Bieten, bis der Arzt kommt

eBay boomt - aber nicht alles ist Gold, was auf der virtuellen Ladentheke glänzt

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Das Geschäft bei eBay brummt. Das Internet-Auktionshaus profitiert von der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Lage und erwartet für dieses Jahr eine Verdoppelung seines Handelsvolumens. Die eBayer aus deutschen Landen sollen bis zum Jahresende Waren und Dienstleistungen im Wert von fünf bis sechs Milliarden Dollar über eBay unters Volk der Schnäppchenjäger bringen - auch und gerade in der vorweihnachtlichen Shoppingzeit. "Es wird ein Rekord-Weihnachtsgeschäft für eBay geben", ist sich eBay-Vorstandsvorsitzende Meg Whitman jetzt schon sicher.

eBay ist ein Global Player und mittlerweile in 28 Ländern mit Web-Niederlassungen präsent. Aufbau und Entwicklung der regionalen eBay-Firmen folgen einem einheitlichen Plan, dem "eBay Playbook". Die erste Stufe dieses Entwicklungsplans sieht die Übernahme eines regionalen Unternehmens vor, um in einem Land gleich zu Beginn mit einem festen Kundenstamm zu starten. In Deutschland begann eBay seine Aktivitäten 1999 mit dem Kauf des Auktionshauses Alando.

eBay braucht keine Karteileichen, sondern aktive Kunden, die kaufen und verkaufen wollen, und das natürlich möglichst oft. Die zweite Stufe aus dem eBay-Playbook widmet sich daher der Kundenmotivation. Es wird geworben, überall - vor allem aber im Netz der Netze selbst. So genannte Partnerprogramme sorgen dafür, dass eBay-Banner auf keiner Homepage fehlen.

eBay Deutschland hat mittlerweile die dritte und letzte "Playbook"-Stufe namens "Aktivität" erklommen. Hier wird mit Hochdruck an Konzepten gearbeitet, die den Handelsumsatz pro Nutzer steigern sollen. "Bieten, bis der Arzt kommt": Wer einen CD-Player ersteigert, braucht vielleicht auch einen Verstärker. Wer über eBay ein Fahrrad erworben hat, braucht einen Fahrradhelm. Kunden per Email ähnliche oder zueinander passende Produkte schmackhaft zu machen, gehört zur Strategie der dritten "Playbook"-Stufe. Als börsennotiertes Unternehmen braucht eBay Umsatz und Wachstum. Mehr Geld in Form von Provisionen kommt in die eBay-Kassen nur, wenn auch mehr gehandelt wird.

Sommerloch bei eBay Deutschland

Deutschland ist für eBay nach den USA der wichtigste Markt. 11,4 Millionen Bundesbürger sind bei eBay registriert. Es ist daher kaum verwunderlich, dass im letzten Sommer in der amerikanischen Zentrale plötzlich die Alarmsirenen schrillten: Kein Wachstum mehr in Deutschland. Die aktuellen Zahlen wiesen bei kleinen Händlern gar einen Angebotsrückgang aus.

Eine vorübergehende Schwächeperiode, meinten eBay-Spezialisten und machten den besonders heißen deutschen Sommer für den Umsatzeinbruch verantwortlich. Es war jedoch nicht nur die Hitze, die viele eBay-Mitglieder von ihren Computern und vom Verkaufen abgehalten hatte. Verantwortlich war auch die Anhebung der eBay-Gebühren ab dem 1. Juli dieses Jahres, die vor allem viele Gelegenheitshändler zunächst davor zurückschrecken ließ, ihre Waren per eBay loszuschlagen.

Vom Tellerwäscher zum eBay-Millionär?

Während der Einzelhandel in der Offline-Welt angesichts der flauen Konjunktur über massive Umsatzeinbrüche klagt, profitieren die eBayer von der schlechten wirtschaftlichen Lage - und das gleich dreifach: Erstens wird, wer weniger Geld im Portmonee hat, zwangsläufig zum Schnäppchensucher und landet, wenn er über PC plus Internetanschluss verfügt, irgendwann bei eBay. Zweitens bauen sich immer mehr Geschäftsleute bei eBay entweder ein zweites Geschäft auf oder schließen ihren Laden in der schnöden Offline-Welt gleich ganz, um nur noch online zu verkaufen. Bereits mehr als 10.000 Bundesbürger verdienen ihren Lebensunterhalt als Profiseller bei eBay Deutschland. Denn drittens ist es nirgendwo einfacher, ein Geschäft zu gründen, als in der virtuellen Welt von eBay.

