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Bidens blinde Eskalation: Warum US-Truppen aus Irak und Syrien abziehen müssen

Soldaten der US-Armee bei einer Übung in Dschibuti am 2. Februar 2021. Bild: US Africa Command / CC BY 2.0 Deed

Wie immer die Antwort der USA auf tote GIs aussieht, sie wird die Lage verschlimmern. Warum ein endloser Krieg droht. Und was dringend getan werden muss. Kommentar.

US-Präsident Joe Biden sagte gestern, dass er sich entschieden habe, wie er auf den Drohnenangriff auf eine Militärbasis in Jordanien, bei dem drei US-Soldaten getötet und rund 40 verletzt wurden, reagieren werde. Biden macht den Iran für den Angriff verantwortlich.

Offensive über Wochen droht

Teheran hat jegliche Verwicklung darin bestritten und gedroht [1], auf jede Vergeltungsmaßnahme der USA "entschlossen zu reagieren". Die Verantwortung für den Angriff übernahm der Islamische Widerstand im Irak, eine lose Koalition von Milizen, die die USA dazu bewegen wollen, ihre Unterstützung für Israels Krieg in Gaza zu beenden.

Es wird nun damit gerechnet, dass die US-Regierung als direkte Antwort Schläge gegen Ziele in Syrien oder im Irak ausführen wird. Wie der US-Nachrichtensender NBC meldet [2], will man voraussichtlich auch iranische Einrichtungen außerhalb Irans attackieren.

US-Vertreter sprechen laut NBC von einer "Offensive", die "Wochen" dauern könnte. Zugleich betonte Biden, wie schon zuvor, dass er keine Ausweitung zu einem regionalen Krieg beabsichtige.

Im Blindflug in den nächsten endlosen Krieg

Es mag sein, dass Washington tatsächlich bestrebt ist, den Konflikt einzuhegen. Aber die drohenden militärischen US-Angriffe bewegen sich, wie auch im Fall der Huthi im Jemen [3], immer am Rande einer gefährlichen Eskalation, die in einem großen Krieg enden könnte.

Während im Mainstream erneut die Kriegstrommeln gerührt werden, wäre es ratsam, auf die besorgten Stimmen von erfahrenen Experten in den USA zu hören. "Ein Angriff führt uns in einen Krieg, dessen Ziele wir nicht definiert haben und dessen Ausgang wir nicht vorhersehen können", sagt Trita Parsi [4], Vizepräsident des Quincy Institute for Responsible Statecraft.

Im Klartext: Biden steuert im Blindflug in den nächsten endlosen Krieg in der Region. Und: Solange der Krieg in Gaza anhält, werden die Angriffe auf US-Ziele weitergehen – ohne, dass ein Ende der Gewalt absehbar wäre. Ein Krieg, den Parsi als "direkte Bedrohung der nationalen Interessen der USA" ansieht.

Rezept für immer mehr Gewalt

Wer sich umschaut, wie die USA zunehmend an Ansehen und Einfluss in der Region (und darüber hinaus, siehe die Genozid-Klage Südafrikas [5], unterstützt von 13 anderen Staaten) verlieren, keineswegs eine übertriebene Feststellung.

Und dann, was kommt nach dem Vergeltungsschlag? Die Tausenden GIs in den über zwei Dutzend Militärbasen und Außenposten in der Region werden permanent bedroht sein, inklusive weiterer Tote und Verletzte, während die Antworten der USA darauf Tote und Verletzte auf der anderen Seite nach sich ziehen.

Ein Rezept für immer mehr, sich selbst verstärkende Gewalt.

Die Kriegstrommeln werden in Washington gerührt

Zudem werden sich die bereits hörbaren kriegerischen Rufe im US-Kongress [6], von Demokraten wie Republikanern, die fordern, den Iran direkt anzugreifen, verstärken und das Weiße Haus unter Druck setzen. Ein Angriff auf den Iran wäre verheerend für beide Seiten.

Es gibt demgegenüber nachhaltige Lösungen, um die Eskalationsgefahr zu bannen. Die überwältigende Mehrheit [7] der internationalen Staatengemeinschaft fordert einen Waffenstillstand in Gaza. Doch die USA haben eine Resolution dazu im UN-Sicherheitsrat zweimal mit ihrem Veto blockiert [8].

Ein anderer Weg, die Lage zu entspannen, ist, die US-Truppen aus dem Irak und Syrien, wo sie besonders verletzlich sind, abzuziehen. Diese Forderung wird in den USA immer eindringlicher von verschiedenen Seiten erhoben.

Rückzug aus Syrien und Irak jetzt!

So argumentiert Joshua Landis [9], Professor für Nahost-Studien an der University of Oklahoma und Direktor des Center for Middle East Studies, dass die Angriffe auf US-Einrichtungen in der Region ein Alarmsignal für Biden sein sollten. Er müsse nun den Rückzug aus Syrien und dem Irak, der ja schon länger in Washington angedacht worden sei, umgehend veranlassen und beschleunigen.

