Bigfoot: vom Mail-Paulus zum SMS-Saulus

Ein Freemail-Anbieter ist gegen Mailspam, doch für Massen-SMS

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Was ist noch schlimmer als Email-Spam? Klar, alles, das die Opfer noch mehr stört und kostet und dessen Entsorgung noch lästiger fällt. Wie Fax-Spam, Telefonterror und SMS-Werbung.

In Deutschland wurde die Nützlichkeit der SMS recht früh erkannt, die ab 1995 nicht nur melden konnte, dass in der Handy-Mailbox was abzuholen ist: Mit dem von Weckwerth & Bertram entwickelten PC-Message konnte man über Modem auch erstmals selbst Kurzmitteilungen an Handys verschicken, noch bevor es bei den ersten Nokia-Modellen möglich war, diese vom Handy selbst aus zu schicken. Praktisch war dabei, dass PC-Message Texte wie "Sitzung auf 14 Uhr verlegt" auch an mehrere Nummern verschicken konnte - bis zu 6 in der Minute - , bevor die Netzbetreiber künstliche Bremsen einbauten.

Ihre Praxistauglichkeit bewies diese Software dann erstmals auf der CeBIT 1996: Die ganze Vertriebsmannschaft des heute zu Mobilcom gehörenden Mobilfunkproviders Cellway hatte den Tag über fleißig ihre Handynummer in das "PC-Message" am Messestand eingetragen. Als am Abend der Notebook runtergefahren und zugeklappt werden sollte, saß dann der Schalk im Nacken und es wurde noch eben mal schnell an alle versendet:

"Hallo, sehen wir uns nachher auf der D2-Party an der Sektbar? Susanne"

Kurz darauf zeigte der Vertriebschef ganz stolz der Marketing-Kollegin sein Handy. Danach präsentierte ihr der Technikchef sein Gerät. Als nächstes meinte der Marketingchef: "Mensch, endlich weiß ich, wozu SMS gut ist!" und zeigte sein Handy dem Vertriebschef und der Marketing-Kollegin. Der Vertriebschef dachte sich nichts dabei, beim Kollegen genau dieselbe Meldung zu sehen. Nur die Kollegin aus dem Marketing kam langsam ins Grübeln und als ihr dann auch noch ein Hotliner stolz sein Handy zeigte, drehte sie sich zur Seite und flüsterte:

"Sach mal - warst Du das???"

Sonst wurde aber niemand stutzig. Jeder kannte wohl irgendeine Susanne, traute ihr die SMS zu und bei der D2-Party verwunderte zunächst nur, dass es gar keine Sektbar gab. Erst bei der gemeinsamen Suche nach dieser ging zumindest einigen SMS-Empfängern ein Licht auf. Als Revanche erhielt der völlig unschuldige Marketingchef in die nächste Vorstandsitzung die bedeutungs-schwangere Kurzmitteilung:

"Hallo, Schatz, ich bin schwanger - warum meldest Du Dich denn nicht mehr? Deine Ramona"

Aus den anfänglichen Scherzen wurde ein zunächst handgestrickter SMS-Server, der direkt ins Mobilfunknetz lieferte. Alle Mitarbeiter durften ihn beliebig testen, allerdings mit der Warnung: "Vorsicht, den Bildschirm des Servers kann jeder einsehen, also denkt darüber nach, was ihr sendet!"

Die Affäre, die die ganze Firma mitbekam

Eine Dame tat dies natürlich nicht. Als der Server nach einem langen Wochenende abgeschmiert war und Montag früh unter interessierter Anteilnahme der halben Belegschaft wieder angeworfen werden musste, gingen prompt unter großem Gelächter ein Dutzend liegengebliebene Liebesschwüre an den Anschluss eines Mitarbeiters einer externen Agentur auf die Reise. Jetzt war auch allen klar, warum die Dame gerade mit dieser Agentur so gerne zusammenarbeitete...

Einige Wochen später - der Server war nun professionell aufgebaut und stürzte nicht mehr ab - lagen nach einem Wochenende ganz viele unzustellbare und nur bedingt jugendfreie Mitteilungen im Eingangskorb, die textlich so auch in den St. Pauli Nachrichten hätten stehen können. Zuerst glaubte man an einen Scherz, doch später stellte sich heraus, dass beim Netzbetreiber kurz nach Mitternacht für ca. 30 Minuten eine Fehlschaltung bestanden hatte. Diese Hardcore-Sammlung war also ein repräsentativer Querschnitt über das, was nachts so per SMS verschickt wurde. Mit dem Scherz auf der CeBIT 1996 hatte man einen ganzen Markt vorweggenommen.

Der Chefredakteur einer Funkzeitschrift entblödete sich zu diesem Zeitpunkt, ein Editorial über die Nutzlosigkeit von SMS zu schreiben - und die Netzbetreiber gaben Richtlinien heraus, dass der neue Dienst auf keinen Fall für Werbung an andere als die eigenen Kunden missbraucht werden dürfe. Schließlich gingen nur 7 SMS auf eine Mobilfunkkarte und das damals noch erlaubte Lesen im Auto lenkte zu stark ab. Spam hätte den neuen Dienst ganz schnell entwertet.

Daran hielten sich bis heute alle anständigen Leute. Der Rest landet in der SMS Hall of Shame und besteht meist aus Werbung für 0190-Nummern. Normale Geschäftsleute halten sich von SMS-Werbung fern. Zumindest in Deutschland.

In Australien hat sich ein Immobilienhändler dagegen gerade dicken Ärger eingefangen, weil ein angeblich neuer Angestellter nichts besseres zu tun hatte, als die Mitglieder eines Golfclubs um 4 Uhr morgens mit Werbe-SMS aus den Federn zu holen.

Ausgerechnet der einstige Spam-Gegner Bigfoot (Dr. Norton im Ausverkauf - 3x täglich) bewirbt allerdings nun in seinem Newsletter "Bulk-SMS" mit SMS Blast nur zwei Zeilen über dem Anti-Spam-Update. Und auch wenn im Beispiel nichts anderes verschickt wird als einst mit PC-Message, wird das Programm ausdrücklich für bis zu 30.000 SMS auch an Unbekannte beworben. Neben Englisch auch in Chinesisch - und Deutsch.

Wer jetzt immer noch sein Handy eingeschaltet im Schlafzimmer liegen lässt, braucht keinen Wecker mehr...