Britische Asylrechtsreform: Wie Sunak die Boote stoppen will

Seite 2: Hindernis im Kampf gegen Zwangsprostitution

Die Labour-Abgeordnete Jess Phillips fragte mit sehr deutlichen Worten nach. Einer Frau, die Opfer von Menschenhandel ist und in einem Bordell zur Sexarbeit gezwungen wird, signalisiere der Premierminister nun, dass sie aufgrund der "Illegalität" mit ihrer Abschiebung rechnen muss, sobald sie die Täter anzeigt. Kein Opfer der "modernen Sklaverei" wird es folglich mehr wagen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Damit unterstütze die Regierung die Menschenhändler.

Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR kommentierte den neuen Gesetzesentwurf als eine de facto Aufhebung des Asylrechts und als Verstoß gegen die Flüchtlingskonvention. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist mit dem geplanten Gesetz wohl ebenso verletzt. Die britische Regierung gibt in der Formulierung des Entwurfs selbst zu, dass es möglicherweise gegen die Konvention verstößt.

Damit betritt Sunak und die britische Innenministerin Suella Braverman gewisses Neuland. Welchen Rechtsbegriff hat eine Regierung, die einräumt vorzuhaben geltende Gesetze zu brechen? Das dürfte bei der eigenen Bevölkerung und den internationalen Partner mit Verwunderung aufgenommen werden.

Braverman macht keinen Hehl daraus, dass sie nichts von der Europäischen Menschenrechtskonvention hält und gerne aus dieser aussteigen würde. Nur braucht Großbritannien bei der praktischen Umsetzung des neuen Asylgesetzes die Unterstützung anderer Staaten.

Wie sollen diese jenseits von Gesetzen und Konventionen ausgehandelt und abgesichert werden? Auch Tory-Hinterbänkler fragen sich, ob der Ausstieg aus der EMRK den gerade erst geschlossenen Deal mit der EU gefährden würde. Ebenso würde dies von den USA kaum goutiert werden, die sich um das Karfreitagsabkommen sorgen.

Wird die Krise aufgebläht?

Nüchtern betrachtet darf gefragt werden, ob die aktuelle Flüchtlingssituation überhaupt so brisant ist, wie Sunak sie darstellt. Die britische Regierung orakelte bereits, bei Durchsetzung des bisher geltenden Rechts seien theoretisch 100 Millionen Menschen im Vereinigten Königreich asylberechtigt.

Wenn die alle kämen, dann wäre die Insel überfordert. Stimmt, nur sind weltweit laut UNHCR gesichert seit 2021 90 Millionen Menschen auf der Flucht. Vermutlich hat sich die Zahl zwar bereits auf 100 Millionen gesteigert, es ist aber kaum anzunehmen, dass diese alle nach Großbritannien wollen. Mehr als 50 Millionen von ihnen sind "Binnenvertriebene", die in ihren Ursprungsländern verblieben sind. Es scheint, als spiele die Regierung Sunak hier mit Zahlen, um Ängste zu schüren.

Auch die Statistik der in Großbritannien angekommenen Flüchtlinge liefert nicht das Bild einer sich zuspitzenden Katastrophe. 1990/91 kamen, wegen der Krise in Sri Lanka und dem somalischen Bürgerkrieg, bis zu 100.000 Geflüchtete ins Land. Insbesondere in den Jahren 1998 bis 2003 mit den Kriegen in Jugoslawien, Afghanistan und Irak war die Zahl der Geflohenen nochmals höher, mit mehr als 100.000 im Jahr. 2021 brachte zwar einen Anstieg, die Zahlen sind aber nur etwa halb so hoch wie in den 1990er- und Nullerjahren.

Einen dramatischen Anstieg gab es allerdings sehr wohl, aber eben nur bei der Ankunft der Boote. 300 Menschen kamen 2018 per Boot, aktuell sind es 45.000. Traditionell kommt nur eine geringe Anzahl der Menschen, die Asyl beantragen, legal mit Visum ins Land. Bis vor kurzen kamen die meisten versteckt auf LKWs, Fähren oder durch den Eurotunnel. Während der Pandemie waren diese Wege versperrt. Seitdem sind die Kontrollen viel gründlicher geworden. Die Fahrzeuge werden beispielsweise mit Wärmekameras durchleuchtet.

Deshalb flüchten aktuell fast alle per Boot auf die Insel. Die Behörden sind mit der Bearbeitung der Anträge von Bootsflüchtlingen überfordert. Mehr als 160.000 unbearbeitete Asylfälle haben sich angestaut. Diese durchaus dramatische Zahl ist aber das Ergebnis einer administrativen Misere. Würde das Innenministerium mehr Kapazitäten bereitstellen, dann ließe sich diese Krise sicher bewältigen.

