte sich daraus demnächst die ungemütliche Situation ergeben, selbst Farbe bekennen zu müssen. Insbesondere dann, wenn die Schwellenländer nicht mehr in alte Gewohnheiten zurück verfallen und sich eigener Anstrengungen mit dem Verweis auf die Untätigkeiten der USA verweigern. Sollten sie, wie es sich im Falle Chinas und mit Abstrichen auch Indiens [14] bereits andeutet, an den eingegangenen Verpflichtungen festhalten und gar zusätzlich noch weitere auf sich nehmen - was ihnen angesichts des rasanten Preisverfalls bei Solar- und Windenergie nicht allzu schwer fallen dürfte - dann wird es der EU schwer fallen, sich allein deshalb weiter als Musterknabe zu gerieren, weil der Einäugige unter den Blinden der König ist.

Zähe Verhandlungen in der EU In diesem Zusammenhang fragt [15] Femke de Jong im Internetmagazin Euractive, wer sich eigentlich in Europa um die Umsetzung des Pariser Abkommens [16] kümmert. In den gerade stattfindenden Verhandlungen über die EU-Klimapolitik bis 2030 zeige sich, dass einige Staaten gerne allerlei Schlupflöcher in die entsprechende Direktive einbauen wollten. Namentlich werden Frankreich, Ungarn, Irland und Polen genannt. Auch im EU-Parlament gebe es eine Gruppe von konservativen Politikern, die die Maßnahmen gerne abschwächen würden. Unter anderem ist strittig in welchem Umfang Aufforstung als Klimaschutzmaßnahme angerechnet werden kann. Gegner einer derartigen Verrechnung befürchten, dass das in nachwachsenden Bäumen gespeicherte Treibhausgas CO2 nicht dauerhaft der Atmosphäre entzogen bleibt, sondern durch spätere Abholzung und Verbrennung oder Verwesung wieder frei gesetzt werden könnte. Interessant ist dabei unter anderem, was der Guardian über die britische Verhandlungsposition berichtet [17]. Demnach versucht die Londoner Regierung offensichtlich, die Energiesparziele der EU für das Jahr 2030 zu verwässern, obwohl die entsprechende Gesetzgebung in der Staatengemeinschaft erst in Kraft treten wird, wenn Großbritannien die Union verlassen hat. Wie es aussieht, macht sich die konservative Regierung noch auf den letzten Metern zum Handlanger der großen Stromkonzerne, von denen der Verhandlungstext in seiner jetzigen Form verlangt, dass sie ihre abgesetzten Strommengen im nächsten Jahrzehnt reduzieren sollen.

Die Entscheidung über die 2030er Zielmarke für den Ausbau der erneuerbaren Energien ist nicht vor Jahresende zu erwarten. Derzeit beraten EU-Parlament und -Rat, das heißt, die Regierungen der Mitgliedsländer, getrennt in Ausschüssen und Arbeitsgruppen. Im November wird das Parlament abstimmen. Sollten sich Parlament und Rat auf den gleichen Text einigen, ist die Direktive damit angenommen. Andernfalls gibt es Nachverhandlungen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3729177

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.rbb-online.de/wirtschaft/beitrag/2017/05/klingenberg-schippt-letzte-braunkohle.html
[2] http://www.weed-online.org/meldungen/2271210.html
[3] http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/DruckSachen/d18-0329.pdf
[4] https://www.taz.de/Kohleausstieg-auf-Berliner-Art/!5409556/
[5] https://www.heise.de/tp/features/Mehr-schwere-Sturmfluten-3723745.html?seite=2
[6] https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/um-wie-viel-muessen-wir-die-deiche-der-nordsee-erhoehen/
[7] http://www.telegraph.co.uk/news/2017/05/29/great-barrier-reef-damaged-beyond-repair-can-no-longer-saved/
[8] https://www.nccarf.edu.au/
[9] https://thinkprogress.org/trump-seeks-to-eliminate-climate-adaptation-program-77e6d122dab0?gi=903bb25e92f2
[10] http://www.t20germany.org/
[11] https://www.heise.de/tp/features/Darf-beim-G-20-Gipfel-in-Hamburg-scharf-geschossen-werden-3713239.html
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppe_der_zwanzig_wichtigsten_Industrie-_und_Schwellenl%C3%A4nder
[13] https://www.heise.de/tp/news/G7-Das-Ende-des-Westens-3726958.html
[14] https://qz.com/992611/from-coal-to-solar-indias-energy-landscape-is-almost-too-hard-to-keep-up-with/
[15] https://www.euractiv.com/section/emissions-trading-scheme/opinion/who-is-still-pursuing-the-paris-climate-goals-in-europe/
[16] http://unfccc.int/paris_agreement/items/9485.php
[17] https://www.theguardian.com/environment/2017/may/28/uk-presses-europe-to-dilute-flagship-energy-efficiency-law