Bodycams für alle Polizisten nach US-Vorbild?

Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff zu Bodycams und Videoüberwachung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Frau Voßhoff, in den USA sollen demnächst Polizisten mit Bodycams ausgestattet werden, also Videoaufzeichnungsgeräte, die es den Polizisten bei ihren Einsätzen erlauben, Bild und Ton aufzuzeichnen. Wie denken Sie grundsätzlich über den Einsatz von Bodycams durch Polizisten?

Andrea Voßhoff: Ich würde es für unverhältnismäßig halten, wenn jeder Einsatz aufgezeichnet würde oder die Kameras gar bei Streifen ständig mitlaufen würden. Es müssen im Einzelfall vernünftige Gründe vorliegen, weshalb die Polizei einen Einsatz aufzeichnet. Und diese Gründe müssen auch klar gesetzlich geregelt sein. Akzeptabel könnte es etwa sein, wenn bei bestimmten Gefahrenlagen Polizeieinsätze aufgezeichnet werden, um deren Ablauf und Rechtmäßigkeit zu dokumentieren.

In den USA wird der Einsatz von Videoaufzeichnung zurzeit vor allem von Seiten der Bürgerrechtler gefordert, um, die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes nachprüfen zu können. Dann müssen die Aufnahmen später beispielsweise auch Rechtsanwälten der Betroffenen zur Verfügung stehen. Es darf dann nicht in der Hand der jeweiligen Einsatzkräfte liegen, diese zu löschen. Transparenz für die Betroffenen bekäme dann eine zusätzliche Bedeutung.

Auch in Deutschland gibt es Überlegungen, diese Kameras einzusetzen. In Bremen und Hamburg gibt es Modellversuche, in Hessen sollen 2015 Polizisten die Kameras tragen. Was sagt das Datenschutzrecht in Deutschland zu dem Vorhaben?

Andrea Voßhoff: Bodycams greifen in die Rechte der erfassten Personen ein und benötigen daher eine gesetzliche Grundlage. Eine spezielle auf solche Kameras zugeschnittene Rechtsgrundlage, wie einzelne Landesgesetze sie enthalten, sehe ich im Bundesrecht jedenfalls für den breiten Polizeialltag nicht. Ob etwa die gegenwärtigen Vorschriften im Bundespolizeigesetz für Bodycams passen würden, sehe ich als eher fraglich an. Wenn dieses Gesetz etwa Videokameras erlaubt, um Gefahren zu "erkennen", dann kommen Bodycams nicht für Alltagseinsätze in Betracht.

Denn: Wenn schon Polizeibeamte vor Ort sind, können sie Gefahren auch ohne solche Kameras erkennen. Möglich bleiben sie nach gegenwärtiger Rechtslage in besonderen Gefahrensituationen, etwa bei gewaltbereiten Ansammlungen. Ob es sinnvoll ist, für diese Situationen Bodycams anzuschaffen, müsste zunächst die Polizei sagen. Das Landesrecht sieht vereinzelt weitergehende Möglichkeiten vor, indem es zum Teil allgemein bei Anhalte- und Kontrollsituationen im öffentlichen Verkehrsraum Bild- und Tonaufzeichnungen erlaubt. Näheres darüber erfahren Sie bei meinen Kolleginnen und Kollegen in den Ländern.

Andrea Voßhoff. Foto: CDU/CSU-Fraktion. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Können Sie der Aussage zustimmen, dass der Gebrauch von Überwachungskameras im öffentlichen Raum immer weiter zunimmt?

Andrea Voßhoff: Mir sind für die Situation in Deutschland keine verlässlichen Zahlen oder Statistiken bekannt, wie sich der Gebrauch von Überwachungskameras in den letzten Jahren entwickelt hat. Es entspricht aber der allgemeinen Wahrnehmung, dass sich die Überwachung deutlich ausgeweitet hat. Die Technik ist preiswerter geworden und es entspricht offenbar einem allgemeinen Sicherheitsbedürfnis, sich in stärkerem Maße auf diese Technik zu stützen. In der Bundesverwaltung hat mein Vorgänger in den Jahren 2011/12 eine umfassende Umfrage durchführen lassen, um erstmals einen möglichst vollständigen Überblick über den Einsatz von Kameras zu gewinnen. Dabei hat sich gezeigt, dass allein die Bundesverwaltung 17.500 Kameras einsetzt. Da es sich um die erste derartige Umfrage handelte, liegen mir aber keine Vergleichszahlen für frühere Zeiträume vor. Zahlreiche interessante Details aus der Auswertung der Umfrage wurden im 24. Tätigkeitsbericht für die Jahre 2011/2012 veröffentlicht.

Wie erklären Sie sich den breiten Einsatz von Überwachungskameras im öffentlichen Raum?

Wie bereits angedeutet, werden hierfür verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Entscheidend ist vermutlich das Vertrauen in die abschreckende Wirkung der Kameras und die damit verbundene Hoffnung, ein bestimmtes unerwünschtes Verhalten wirksam zu unterbinden oder zumindest im Nachhinein besser aufklären zu können. Die Motive sind dabei so vielfältig wie die Zahl der Kameras: Sie reichen von der Zugangssicherung über die Vermeidung von Graffiti, die Verhinderung von Einbrüchen und Diebstählen bis zur Terrorabwehr.

