Booster für die Artenvielfalt: Rettet die Streuobstwiesen!

Die Streuobstwiese Weppachtal in der Schwäbischen Alb. Foto: Ustill / CC-BY-SA-3.0-DE

Jedes Jahr im Herbst werfen alte Bäume tausende Tonnen Äpfel, Birnen und Zwetschgen ab. Anstatt das Obst zu nutzen, verrottet es auf den Wiesen. Lokale Initiativen wollen das ändern und alte Streuobstbestände besser nutzen.

Mehr als 6000 Obstsorten gibt es hierzulande - rund 2700 Apfel- und 800 Birnensorten, darunter schmackhafte Tafeläpfel wie Brettacher oder Goldparmäne, lang haltbare Sorten wie Ontario oder Rheinischer Bohnapfel und besonders frühreife wie der Klarapfel. Streuobstwiesen brauchen weder Dünger noch Pestizide, selten eine Mahd. Der Mix aus diversen Bäumen unterschiedlichen Alters, Hecken, Trockenmauern, abgestorbenen Ästen und Stämmen bietet zahlreichen Arten Lebensraum:

In den Baumhöhlen nisten häufig Steinkäuze, Stare, Siebenschläfer und Fledermäuse. Aber auch Spechte wie der seltene Wendehals und Halsbandschnäpper finden Nahrung und Brutplätze, ebenso wie Heuschrecken, Wildbienen und Hornissen. Sie liefern Nahrungsmittel und Weidegründe, nicht zuletzt sind sie auch Naherholungsgebiet. Ob Gelbmöstler, Palmischbirne oder Welsche Bratbirne - alte Birnenbäume können bis zu 300 Jahre alt und 15 bis 30 Meter hoch werden.

Bei so genannten Hochstämmen tragen die untersten Äste erst ab 1,80 Meter Höhe, optimal, um die darunter liegenden Wiese zu bewirtschaften, sei es durch Beweidung oder Gartenbau. Streuobstbestände ergänzen die menschliche Nahrung mit gesundem Obst. Ein einziger Birnbaum kann bis zu einer Tonne Birnen tragen. Auf der Suche nach alten Sorten durchstreifen Pomologen seit 2015 die oberbayerische Landschaften. Im Rahmen des Obstprojektes Apfel-Birne-Berge halten sie Ausschau nach alten vergessenen Obstbaumsorten.

Dabei sind Bäume, die absichtlich weiter vermehrt wurden, für sie interessanter als Sämlinge, die sich zufällig verbreiteten. Auf einer verlassenen Streuobstwiesen finden sich zwei Bäume mit schorffreien hellgelben Äpfeln mit säuerlich-saftigem Geschmack - der Zitronenapfel.

Im Landratsamt in Rosenheim untersuchen Pomologen die unbekannten Obstsorten. Im vorigen Herbst waren es allein 164 alte Birnen- und Apfelsorten. Keine leichte Aufgabe: Viele der Früchte können selbst von namhaften deutschen Sortenkundlern nicht bestimmt werden.

Auch der Zitronenapfel wird hier bewertet. Warum neue Zutaten von außen zukaufen, wenn geeignetes Obst vor der Haustür liegt, sagt sich Maximilian Müller. Der Drei-Sterne-Koch will sich die Säure des hellgelben Apfels in seiner Küche in der neu eröffneten Berghütte zu nutze machen. So sollen die Apfelscheiben die geräucherten Saiblingfilets mit Wiesenkräutern an gebratenem Radicchio garnieren.

Hans-Joachim Bannier kennt eigenen Angaben zufolge rund 500 Apfelsorten. Häufig wird er angerufen, um einen unbekannten Apfel auf einer entlegenen Streuobstwiese zu bestimmen, zum Beispiel auf einer Wiese im Hochsauerland. Ein Blick ins Apfelregister hilft: Es ist der große Borsdorfer. Die Sorte habe ein gesundes Wuchsverhalten und sei extrem langlebig, schwärmt der Pomologe. Das gebe es im modernen Apfelanbau kaum noch.

Auf dem Fundort stehen die letzten zwei alten Bäume dieser Art in Nordrhein-Wesfalen. Werden sie gefällt, verschwindet auch die Sorte. Zwar finanziert die Regierung die Erhaltung der Streuobstwiesen. Doch zusätzlich braucht es Menschen, die sie weiterzüchten, um sie für nachfolgende Generationen zu erhalten. Vom Borsdorfer Apfels zogen engagierte Züchter einzelne Triebe im eigenen Garten an, die später als kleine Bäumchen auf der alten Streuobstwiese eingepflanzt werden. Wenn alles gut läuft, tragen sie später auch noch Äpfel, wenn der Herbstwind die alten Bäume längst umgeworfen hat.

Streuobstwiesen mussten intensivem Obstbau weichen

Die ersten Streuobstwiesen wurden im 19. Jahrhundert wie ein Gürtel um Dörfer angelegt. Teils durch Zufallskeimlinge, die von den Bauern und Bäuerinnen weiter kultiviert wurden, teils durch Züchtung wuchs die Anzahl der Sorten. In den 1960er Jahren erhielten sie nicht nur Konkurrenz durch den intensiven Obstanbau. Sie mussten auch Einkaufszentren, Industrie- und Neubaugebieten weichen.

Plantagenäpfel konkurrierten seitdem zunehmend mit den Äpfeln aus Kleingärten. Der ertragreiche Intensivobstbau, der nur wenige marktfähige Sorten kultiviert, wurde in Gunstlagen stark subventioniert. Die alten Obstbäume, die bei der maschinellen Bewirtschaftung im Weg standen, wurden abgeschlagen. Dafür gab es sogar Geld von der Regierung.

Von den knapp 18 Millionen Streuobstbäumen, die es noch 1965 in Baden-Württemberg gab, sind schätzungsweise sieben Millionen übrig. Man findet sie auf der Schwäbischen Alb und am Neckar, in den tieferen Lagen des Schwarzwalds oder im Odenwald. Ausgedehnte Obstwiesen gibt es auch im Alpenvorland, in Mainfranken oder in der Rhön.

Die Bäume überaltern, immer mehr Flächen gehen verloren. Vor allem mangelt es an der nötigen Pflege. Wiesen müssen gemäht oder beweidet, Bäume geschnitten werden. Ohne regelmäßigen Baumschnitt brechen voll beladene Äste leichter ab. Über die Wunden dringen Pilze in den Baum ein, die Bäume sterben deutlich früher. Zudem setzen Mistel, Rindenbrandpilz und Klimawandel den Bäumen zu - insbesondere die trockenen Sommer seit 2018.