Bislang unbekannte Killertruppe tötet irakisches Regierungsratmitglied

Tabubrüche der USA provozieren weiterhin Widerstand - Ende der Besatzung nicht glaubwürdig

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Was Saddams Killertruppen nicht gelang, schaffte gestern morgen eine obskure Killertruppe, die sich als "Arabische Widerstandsbewegung" bezeichnet: die Ermordung von Issedin Salim, Vorsitzender des irakischen Regierungsrates.

Noch ist nicht klar, wie viel Zufälliges bei dem Selbstmordanschlag mit einem Auto voller Sprengstoff mitspielte. Abdul Sahra Mohammed, der sich den Tarnnamen "Issedin Salim" während seines Widerstands gegen das Hussein-Regime zulegte, saß zufälligerweise im letzten Wagen eines Autokonvois, das einem Checkpoint zur Grünen Sicherheitszone in Bagdad wartete. Eine ganze Gruppe von Regierungsratsmitgliedern wartete an dem Checkpoint, einschließlich Adnan Patschatschi und Achmed Tschalabi.

Aufmerksamkeits-Erfolg

Das Auto mit dem Attentäter hielt beim letzten Wagen. Die Explosion tötete Salim, seinen Fahrer, seine Bodyguards und mehrere zufällig beistehende Iraker; da Salim diesen Monat turnusmäßig den Vorsitz des irakischen Regierungsrats bekleidete, konnte die bislang unbekannte Killertruppe "Arabische Widerstandsbewegung ar-Raschid Brigaden" die Schockschlagzeile "Führer des Regierungsrats getötet" als Aufmerksamkeits-Erfolg verbuchen.

Issedin Salim, ein Intellektueller, der die schiitische ad-Da'wa-Partei mitbegründete, galt als gemäßigter Schiit, der sich im Laufe seines kurvenreichen politischen Lebens vom Anhänger khomeinistischer Ideen zum Befürworter einer pluralistischen Demokratie wandelte.

Das Attentat wird in der Presse und von Politikern als major blow gegen den Transfer der politischen Macht an die Iraker gewertet und zum Anlass genommen, noch einmal zu bekräftigen, wie ernst man es mit der Übergabe meine:

Wir müssen die politische Übergabe im Auge behalten. Es ist Zeit, dass die Besatzung endet.

Condoleezza Rice

Tabuverletzungen

Wie aber die Übergabemodalitäten in sechs Wochen aussehen werden, weiß allen Anschein nach im Augenblick keiner ganz genau; sowenig wie man im Moment weiß, wie man der schwierigen militärischen Lage im Süden Herr werden könnte. Man jagt wieder einmal einen Schurken, Muqtada as-Sadr, um jeden Preis, wie Ahab den weißen Wal und riskiert mit den eingesetzten Mitteln, Bomben auf Kerbela und militärische Operationen in unmittelbarer Nähe von höchstheiligen Kultstätten, das weitere Aufflammen des Widerstandes - das Gegenteil dessen, was man sich davon verspricht.

Dass man mit dieser Strategie über kurz oder lang auch die Glaubwürdigkeit und Anhängerschaft von Sistani und anderen Klerikern , die sich gegen Muqtada und seine al-Mahdi-Miliz stellen, in der schiitischen Bevölkerung riskiert, scheint gegenüber der bevorzugten militärischen Option des "Bring 'em on" weniger wichtig. Wie es heißt, hat Bremer die Unterhandlungen mit schiitischen Clanführern und der al-Mahdi-Miliz abgelehnt. Man glaubt, anders als in Falludscha, wo der sunnitische Widerstand geeint war, im Süden mit der Uneinigkeit der schiitischen Gruppierungen spielen zu können. Der Anschlag auf Salim hat aber einmal mehr die klare Botschaft vermittelt, dass jede Zusammenarbeit mit den Besatzern als "Verrat" gilt und entsprechend lebensgefährlich ist.

Währenddessen unterminieren Informationen des Wall Street Journals die Glaubwürdigkeit der Besatzer, sollte sie in Resten noch existieren, weiter.

In aller Stille

Wie es in dem Bericht heißt, bauen Bremer und andere Amtsträger in aller Stille "Einrichtungen" auf, die den USA auch nach dem offiziellen Ende der Besatzung einen größtmöglichen Einfluss auf die Übergangsregierung garantieren. Bereits im Frühjahr sollen die Grundlagen für neue "Kommissionen" gelegt worden sein, die "wirkungsvoll mehreren Ministerien alle mögliche Macht " wegnähmen. "Handverlesene Berater" sollen Schlüsselrollen innerhalb der Übergangsregierung bekommen.

Zum einen wird es nach diesen Plänen eine Kommission geben, die sich mit der Lizensierung von irakischen Fernsehsendern und der Presse befasst und Verträge mit Telefongesellschaften regelt. Die Mitglieder der Kommission werden von Washington bestellt, die Dauer ihrer Tätigkeit ist mit fünf Jahren anberaumt.

Ebenso wurde von Bremers Regierung der Posten eines neuen Sicherheitsberaters geschaffen, der die Ausbildung und Organisation der irakischen Armee - und paramilitärischer Verbände - beaufsichtigen soll. Nach dem handover werden in allen Ministerien Berater der Koalition verbleiben.

In den meisten Fällen, so der Bericht des Wall Street Journals, sollen über mehrere Jahre hinweg "signifikante" Posten mit großer Machtbefugnis - z.B. Strafverfolgung, Vorladungen vor Gericht, Vertragsverhandlungen und -vergabe - in den Händen von US-Stellvertretern bleiben.

Offenkundige Ironie

Nach Angaben von amerikanischen Offiziellen sollen diese Maßnahmen nötig sein, um eine nichtgewählte Übergangsregierung davon abzuhalten, dass sie langfristige Entscheidungen treffe, die eine spätere, gewählte Regierung im nächsten Jahr nicht mehr ohne weiteres rückgängig machen könnte. Man habe außerdem die Sorge, dass die Übergangsregierung den transition process erschwere, in dem sie Vorraussetzungen schaffe, die es ihr ermöglichen sogar dann an der Macht zu bleiben, wenn ihre Zeit vorbei sein wird.

Auch wenn man hier offensichtlich den derzeitigen Regierungsrat und dessen Gefallen an der Macht im Auge hat, entbehrt dies nicht der offenkundigen Ironie. Wie es aussieht, werden die USA im Irak eine Botschaft aufbauen, die mit 1.300 amerikanischen Beschäftigten und mehr als 2.000 irakischen, ihre mächtige Stellung im souveränen Irak sehr deutlich dokumentiert.