Washington muss seine Risiken minimieren. Zuschlagen und Eskalieren wäre ein Fehler, der wahrscheinlich zu mehr getöteten Amerikanern führen wird. Der Auftrag, der die US-Truppen in den Irak und nach Syrien gebracht hat – die Vernichtung von ISIS – ist erledigt. Die weitere Überwachung der versprengten ISIS-Einheiten kann von Basen in Katar, Kuwait und der Türkei aus erfolgen.

Das sei auch deswegen sinnvoll, da die Regierungen und Bevölkerungen in Syrien und Irak darauf drängen, dass alle US-Militärstützpunkte in ihren Ländern aufgelöst werden. Allein in Syrien und im Irak sind weiter rund 3.400 Soldaten (900 in Syrien und 2.500 im Irak) der Vereinigten Staaten stationiert [10]. Und diese Truppen bergen zunehmend ein Risiko.

160 Angriffe in hundert Tagen

In den letzten 100 Tagen, seit dem 17. Oktober, als Israel in den Gazastreifen einmarschierte, hat es bereits mehr als 160 Angriffe auf die Einrichtungen dort gegeben. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein GI dabei getötet wird, sagt Parsi [11]:

Der US-Präsident hat dieses Risiko in Kauf genommen, er hat Israel weiterhin gestattet, den Gazastreifen unterschiedslos zu bombardieren, wohl wissend, dass schon rein statistisch betrachtet klar ist, dass irgendwann die irakischen Milizen Erfolg haben würden und Amerikaner sterben würden.

Neben der Risikominimierung und Deeskalation sollte auch die Frage der Legitimität gestellt werden. Was haben US-Truppen eigentlich im Nahen Osten zu suchen?

Der angegriffene Außenposten in Jordanien, Tower 22, wie auch die amerikanische Soldatenpräsenz in Syrien haben zum Beispiel nicht einmal eine Autorisierung vom US-Kongress. Und, wie schon gesagt, die Regierungen und Menschen dort wollen sie nicht.

Wer erinnert sich noch an Al-Qaida?

Längerfristig braucht es eine grundsätzlich andere Politik der USA im Nahen Osten. Insgesamt sind dort mehr als 50.000 US-Truppen stationiert [12], an verschiedenen Orten [13] von Ägypten und Dschibuti über Katar und Saudi-Arabien bis zu Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate. Warum ist das so? Wem dient das?

Und warum gibt es weiter keinen Palästinenserstaat, während Netanjahu offen erklären darf [14], dass es auch keinen geben wird?

Man sollte sich daran erinnern, dass zwei zentrale Gründe [15] für die Radikalisierung Osama bin Ladens und die Entstehung von Al-Qaida verantwortlich gewesen sind: die militärische Präsenz der USA in der Region, vor allem in Saudi-Arabien, und die Unterstützung von Israels Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten.

Solange Washington nicht gewillt ist, den Kurs zu ändern, wird es nicht möglich sein, die Region nachhaltig zu beruhigen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9615483

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Getoetete-US-Soldaten-in-Jordanien-Wird-Biden-den-Iran-angreifen-9612265.html
[2] https://www.nbcnews.com/news/world/live-blog/israel-hamas-war-live-updates-rcna136503
[3] https://www.telepolis.de/features/Iran-und-Huthi-Angriffe-Der-perfekte-Sturm-den-USA-und-EU-antreiben-9598743.html
[4] https://www.democracynow.org/2024/1/31/trita_parsi_gaza_middle_east_conflict
[5] https://www.telepolis.de/features/UN-Gerichtshof-Verteidigt-Israel-sich-selbst-oder-begeht-man-Voelkermord-in-Gaza-9596334.html
[6] https://www.telepolis.de/features/Getoetete-US-Soldaten-in-Jordanien-Wird-Biden-den-Iran-angreifen-9612265.html?seite=2
[7] https://press.un.org/en/2023/ga12572.doc.htm
[8] https://www.theguardian.com/world/2023/dec/08/us-to-oppose-arab-backed-resolution-calling-for-urgent-gaza-ceasefire
[9] https://responsiblestatecraft.org/us-military-iraq-syria/
[10] https://responsiblestatecraft.org/us-troops-iraq-syria-jordan/
[11] https://www.democracynow.org/2024/1/31/trita_parsi_gaza_middle_east_conflict
[12] https://www.basnews.com/en/babat/828094
[13] https://www.reuters.com/world/middle-east/what-are-us-troops-doing-middle-east-where-are-they-2024-01-30/
[14] https://www.telepolis.de/features/Biden-Demuetigung-und-Kriegseskalation-Hat-Netanjahu-den-Bogen-ueberspannt-9604178.html
[15] https://www.independent.co.uk/voices/9-11-osama-bin-laden-interview-robert-fisk-world-trade-center-attack-al-qaeda-terror-a8532256.html