Besser Lauschen: Österreichs Militärgeheimdienst holt sich mehr Befugnisse

Datenschützer und Bürgerrechtler sprechen empört von einer parlamentarischen Nacht- und Nebelaktion

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So schnell kann es gehen. Zwei Parlamentarier bringen kurzfristig einen Abänderungsantrag zu einem Gesetzesvorhaben ein. Und bereits wenige Stunden später sind die Österreicher um einige Bürgerrechte ärmer. Künftig dürfen "militärische Organe" im Prinzip jeder Zeit Daten von Telekom-Kunden einfordern.

Konkret hieß es in dem Antrag, der kürzlich im Österreichischen Parlament mit den Stimmen der rechts-konservativen Mehrheit angenommen wurde:

"Militärische Organe und Dienststellen nach Abs. 1 dürfen von den Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste jene Auskünfte über Namen, Anschrift und Teilnehmernummer eines bestimmten Anschlusses verlangen, die diese Organe und Dienststellen als wesentliche Voraussetzung zur Erfüllung von Aufgaben der nachrichtendienstlichen Aufklärung oder Abwehr benötigen. Die ersuchte Stelle ist verpflichtet, die Auskunft unverzüglich und kostenlos zu erteilen."

Für Datenschützer und Bürgerrechtsvereine - wie VIBE!AT, quintessenz und die ARGE Daten ist dieser Passus schlicht ein Skandal. Betroffen sind sämtliche Betreiber öffentlicher Telekommunikationsdienste, also alle Telefonie-, Mobilfunk- und Internet-Kunden.

"Die unbestimmten Formulierung 'wesentliche Voraussetzung' erlaubt es jedem Militärorgan, jeder Zeit Telekomauskünfte anzufordern", empört sich Hans G. Zeger, ARGE-Daten-Obmann. Mit Bedacht wäre die allgemeine Formulierung "militärische Organe" gewählt worden, wodurch jeder beliebige Wachmann im Dienst Zugriff auf Telekomdaten hätte. "Ein unverschämter Freibrief, der durch keinerlei Gefahren- oder Bedrohungsszenarien gerechtfertigt ist. Selbst im Bereich des Innenministeriums besteht eine minimale demokratische Beißhemmung, die die Beamten vor allzu willkürlicher Benutzung von Lauschermächtigungen zurück schrecken lässt", so Zeger unter Hinweis auf die bedeutend strengeren Kontrollbestimmungen bei Erhebungen durch die Exekutive.

Ganz ähnlich sieht das VIBE!AT, ein Verein für Internetbenutzer in Österreich. Sie stört zudem die Kostenabwälzung auf die betroffenen Telekom-Dienstleister. Anders als bei Auskünften, die von Seiten der Polizei eingeholt werden und hier der Staat die Personalkosten mitträgt, scheinen sich die Antragssteller im Sinne der Militärdienste kaum Gedanken über den Kostenfaktor gemacht zu haben. Dabei hatte es erst vor wenigen Monaten einen lauten Aufschrei von Seiten der Mobilfunk-Betreiber gegeben, als die Implementierung des ETSI-Standards beschlossen wurde (Handyfirmen entdecken den Kostenfaktor Überwachung). Die Anbieter dürften tatsächlich wenig Freude mit diesem neuen Gesetz zugunsten der Militärgeheimdienste haben. Denn bereits die polizeilichen Anfragen halten die Unternehmen gehörig auf Trab. So beschäftigt allein der Marktzweite im österreichischen Mobilfunkgeschäft T-Mobile vier Fulltime-Arbeitnehmer für Prüfung und Beauskunftung.

VIBE!AT wiederum argumentiert stellvertretend für die österreichischen Internet-Nutzer: "Die Verlagerung der Kosten für die Landesverteidigung hin zu privaten Dienstleistern ist de facto einer Steuererhöhung gleichzusetzen von der die Kunden der betroffenen Dienstleister betroffen sein werden. Darüber hinaus erschwert diese Kostenverlagerung auch eine demokratische Kontrolle des Umfanges der jährlichen Datenzugriffe, da die diesbezüglich gemachten Angaben nicht anhand der Gesamtkosten auf Plausibilität geprüft werden können", so Andreas Krisch.

Insbesondere gebe aber auch die Vorgangsweise zu denken. Denn eine öffentliche Diskussion wurde gänzlich ausgespart und der Datenschutzrat umgangenen. Dies war aufgrund des formell korrekten, aber eben kurzfristigen Einbringens eines Abänderungsantrag möglich. VIBE!AT forderte nach Bekanntwerden dieses Vorgangs die Regierungsparteien auf, den Beschluss rückgängig zu machen, "ein öffentliches Begutachtungsverfahren einzuleiten und den Datenschutzrat mit der Überprüfung zu befassen".

Quintessenz, die auch den jährlichen Big Brother Award Austria vergibt, ließ sich etwas Besonderes einfallen. Vergeben wurde kurzerhand als neuer Preis der "Plumbo" (ein Gerät, das üblicherweise bei verstopften Toiletten zum Einsatz gelangt) - an die beiden Abgeordneten Wolfgang Jung (FPÖ, zuletzt Brigadier beim Heeresnachrichtenamt) und Johann Loos (ÖVP, zuletzt Oberst im Generalstab), die den Antrag eingebracht hatten, und an das Heeresnachrichtenamt (HNA), das offensichtlich diese neuen Befugnisse forderte. Die Begründung der Quintessenz hat wie alle anderen Reaktionen aufgrund ihrer im sonst so gemütlichen Österreich auffallenden Schärfe Seltenheitswert: "Wenn nur noch grobe Klötze unterwegs sind, dann gilt es, mit einem Instrument zurückzuschlagen, das adäquat ist."