Wer sich selbstständig machen will, benötige nur einen PC und eine Digitalkamera, strickt eBay-Chefin Whitman an jener ur-amerikanischen Erfolgsmär vom Tellerwäscher zum eBay-Millionär, die platt verkennt, dass in der virtuellen eBay-Shoppingmeile dieselben Marktgesetze herrschen wie in der realen Einkaufswelt. Auch ist die bunte Schnäppchenwelt von eBay kein Paradies für Steuermuffel.

Steuerfahndung schnüffelt online

Seit Jahresmitte macht das Bonner Bundesamt für Finanzen im Internet mobil. Steuersündern bei eBay und Co. soll es mit XPIDER, einer neuen Suchmaschine, an den Kragen gehenOnline-Handel und Internetauktionen im Visier der Steuerfahndung).

Der Webcrawler XPIDER ist ein kleiner Alleskönner. Er ist in der Lage, Verkaufsplattformen wie eBay gründlich zu durchkämmen, Querverbindungen zwischen An- und Verkäufen herzustellen und die gefundenen Daten etwa mit dem Handelsregister oder internen Datenbanken des Bonner Bundesamtes abzugleichen. Und diese Datenbanken haben es tatsächlich in sich, ist das Bundesamt für Finanzen doch die zentrale Sammelstelle für steuerliche Daten aller Art. Die steuerrechtlich relevanten Daten, die XPIDER findet, werden gesichert und sind vor Gericht als Beweise verwertbar. Auch eBay selbst weist übrigens im Kleingedruckten auf seinen Existenzgründerseiten darauf hin, dass Steuern zahlen muss, wer seinen eBay-Handel professionell aufzieht.

Nischen für Betrüger

Unter den weltweit gut 60 Millionen eingetragenen eBayern geht es nicht immer nur mit rechten Dingen zu. Nicht verschickte oder fehlerhafte Waren und illegale Versteigerungen etwa von Wählerstimmen, Naziemblemen, menschlichen Organen oder Trümmerteilen der abgestürzten Raumfähre "Columbia" brachten eBay etwas, was das Unternehmen, das vom Vertrauen seiner Kunden lebt, gänzlich nicht gebrauchen kann: negative Schlagzeilen.

Alles halb so schlimm, wiegelt eBay-Chefin Whitman ab. "Weniger als 0,1 Prozent aller Auktionen enden mit einem nachgewiesenen Betrugsfall." Vertrauen ist gut, Kontrolle aber auch bei eBay besser: Schufa-Auskünfte und Treuhandkonten sollen das Kaufen und Verkaufen sicher machen - und spülen zusätzliches Geld in die eBay-Kassen. Denn den Treuhandservice lässt sich eBay selbstverständlich honorieren. Zwei bis siebzig Euro muss der Kunde dafür zahlen.

Wenn eBay gesprächig wird

Bei eBay kann man vieles kaufen und verkaufen - und manches gibt es manchmal ganz umsonst. Zum Beispiel vertrauliche Kundendaten. Wie die israelische Tageszeitung Ha'aretz im Februar dieses Jahres berichtete, arbeitet das größte Internetaktionshaus eng mit staatlichen Ermittlungsbehörden in den USA zusammen. Das gab Joseph Sullivan, Rechtsexperte bei eBay USA, auf der Konferenz Cyber Crime 2003, die vom 9. bis 11. Februar in Foxwood im US-Bundesstaat Connecticut stattfand, freimütig zu.

"Ich kenne keine andere Webseite, die einen so flexiblen Datenschutz hat wie eBay", zitierte die israelische Tageszeitung Ha'aretz den eBay-Rechtsexperten. Sein Vortrag fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Aus gutem Grund, wie der Ha'aretz-Reporter, dem ein Mitschnitt dieser Rede zugespielt wurde, meint. Denn Rechtsexperte Sullivan gab in seinem Vortrag zu, dass eBay überaus gern und eng mit FBI und CIA kooperiere und diesen Ermittlungsbehörden alles zur Verfügung stelle, was eBay über seine Kunden wisse. Die Ermittlungsbehörden bräuchten nur zu fragen. Ein Gerichtsbeschluss sei nicht nötig. Ein simples Fax sei schon genug, und eBay werde gesprächig: Name des Kunden, Adresse, Telefonnummer, Arbeitgeber, sämtliche Transaktionen, Angaben zu den Angeboten, die sich der betreffende Kunde bei eBay angesehen hat, sowie sämtliche Beiträge in den zahlreichen eBay-Diskussionsgruppen: eBay liefert alles prompt und lückenlos. Denn laut Ha'aretz habe eBay sämtliche Vorgänge auf seinen Auktionsseiten seit 1995 genauestens dokumentiert und abgespeichert.

