Britische Regierung in Bedrängnis

Auch britische Soldaten haben gefoltert; die Mehrheit der Briten ist mittlerweilen für einen schnellen Rückzug der britischen Truppen

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Auch die engsten Verbündeten der US-Regierung scheinen allmählich zu in ihrer Haltung zur Irak-Besatzung zu kippen. Der nicht endende Skandal über die systematische Folterung von irakischen Gefangenen durch die britischen und amerikanischen Besatzungstruppen und der aufflammende Widerstand sind der Grund, warum in einer aktuellen Umfrage über die Hälfte der britischen Bürger für einen Rückzug der britischen Truppen sind - bis zum 30. Juni! Die britische Regierung erwägt hingegen, die Truppen zu vermehren, nachdem der Widerstand stärker geworden ist und andere Koalitionspartner aussteigen.

Auch Tony Blair und die britische Regierung sind schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, da auch britische Soldaten Misshandlungen und Folterungen begangen haben (Schon wieder ein Bilderstreit), vor allem aber, weil man ebenso wie die US-Regierung versucht hat, Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen nicht zu verfolgen. Das ist natürlich besonders zynisch für die Regierungen, die den Krieg gegen den Irak erst einmal mit den nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen begründet hatten, dann aber den militärischen Regimewechsel und die anschließende Besatzung als Befreiungsaktion von einem Unrechtsregime legitimiert hatten.

It doesn't matter which report it was, we had been telling the US and UK authorities in Baghdad for over a year about the scale of this [abuse and torture] problem. They had been given 10 or more reports. All detailed the same findings. They knew this had been going on for a year.

Mitarbeiter vom Intenationalen Komitee des Roten Kreuzes

Auch wenn die Diktatur Husseins unvergleichlich schlimmer gewesen war, so hätten die Besatzer, die angeblich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für die Befreiten bringen wollten und den so - zukünftig - geläuterten Irak als Fanal für eine Demokratisierung der gesamten Region präsentierten, peinlich genau darauf achten müssen, dass gerade bei allem Widerstand die Beachtung der Menschenrechte peinlich genau gewahrt würde, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass nur eine Herrschaft durch eine andere ersetzt wird. Das aber ging nun gründlich in die Hose, wobei die negative Propaganda-Aktion absolut selbst verschuldet war, schließlich hatte auch die britische Regierung von Anfang an geduldet, dass ihr großer Bruder sich um Menschen- und Kriegsrechte oder andere internationale Abkommen einen Dreck scherte und sicherheitshalber auch mit allen Mittel die Einrichtung des Internationalen Gerichtshofs boykottierte.

So würde man gerne vor der Welt dastehen: Britische Soldatin schenkt erfreutem irakischen Mädchen Schuhe, die gespendet wurden. Foto vom 1. Mai des britischen Verteidigungsministeriums

Nachträglich gesehen steht diese aktiv betriebene Subversion noch einmal in einem anderen Licht, nämlich als ob man mit strafbaren Vergehen bereits gerechnet hat. Und nachträglich wird auch deutlich, dass der Boykott auch völlig unbegründet war, denn die kriegführenden Länder bewahren sich, auch wenn sie dem Rom-Statut beigetreten sind, ihre Immunität. Werden also, wenn schon nicht amerikanische, so doch britische Soldaten vor den Internationalen Strafgerichtshof kommen? Sicherlich nicht.

Am Sonntag wurden bei einem Bombenanschlag auf das Hotel Four Seasons in Bagdad, acht ausländische Zivilisten, darunter auch Briten, verletzt. Zivilisten meint hier, dass sie geschäftlich im Irak tätig waren. Großbritannien ist freilich von der US-Regierung nicht einmal mit vielen Verträgen für den Wiederaufbau bedacht worden. In Basra befidnen sich überdies gerade britische Truppen in Kämpfen mit den schiitischen Milizen al-Sadr. Hier gab es Tote bei den Irakern und Verletzte bei den britischen Soldaten. Nach dem Bekanntwerden von Bildern misshandelter Iraker sprach ein Vertreter von al-Sadr eine Belohung für das Töten (150 Dollar) oder die Gefangennahme (350 Dollar) von britischen Soldaten aus. Die Bilder von den Misshandlungen dürften die Brutalität auf beiden Ebenen verstärken: die Koalitionstruppen werden noch schneller und bedenkenloser auf Iraker schießen, die ihnen verdächtig vorkommen, um nicht gefangen genommen und entsprechend behandelt zu werden, die irakischen Aufständischen hingegen werden Rache üben wollen.

Wenn die Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut NOP im Auftrag des Independent zwischen dem 30. April und dem 2. Mai durchgeführt hat, tatsächlich repräsentativ sein sollte, dann dürfte die britische Regierung mit ihrer beharrlichen Unterstützung der Irak-Politik von Bush allmählich ihren Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Zu der Zeit war der Skandal zudem erst am Aufkochen. 39 Prozent der Befragten sprachen sich für einen Rückzug der britischen Truppen aus - und das nicht irgendwann, sondern schon bis 30 Juni, also bis die noch immer geplante, aber wohl bestenfalls symbolisch geschehende Machtübergabe an eine provisorische irakische Regierung erfolgen soll. 16 Prozent fordern sogar, dass sie Truppen sofort abgezogen werden sollen. Insgesamt sind also 55 Prozent für einen schnellen Abzug. Nur 28 Prozent sprechen sich dagegen aus, 17 Prozent sagen, sie wissen nicht, wie sie sich entscheiden sollen.