Big Brother - Der psychische Druck nimmt zu

Wieder eine Kandidatin beim Psychologen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Besteht das Wiederherstellen der Menschenwürde wirklich im einstündigen Aufenthalt in einem Raum ohne Kamerabeobachtung oder sind es vielmehr die Auswahlkriterien zum Ausscheiden? Am Sonntag wurden wieder zwei Personen von den Bewohnern ausgewählt und den Zuschauern zur endgültigen Abstimmung vorgeschlagen. Daraufhin sitzt Jona - eine der Nominierten - tief enttäuscht beim Psychologen.

Despina war die erste Kandidatin, die das Big-Brother-Haus freiwillig verlassen hat, weil sie mit den psychischen Belastungen innerhalb dieser Zwangsgruppe nicht umgehen konnte. Bei der ersten Nominierung wurde Despina auch von den Bewohnern am meisten genannt. Inzwischen surft sie durch die Talkshows und vermarktet sich und letztlich auch das Big-Brother-Konzept. Schließlich wurden Thomas und Zlatko nominiert. Beobachtern ist dabei aufgefallen, dass beide ziemlich betroffen reagierten. Selbst der sonst ziemlich cool wirkende Zlatko wurde käseweiß. Im Verlauf der Woche wurde innerhalb des Hauses ziemlich heftig diskutiert. Selbst angepasste Verhaltensänderungen konnte man beobachten. Thomas wollte es auf einmal allen recht machen und Zlatko spielte den King, der darauf wetten wollte, dass Thomas, selbst wenn er nicht abgewählt würde, auch so das Haus innerhalb einer Woche "tausendprozentig" verlassen werde. Thomas wurde schließlich von den Zuschauern aus dem Haus verbannt.

Endemol wurde aufgrund des freiwilligen Ausscheidens von Despina aktiv und bescherte der Hausgemeinschaft eine neue Mitbewohnerin. Jona war nach RTL2-Angaben die ideale Ersatzkandidatin, weil sie in Palermo nichts von der Sendung mitbekommen hatte. Doch bei der zweiten Nominierung stellte sich heraus, dass dieses wohl auch der Nachteil der jungen und oft sehr nachdenklich wirkenden Frau sein könnte. Denn nach der Bekanntgabe wirkten die nominierten Frauen Jana und Jona sehr nervös und geschockt. Anscheinend hatte keine der beiden Big-Brother-Bewohnerinnen damit gerechnet. Sofort wurden Zigaretten angezündet und Jona hockte sich noch enger zusammen. Zwar kannte jeder die Bedingungen und auch die holländischen Ersatzkandidaten sind immer sofort rausgewählt worden, doch wenn man eine Nacht über solche Ereignisse geschlafen hat, wird man sich über die Auswirkungen noch bewusster.

Hier scheint es, dass Jona nicht ausreichend von RTL2 auf die Erfahrungen hingewiesen worden ist. Tief enttäuscht sitzt sie nun bei einem Psychologen und versucht, die kalte Dusche zu verdauen und für sich die Situation zu klären. Die Enttäuschung sitzt wahrscheinlich auch deshalb so tief, weil sie innerhalb der einen Woche nicht so die Bindungen zur Gruppe aufnehmen konnte wie die anderen Kandidaten. Diesmal sind die männlichen Bewohner fein raus, denn sie sind nun noch mindestens vierzehn Tage weiter dabei. Sie versuchten auch zuerst, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Trotzdem schien der Abend gelaufen zu sein, das gemeinsame Spiel wurde aufgehoben und es herrschte erst einmal Begräbnisstimmung.

Gemobbt, getratscht und getuschelt. Vielleicht waren die Vertreter der Landesmedienanstalten auch falsch beraten, die permanente Kamerabeobachtung als Hauptgrund der Verletzung der Menschenwürde zu sehen. Die mit dem Sendekonzept einhergehende Präsentation im Internet und der Zusammenschnitt im Fernsehen macht den Bewohner zum gläsernen Bürger. Nicht unterschätzen darf man aber auch den psychischen Druck, der auf den Einzelnen wirkt. Zunächst war es eine Zwangsgemeinschaft, die aber lernt, sich als Gruppe zurechtzufinden und sich zu arrangieren. Die Teilnehmer verrichten alltägliche Dinge miteinander, lösen gemeinsam Aufgaben, reden und spielen miteinander. Das schweißt zusammen. Da ist es wie ein Schlag mit dem Hammer, jemanden aus der Gemeinschaft ausstoßen zu müssen. Es kommt auch bei fast allen die Entschuldigung, es nicht persönlich gemeint zu haben, falls der Betreffende die Nominierung irgendwann einmal sehen sollte.

Noch geht der Tenor der Big-Brother-Teilnehmer einhellig mit den Fernsehleuten konform. Sie bekamen auch reichlich Gelegenheit, ihren Unmut und ihr Unverständnis über die neuen Regelungen zu äußern. Schließlich hätten sie vorher gewusst, auf was sie sich einließen und dass sie ständig unter Beobachtung ständen. Konnten sie aber vorher einschätzen, wie hoch der psychologische Druck wird? Zwar können findige Werbeleute von Endemol wie im Fall Despina eine schicke Homepage aufbauen und so zur konsumorientierten Imagebildung beitragen, aber die tief liegenden Verletzungen sind so nicht zu kitten. Das Misstrauen in einzelne Gruppenmitglieder wird weiter zunehmen und für weitere Enttäuschungen bei den Big-Brothern-Teilnehmern sorgen.

Schon bei den Nominierungen wurde dieses überdeutlich. Dem einen wurde nicht geglaubt, dass ihm die 250.000 DM egal seien und der anderen wurde Geldgier unterstellt. Aus einer Zwangsgemeinschaft unter diesen Voraussetzungen entsteht ähnlich wie beim Stockholmsyndrom eine Gemeinschaft, die hier aber nur für eine begrenzte Dauer anhalten darf. Insofern entscheidet nicht nur Sympathie und Antipathie über die Nominierung, sondern auch bewusstes Kalkül, dass zum Beispiel einem selbst ein Kandidat auch am Schluss den Gewinn von 250.000 DM streitig machen könnte. Die psychologischen Verletzungen sind tief und nicht jeder ist in der Lage, diesen fortwährenden Druck auszuhalten. In den kommenden 81 Tagen wird es noch einige Belastungen geben, denn schon heute verstehen sich manche Bewohner besonders gut. Und auch diese werden eines Tages getrennt werden. In kleineren Gesprächen wird heute schon gemobbt, getratscht und getuschelt.

Nun könnte man meinen, dass nach dem Ausscheiden aus dem Haus alles vorbei sei. Aber auch davon kann man nicht ausgehen, denn erst dann werden die Ex-Kandidaten sehen, was die Zeitungen und Medien über sie berichtet haben. Sie werden Sammlungen von Nacktfotos im Internet finden, und sie werden vielleicht Videoaufzeichnungen sehen und hören, in denen sie viel zu viel von sich preisgegeben haben. Dieser Effekt ist schon aus Talkshows bekannt, auch dort outen sich die Gäste mehr als ursprünglich von ihnen beabsichtigt. Man wird sehen, wie die Teilnehmer dieses gefühlsmäßig verkraften und verarbeiten werden. Noch jubeln sie und setzen sich in jede Talkshow.