Es drängt sich ein wenig der Gedanke einer bewussten Eskalation auf. Die Migranten werden in Hotels oder in "Processing Centres" untergebracht, die im wesentlichen Lagern gleichen. Gerade die Unterbringung in Hotels zermürbt die zum Nichtstun verurteilten Insassen seelisch und bringt zugleich die von immer quälenderen Armutserscheinungen bedrängte Landbevölkerung gegen die Geflohenen auf.

Rechtsextremisten demonstrieren vor den Hotels. Die Rufe nach noch mehr Härte sind die Folge, die die Regierung mit immer neuen Gesetzen zu befriedigen gedenkt. Eine Art Teufelskreis.

Gäbe es andere Lösungen?

Rund 60 Prozent der Geflohenen im Land haben den rechtlich legitimem Anspruch auf einen Flüchtlingsstatus. Schon seit Zeiten von Boris Johnson wird zwischen zwei Kategorien unterschieden. Jene, die aus Ländern stammen, in denen ihr Leben bedroht ist und die sich unmittelbar bei den Behörden gemeldet haben, dürfen länger im Land verweilen, die anderen nicht.

Durch das neue Gesetz würden fast alle in die zweite Kategorie fallen. Die Opposition kritisiert die Politik in der Parlamentsdebatte zunächst auf moralischer Ebene, weil gegen die Migranten rhetorisch gehetzt werde. Abgeordnete mit familiärer Fluchterfahrung halten dem Gesetzentwurf entgegen, dass deren eigene Eltern oder Großeltern wohl auch abgeschoben worden wären.

Noch entschiedener prangert die oppositionelle Labour-Partei aber die geringe Praktikabilität an. Die "Ruanda-Lösung" ist mehr als ungewiss und auch die Rücknahmeabkommen mit Frankreich sind noch nicht beschlossen. Laut UN gibt es weder illegale Asylbewerber noch ist es rechtens, Menschen in ein anderes, zuvor bei der Flucht durchreistes Land zurückzuschicken.

Genau diesen Deal gedenkt Sunak mit Frankreich zu machen. Labour spricht von bloßen Slogans und programmiertem Chaos, weil man die Menschen de facto in einen rechtlichen Limbus schickt. Sie können nicht bleiben, können aber auch nirgendwo hingeschickt werden.

Menschen aus dem Iran, Irak, Afghanistan, Eritrea und Syrien haben in Großbritannien aktuell bis zu 80 Prozent Anerkennungsquote. Tatsächlich wurden hier die Verfahren vereinfacht und beschleunigt, weil bei diesen Ländern die Ansprüche auf Asyl augenscheinlich sind. Warum sollen auch diese Menschen jetzt vom Asyl ausgeschlossen werden, wenn sie per Boot gekommen sind?

Wenn Sunak mit dem neuen Gesetz auf Wahlerfolge schielt, dann könnte er sich getäuscht haben. Der Gesetzesentwurf ist nicht sonderlich populär. Rund 30 Prozent befürworten ihn und 30 Prozent lehnen ihn strikt ab. Wenn Sunak Mehrheiten will, muss er die Mitte für sich gewinnen.

Deshalb arbeitet die Regierung parallel zur Politik der Härte und der Gesetzesverschärfung zugleich an einer Regelung, die 40.000 Menschen im Jahr legale Visa-Einreisen für den Asylantrag erlauben soll. Das wäre zwar auch illegal, weil dann quasi bei der Visavergabe über das Asyl entschieden wird, aber dies soll wohl ein Entgegenkommen an jene sein, die Großbritannien nicht als den großen Bösewicht des Flüchtlingselends sehen wollen.

Im Vereinigten Königreich wurden durchaus gute und einvernehmliche Lösungen im Umgang mit Geflüchteten gefunden. Es gibt erfolgreiche Programme zur freiwilligen Rückkehr, bei der Heimkehrwillige unterstützt wurden. Bei der jetzigen Drohung, nie mehr zurückkommen zu dürfen, ist dies natürlich keine Option mehr. Das alte Lied der Flüchtlingspolitik, das kein rechter Demagoge hören mag: Es ist die Verschärfung, die die Probleme verstärkt.

Umgekehrt wurden gute Erfahrungen gemacht mit den Menschen, die aus Hongkong geholt oder mit jenen 100.000 aus der Ukraine, die in private Unterbringung vermittelt wurden. Die Bevölkerung hat gezeigt, wie groß die Hilfsbereitschaft gegenüber der jeweils größten Gruppe an Flüchtlingen ist, seit in großer Zahl Menschen aus Belgien vor dem Ersten Weltkrieg in das Land geflohen waren.

Kaum jemand stellt in Großbritannien die Hilfe für die Ukrainer in Frage – und dies zeigt die Möglichkeit von Konsenslösungen.

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