"Bio-Viagra": Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt

Erst Sensation, dann Skandal: Wurde eine pflanzliche Potenzpille an der Charité ohne Genehmigung getestet? Mögliche Gefahren für Patienten

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Die Meldung schaffte es auf die Titelseite gleich mehrerer deutscher Tageszeitungen. An dem Berliner Universitätsklinikum Charité sollte Mitte März angeblich ein Medikament gegen Potenzstörungen entwickelt worden sein – auf rein pflanzlicher Basis. Ein Doktorand am Institut für Transfusionsmedizin hatte die Sensation gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) verkündet. Die Tageszeitung „Die Welt“ bildete eine grüne Pille mit der Aufschrift „Plantagrar“ auf der Titelseite ab, andere Blätter folgten.

Titelseite der Welt vom 17.3.2009

Noch in der gleichen Woche dann kam das Dementi von der Klinikleitung unter Charité-Chef Karl Max Einhäupl. Man wisse nichts von einer Studie. Zudem sei unklar, ob die Tests an Menschen genehmigt waren, hieß es in dem kurzen Statement. Seither ist der Fall nicht nur Gegenstand einer internen Prüfung. Auch die Staatsanwaltschaft Berlin befasst sich mit dem mutmaßlich illegalen Pharmatest.

Vielleicht war der angehende Arzt Olaf Schröder zu selbstsicher. Er habe das Präparat aus mehreren pflanzlichen Stoffen erfolgreich an 50 Probanden gestestet, verkündete er der dpa. Die kleine Meldung, die von der Agentur wenig später zurückgezogen werden musste, machte Furore. Vor allem, weil Schröder, der nach Angaben des Internetportals Spiegel Online nebenbei als PR-Berater und Lobbyist für die Pharmaindustrie arbeitet, schon eine Vermarktung seiner „Bio-Potenzpille“ für das kommende Jahr in Aussicht stellte.

Die Klinikleitung reagierte sichtlich überrascht: „Es handelt sich bei dieser Untersuchung um die Aktivität eines Mitarbeiters der Charité in eigener Verantwortung“, hieß es in der Erklärung zu dem Fall. Der Ombudsmann für die gute wissenschaftliche Praxis wurde beauftragt, den Fall zu prüfen. Doch auch an anderer Stelle traf die Nachricht auf Interesse: Bei der Pharma-Aufsicht im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales.

Berliner Staatsanwaltschaft eingeschaltet

Denn Medikamententests müssen nach strengen gesetzlichen Vorschriften durchgeführt werden. Im Landesamt prüft die Ethikkommission jeden Antrag. Erst wenn ein geplanter Test von diesem Gremium befürwortet wird, kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Genehmigung erteilen.

Doch weder im Landesamt noch bei der Ethikkommission war die Testreihe mit der pflanzlichen Potenzpille – einer Mischung aus der andinen Maca-Pflanze, dem in Osteuropa vorkommenden Erd-Burzeldorn und anderen Stoffen – bekannt. „Wir erwarten deswegen natürlich, dass es auch zu einem Verfahren kommt“, sagt nun der Leiter des Referats für Krankenhausaufsicht, Arzneimittelwesen und Apothekenwesen im Landesamt, Hans-Henning Kloß.

Ohne zu dem laufenden Verfahren weitere Stellung zu nehmen, bestätigt Kloß implizit den Verdacht auf einen Gesetzverstoß: Hätte es sich beim „Bio-Viagra“ um ein diätisches Lebensmittel gehandelt – diese Position hatte der Anwalt der Studienverantwortlichen vertreten –, wäre eine Prüfung durch die beim Landesamt ansässige Ethikkommission nicht notwendig gewesen. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin aber bestätigte gegenüber Telepolis, dass das Landesamt nach Prüfung ordnungsgemäß Anzeige wegen eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz gestellt hat. Diese Anzeige werde derzeit geprüft, so der Sprecher.

Dabei steht das Delikt im Grunde außer Frage. Erektile Dysfunktion – die organische oder nicht-organische Störung der Potenz also – ist eine international anerkannte Krankheit. Schon deswegen konnte das Präparat nicht als diätisches Lebensmittel gelten. Nach Informationen aus der Charité hatten Schröder und sein Doktorvater sowie Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin, Holger Kiesewetter, zudem einen so genannten Stufenplanbeauftragten eingesetzt, um die Studie zu überwachen. Dies ist nur bei Arzneimittelstudien üblich.

Dominierten wirtschaftliche Interessen bei Entwicklung?

Recherchen des Spiegel-Online-Journalisten Markus Becker lassen vermuten, dass bei dem gesamten Forschungsvorhaben wirtschaftliche Interessen überwogen – zu Lasten der Pharmakontrolle. Ende März berichtete Becker über die langjährigen Verbindungen des Institutsleiters und Doktorvaters der inkriminierten Studie, Holger Kiesewetter, zur Pharmaindustrie. Nach Angaben der Charité sei nicht geklärt, woher das Geld für die „Bio-Viagra“-Studie stammte, berichtete Becker.

Allerdings hatte das Boulevardblatt Berliner Kurier die ortsansässige Pharmafirma Caplab GmbH als Vermarkter des vermeintlichen Wundermittels genannt. Geschäftsführer dieses Unternehmens ist ein ehemaliger Doktorand Kiesewetters, Reinhard Latza, der beim Institut für Transfusionsmedizin als "externer Dozent" firmiert. Becker führte weiter aus, wie Kiesewetter schon in vergangenen Jahren mit der Entwicklung mutmaßlicher Wundermittel in Verbindung gebracht wurde. Zwei dieser Präparate, ein Knoblauchmittel und eine Pollenschutzcreme, sind nach Expertenmeinung zumindest wirkungslos.

Der Skandal um die angebliche Potenzpille aus Pflanzenextrakten könnte gravierender sein. Nach Angaben eines Charité-Mitarbeiters war dem Präparat neben pflanzlichen Mitteln auch L-Arginin beigemischt. Sechs Gramm dieser Aminosäure hätten die Probanden täglich verabreicht bekommen. Bei einer Prüfung wäre dagegen womöglich Einspruch erhoben worden. Bei einer Pharmastudie Ende 2005 in den USA waren schließlich sechs Patienten verstorben, nachdem sie Arginin-Tagesdosen zwischen drei und neun Gramm zu sich nahmen.

Auch in Deutschland war die gesundheitsschädigende Wirkung der Aminosäure in höheren Mengen bekannt. Im Jahr 2003 hatte ein Berliner Forscher, Harm Peters, bei hochdosierter Arginin-Medikation eine gefährliche Verschlechterung der Nierenleistung beobachtet und dies mit Daten aus Tierversuchen belegt. Die Studien sind einfach im Internet zu finden – auf der Seite des Berliner Universitätsklinikums Charité.