Biomotoren für Nanomaschinen

Wissenschaftler konnten erstmals mit nachgeahmten Bakteriengeißeln Propeller antreiben

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Gestern noch haben wir von einem Projekt berichtet, das ein Nano-U-Boot mit einem Biomotor aus Bakterien oder nur aus den Geißeln von Bakterien antreiben will. Eine erste Version eines solchen Cyborgs in Virengröße ist Wissenschaftlern von der Cornell University gelungen, die sich selbst Nanobiotechnologen nennen, um die vielversprechende Synthese von Nanotechnologie und Biotechnologie zu kennzeichnen. Anders aber als das Vorhaben, Bakterien zu verwenden, haben die Cornell-Wissenschaftler das chemische Prinzip der Fortbewegung von Bakteriengeißeln nachgeahmt.

In ihrem Artikel "Powering an Inorganic Nanodevice with a Biomolecular Motor", der in der aktuellen Ausgabe von Science erschienen ist, beschreiben die Wissenschaftler die unter der Leitung von Carlo Montemagno gelungene Herstellung von organisch-anorganischen Nanomaschinen, die sich mithilfe eines Propellers bewegen können. Gedacht sind diese Nanomaschinen für medizinische Anwendungen. Man könnte sie massenhaft in die Blutbahn eines Patienten aussetzen und sie genau an die Stellen fahren lassen, wenn man sie denn wird steuern können, an denen sie Medikamente herstellen und dann direkt in die entsprechenden Zellen pumpen.

Montemagno stellt sich vor, dass eines Tages ganze chemische Fabriken, bestehend aus solchen Nanomaschinen, in oder an Zellen arbeiten werden. Das hätte natürlich gegenüber der derzeitigen Einnahme oder Injektion von Medikamenten den Vorteil, dass die Wirkstoffe nur dorthin gelangen, wo sie benötigt werden, und daher einerseits wirksamer wären und andererseits weniger Nebenwirkungen in anderen Zellen hervorrufen würden. Die Frage, die sich dem Laien angesichts der Idee stellt, dass man womöglich Tausende oder Millionen solcher autonomen Nanomaschinen in den Körper einführt, ist etwa, wie man diese, bei Bedarf und wenn sie falsch arbeiten, wieder aus dem Körper entfernen könnte. Aber bis zur "Serienreife" solcher Nanomaschinen ist ja auch noch ein weiter Weg zu beschreiten.

Ein F0F1-ATPase-Motor, der auf einer Mitochondrien- Membrane angebracht ist

Das Team von Montemagno hat sich für den Motor oder Propeller an der Biologie selbst orientiert. Manche Bakterien bewegen sich mit der Hilfe von sich schlängelnden Geißeln vorwärts. Diese kann man als Motor verstehen, der aus einem Proteinpropeller in einer Tasche besteht, die durch sechs ringförmig angeordnete Proteine besteht. Die Proteine sind Enzyme, die ATPase genannt werden und das in den Zellen enthaltene ATP (Adenosintriphosphat) in ADP (Adenosindiphosphat) umwandelt. Durch diese Reaktion wird chemische Energie freigesetzt, die die Maschine antreibt. ATP ist nicht nur für die Geißeln von Bakterien die Energiequelle, sondern auch bei der Kontraktion von Muskelzellen, beim Cytoplasmafluss innerhalb der Zelle, der Chromosomenbewegung bei der Zellkernteilung, dem Pumpen von Molekülen oder anderer chemischer "Arbeiten". Zellen können ATP durch Hinzufügung von Phosphat an ADP wieder herstellen. Beispielsweise verbraucht und Regeneriert eine normal arbeitende Muskelzelle pro Sekunde 10 Millionen ATP-Moleküle.

Für die Herstellung des ATP-Propellers müssen die beweglichen Teile des Biomotors an den Rotoren der Propeller aus Metall (Nickel) angefügt werden, die gerade einmal 750 Nanometer lang sind und einen Durchmesser von 150 Nanometern haben (ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter). Die aus dem Enzym ATPase bestehenden molekularen Motoren drehen den Propeller mit acht Umdrehungen pro Sekunde mit dem ATP-Kraftstoff immerhin zweieinhalb Stunden lang. Allerdings ist die Herstellung noch nicht sehr effizient: nur fünf der ersten 400 Biomotoren funktionierten auch.

Ein F0F1-ATPase-Motor auf einem Lipidmolekül

Aber immerhin: es hat funktioniert. "Mit dieser Demonstration", so Carlo Montemagno, "glauben wir, eine ganz neue Technologie definiert zu haben. Wir haben gezeigt, dass hybride Nanomaschinen zusammen gebaut, stabil gehalten und durch die Physiologie des Lebens repariert werden können."

Die winzigen Propeller werden in der Cornell Nanofabrication Facility mit aufwendigen Verfahren hergestellt und schließlich mit chemischen Verbindungen überzogen, die sich selbst mit ATPase-Molekülen zusammen bauen, die wiederum von gentechnisch veränderten Bakterien (Bacillus) produziert werden. Die Moleküle haften an 200 Nanometer großen "Sockeln". Wenn sie dann in einer Lösung mit ATP und anderen chemischen Verbindungen eingetaucht werden, beginnen sich manche zu drehen. Einige Propeller lockerten sich und flogen davon, andere rissen die Sockeln mit sich oder montierten sich falsch.

Langfristig planen die Wissenschaftler, dass die Energie für die biomolekularen Motoren nicht aus ATP-Molekülen besteht, sondern aus Photonen, also aus Licht. Erste Ansätze, die Mechanismen der Photosynthese mit dem Biomotor zu verbinden, um eine solarangetriebene Nanomaschine herszustellen, sind schon gelungen. Und natürlich sollen die Nanomaschinen in der Zukunft nicht nur mit Sensoren und Rechenkapazität ausgestattet werden, sondern auch sich selbst in bestimmten Körperzellen zusammen bauen. Probleme stellen unter anderem die Beseitigung der chemischen Abfallprodukte dar, um die anderen Prozesse in der Zelle nicht zu stören, aber auch die Verhinderung des Zusammenklumpens der Nanomaschinen: "Diese Maschinen sind so klein wie Viren", erklärt Montemagno. "Es ist schwer, sie davon abzuhalten, zusammen zu klumpen. Das ist für uns alle ganz neu - und auch für jeden anderen, der in diesem Bereich arbeitet."