Rechtlich sei das alles abgesichert, erklärte Rechtsexperte Sullivan. Bei seiner Registrierung habe jeder Kunde den Einverständnisknopf zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie zum Datenschutz angeklickt und damit der Weitergabe seiner persönlichen Daten an staatliche Ermittlungsstellen zugestimmt.

Datenschützer schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. eBay lasse seine Kunden einen Freibrief unterschreiben, der besage, das Internetauktionshaus könne mit den Kundendaten machen, was es wolle.

Auch deutsche eBay-Kunden sind betroffen. "Aufgrund gesetzlicher Vorgaben sind wir in bestimmten Fällen dazu verpflichtet, Ihre personenbezogenen Daten an Dritte weiterzugeben", etwa dann, wenn es der "allgemeinen Rechtsverfolgung dient", heißt es bei eBay Deutschland in den allgemeinen Hinweisen zum Umgang mit Kundendaten. Wann das geschieht und wer dann welche Kundendaten nutzen darf, entscheidet kein Gericht, das entscheidet das Auktionshaus ganz allein.

Kein Herz für "Neue Ordner"

Das Sommerloch bei eBay Deutschland scheint mittlerweile überwunden. Es wird gehökert wie noch nie, auch Kurioses wie zum Beispiel jener Dateiordner, der sich auf dem Desktop eines Mac-Users befand: "Es handelt sich hier um einen nagelneuen 'Neuer Ordner', erstellt unter MacOS 9", kündigte der Spaßvogel mit dem eBay-Namen "powerbookuser" seinen tollen, aber leider herrenlosen Ordner an. "Ich trenne mich von diesem Ordner, da ich ihn fälschlicherweise auf dem Desktop erstellt habe und jetzt nicht weiß, wohin damit. Bevor er aber sonst in den Papierkorb wandert, versuch ich nun auf diesem Wege, dem Ordner ein neues Zuhause auf einem anderen Apple-Rechner zu verschaffen."

Der gebotene Betrag übersprang gerade die 200-Euro-Grenze, da stoppte eBay die Auktion. Die Versandart rief die obersten Auktionshüter von eBay auf den Plan. Die Lieferung des "Neuen Ordners" sollte versandkostenfrei per Email erfolgen. Das aber ist bei eBay nicht erlaubt. "Es ist verboten, Artikel bei eBay anzubieten, die über das Internet bereitgestellt oder versendet werden", heißt es in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Online-Auktionäre. Für die zusätzliche Publicity waren die eBay-Chefs vermutlich trotzdem dankbar. Und wie immer gibt es auch bereits einen Nachahmer, der zum Startpreis von 5 Euro anbietet: "Neuer Ordner!!! GANZ NEU UND UNBENUTZT!!!", allerdings für einen Windows XP Rechner.

Sechs Frauen und ein Kasten Bier

Auch Dienstleistungen werden über eBay verscherbelt. Arbeitslose versteigern ihre Arbeitskraft, Wähler wollen ihre Stimmen verkaufen und unter der eBay-Nummer 2961465280 konnte man jüngst einen Kasten Bier plus einen Sixpack der besonderen, nämlich femininen Art ersteigern: Unter dem eBay-Namen "mussstehaben" boten sich sechs Damen mit dem Versprechen an, jede noch so langweilige Party durch ihre Anwesenheit in Schwung zu bringen.

"Nicht genug Getränke?", fragten sie auf ihrer eBay-Seite, "Lust auf neue Gesichter? Immer wieder Männerüberschuss? Leere Tanzfläche? Party immer schon um 23:00 Uhr zu Ende?" eBay-Mitglied "Musstehaben", mittlerweile auch mit Website, versprach Abhilfe in Gestalt einer Kiste Bier, die von einem Damen-Sixpack "in Partylaune" überbracht werden sollte: "Wir bleiben da und feiern mit!" Dass sich die bundesdeutschen Medien von RTL über Sat1 bis zur Bildzeitung auf dieses Angebot stürzten, konnte den sechs Damen nur Recht sein. Ihr Kasten Bier plus Damensextett ging für 25.050 Euro über eBays virtuelle Ladentheke.