Zudem ist die Standardtechnik immer preiswerter und wird so selbst für private Verbraucher zu einem verbreiteten Mittel. Ob der erwünschte Erfolg allerdings eintritt, erscheint häufig genug zweifelhaft. Studien - etwa in dem in viel stärkerem Maße von Videoüberwachung geprägten Großbritannien - zeigen nicht selten einen geringen oder zu vernachlässigenden Nutzen der Überwachung.

Die Technologie entwickelt sich immer weiter, Systeme zur Überwachung in der Öffentlichkeit werden immer ausgereifter. Wie gehen Sie als Datenschutzbeauftragte mit dieser Entwicklung um?

Andrea Voßhoff: In der Tat entwickelt sich die Technologie rasant: Kameras können biometrische Merkmale erfassen, mit hinterlegten Daten abgleichen und auf diese Weise einzelne Personen aus ganzen Menschenmengen herausfiltern. Kameras sollen Bewegungsmuster erkennen, aus denen die dahinterliegenden IT-Systeme ein bestimmtes Verhalten ableiten und prognostizieren können. Das alles sehe ich mit einer gewissen Sorge. Ich sehe meine Aufgabe hier in ganz verschiedenen Richtungen: Zum einen muss es natürlich weiterhin darum gehen, dass der Einsatz jeder einzelnen Kamera den datenschutzrechtlichen Bestimmungen entspricht und dies von den Datenschutzbehörden auch kontrolliert wird.

Dies allein genügt aber nicht. Wenn wir uns zu sehr auf die einzelnen Fälle fokussieren, laufen wir Gefahr, den Wald vor Bäumen nicht zu sehen: Wir Datenschützer müssen deshalb auch die Gesamtbilanz der Überwachung und deren Folgen im Auge haben. Es muss daher auch darum gehen, die Öffentlichkeit für die Risiken und Gefahren zu sensibilisieren. Das gilt sowohl für die Betroffenen als auch für diejenigen, die die Technik einsetzen. Weiterhin ist es natürlich eine meiner wichtigen Aufgaben, mich im politischen Raum für strikte datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen und wirksame Durchsetzungsmöglichkeiten stark zu machen.

Von der Bundesregierung gibt es einen Entwurf für eine unabhängige Datenschutzbehörde. Sie kritisierten jüngst die Organisations- und Funktionsfähigkeit dieser neuen Behörde. Was genau ist ihre Kritik?

Andrea Voßhoff: Zunächst ist es sehr erfreulich, dass die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf nunmehr endlich die Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zieht und die in der Europäischen Datenschutzrichtlinie von 1995 verankerten Anforderungen an eine unabhängige Datenschutzkontrolle umsetzen will. Was den formalen Status angeht, entspricht die geplante Errichtung einer eigenständigen obersten Bundesbehörde bei gleichzeitiger Streichung jeder Dienst- und Rechtsaufsicht im Großen und Ganzen diesen Vorgaben.

Der EuGH hat allerdings auch klargestellt, dass eine Datenschutzbehörde ihre Aufgaben nur dann in völliger Unabhängigkeit - frei von jedem Anschein politischer Einflussnahme - ausüben kann, wenn sie mit dem dafür notwendigen Personal und den erforderlichen Sachmitteln ausgestattet ist. Diesen Ansprüchen genügt der Gesetzentwurf nicht, da er meiner Dienststelle noch nicht einmal das zur Verfügung stellt, was zur Verwaltung einer neu zu errichtenden Behörde notwendig ist.

Bei der Erledigung der Fachaufgaben bestehen hingegen bereits jetzt Defizite in der personellen Ausstattung, die sich durch die Verselbständigung der Behörde eher noch verstärken werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach die Notwendigkeit einer regelmäßigen und wirksamen Datenschutzkontrolle für den Grundrechtsschutz betont. Gerade in dem besonders sensiblen Bereich der Sicherheitsbehörden kann ich diese Kontrolle jedoch nur teilweise sicherstellen. Ich hoffe, dass das Parlament hier noch deutlich nachbessert.

Noch ein Wort zu den Bürgen selbst: Im Hinblick auf die Volkszählung von 1983 gab es das immer wieder zitierte Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts, Stichwort "informationelle Selbstbestimmung". Wie würden Sie die Situation einschätzen: Wird Datenschutz heute in der Bevölkerung weniger ernst genommen als damals?

Andrea Voßhoff: Das glaube ich nicht, allerdings haben sich über die Jahrzehnte immer wieder die Gewichtungen verschoben. Volkszählungen machen den Menschen heute deutlich weniger Sorgen als dies 1983 der Fall war, wie die eher geringe gesellschaftliche Resonanz auf den Zensus 2011 gezeigt hat. Dafür hat sich das öffentliche Bewusstsein für die im Bereich der Wirtschaft, vor allem der digitalen Wirtschaft bestehenden Risiken der allgegenwärtigen Datenverarbeitung enorm verändert.

Seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist zusätzlich das Ausmaß geheimdienstlicher Überwachung in den Fokus der öffentlichen Diskussion geraten. Ich erhalte allerdings viele Eingaben und Anfragen, aus denen hervorgeht, dass sich viele Menschen diesen Entwicklungen weitgehend ausgeliefert fühlen. Gerade deswegen bedarf es eines starken datenschutzrechtlichen Rahmens und einer wirksamen Durchsetzung des Datenschutzrechts durch die Datenschutzbehörden.

Wie wird die Entwicklung ihrer Meinung nach weitergehen? Wird der öffentliche Raum einer stärkeren Überwachung unterzogen werden?

Andrea Voßhoff: Da kann ich keine zuverlässige Prognose abgeben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.