Bühne frei für Populisten aller Couleur

Udo Steinbach über die Wirkung deutscher Außenpolitik auf muslimische Migranten

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Die Debatte um eine bessere Integration von Muslimen in Deutschland verläuft ebenso lautstark wie – doppelzüngig. Tatsächlich trägt nicht zuletzt die deutsche Politik gegenüber islamischen Ländern dazu bei, dass sich hier lebende Migranten, insbesondere aus dem Nahen Osten, ausgegrenzt fühlen. Findet Udo Steinbach. Telepolis sprach mit dem Professor für Nah- und Mittelost-Studien an der Philipps-Universität Marburg.

Herr Steinbach, Sie kritisieren vor allem die Haltung der deutschen Regierung zum Friedensprozess in Nahost. Zunächst: kann man überhaupt von einer Haltung sprechen? Und welche Wirkung hinterlässt diese – welcher Art sie auch sei – auf die Muslime hierzulande?

Udo Steinbach: Eine deutsche Nahostpolitik ist bislang wenig erkennbar – im Gegenteil. Es ist doch nicht akzeptabel, dass Frau Merkel in ihrer Rede vor der Knesset im März 2008 die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson bezeichnete, ohne über die Situation der Palästinenser auch nur ein Wort zu verlieren, bzw. über die von Israel an ihnen begangenen Verstöße gegen die Menschenrechte, gegen das Völkerrecht oder gegen erlassene UN-Resolutionen. Obwohl Israel laut einer Studie der San Francisco University von 2002 weltweit führend im Ignorieren von UN-Resolutionen ist – mittlerweile sind es an die 70. Dass die deutsche Politik die Augen davor verschließt, führt bei muslimischen Migranten zu Verbitterung: Offensichtlich hält sich Deutschland, das lautstark die Rechtsstaatlichkeit propagiert, nur bedingt an seine eigenen Werte.

„Erst wenn die USA Israel kritisieren, tut es auch Deutschland“

Andererseits kritisierte Kanzlerin Merkel kürzlich den fortgesetzten illegalen Siedlungsbau in Ost-Jerusalem.

Udo Steinbach: Grundsätzlich: Der UNO-Sicherheitsrat erklärte bereits 1980 Israels Annexion Ost-Jerusalems und alle weiteren Eingriffe in Status und Stadtbild für „null und nichtig“. Was seither geschah, weiß jeder: Es hat sich alles nur verschlimmert. Soviel zum Bestehen der internationalen Gemeinschaft auf dem Völkerrecht. Im übrigen äußerte Frau Merkel ihre Kritik erst, nachdem Präsident Obama dies tat. Zuvor, im Januar, hatte sie noch das israelische Kabinett ins Kanzleramt eingeladen – und das setzt sich unter anderem aus Personen zusammen, deren Werte mit Demokratie und Menschenwürde unvereinbar sind.

Deutschland betreibt diese Politik des zweierlei Maßes nicht allein, die gesamte sogenannte internationale Gemeinschaft tut dies: Ahmadinejad erhält die rote Karte, Avigdor Liebermann gewissermaßen den roten Teppich. Reiht sich die deutsche Außenpolitik nur brav in die „internationale“ ein oder könnte sie mit einem entschiedeneren Auftritt tatsächlich eine Änderung bewirken?

Udo Steinbach: Eine konstruktivere Haltung im arabisch-israelischen Konflikt hätte durchaus Einfluss auf die europäische Politik, die Israel gegenüber ja nicht völlig kritikfrei ist. Ich erinnere allein an den spanischen Ministerpräsidenten Zapatero, der, als er zum Thema Terrorbekämpfung befragt wurde, ausdrücklich darauf hinwies, dass diese erst dann sinnvoll zu bewerkstelligen sei, wenn man die Quelle von allem, nämlich das ungelöste Palästinaproblem, angehe. Frau Merkel hingegen wich bei der Antwort auf die gleiche Frage aus - wir bilden gute Polizisten in Afghanistan aus.

Kurz, Frau Merkel blockiert die europäische Politik dort, wo sie in eine fruchtbarere Richtung tendiert und trägt namhaft dazu bei, dass Israel nie ernstlich belangt wird – sprich, das Land die politischen und wirtschaftlichen Folgen seiner Völkerrechtsverletzungen spüren zu lassen, durch Boykott bzw. Sanktionen.

„Bulgarien und Rumänien kamen anstandslos in die EU“

Ein zweiter wesentlicher Punkt, der Ihres Erachtens bei Deutschlands Muslimen negativ ankommt, ist die Haltung der Regierung zum EU-Beitritt der Türkei.

Udo Steinbach: Es ist doch immerhin bemerkenswert, dass die EU ihre Tore für Bulgarien und Rumänien anstandslos öffnete, obwohl keines der beiden Länder die ökonomische oder mentale Vorbereitung zu diesem Schritt aufwies. Mit der Türkei geht Brüssel ungleich strenger um. Die Debatte entbehrt der Sachlichkeit und auch der Erwägung positiver Aspekte: So schlägt die Türkei andere Töne gegenüber dem Mittleren Osten an und ist daher imstande, Spannungen zwischen Syrien und Israel auszugleichen. Oder im Kaukasus - zwischen Armenien und Aserbaidschan. Die Kapazitäten der EU erweisen sich da als eher begrenzt.

Stattdessen aber dominieren Schlagwörter wie ‚mangelnde Integrationsbereitschaft‘ und ‚feindlicher Islam‘ die Debatte und mein Kollege Heinrich August Winkler versteigt sich gar dazu, von einer gesprengten europäischen Identität durch einen Türkei-Beitritt zu sprechen. Deutlicher kann man den in Deutschland lebenden Muslimen kaum zu verstehen geben: Ihr gehört nicht dazu.

Kommen dann noch bestimmte Journalisten oder „Islamkritiker“ hinzu, die die Beiträge dieser Weltreligion zu einer Hochkultur der Menschheitsgeschichte ausblenden und Ehrenmorde oder Zwangsheiraten im Rotationsverfahren unter einen angeblich „gewaltbereiten Islam“ subsumieren, wird es immer fragwürdiger.

Erstens haben Ehrenmorde und Zwangsheiraten mit dem Islam nur sehr entfernt etwas zu tun. Zweitens: Von Anhängern aller Religionen wird Gewalt ausgeübt. Dabei handelt es sich meist um eine vergleichsweise geringe Anzahl, von der aus man nicht auf die Sache an sich schließen kann - oder wollte jemand aufgrund des zu Tage tretenden sexuellen Missbrauchs einiger katholischer Kirchenvertreter das ganze katholische Christentum verdammen? Mit dem Islam tut man das aber und so fragen sich viele Muslime in Deutschland bzw. Europa verständlicherweise: Sind wir hier etwa nicht gewollt?

Zugleich hat noch keine deutsche Regierung so viele Initiativen wie die jetzige zur besseren Integration gestartet – etwa die Islam-Konferenz.

Udo Steinbach: Das sind anerkennenswerte Versuche zu objektivieren. Auch die Bemühungen, islamischen Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach einzuführen, finde ich begrüßenswert. Dennoch wirkt all dies angesichts der gleichzeitigen Defizite der Nahost-, Iran-, und Türkeipolitik sowie der Islam-Polemik in zahlreichen Medien aufgesetzt und kosmetisch.

„Deutsche Nahostpolitik basiert nicht auf Völkerrecht“

Wenn sich Muslime in Deutschland diskriminiert fühlen, dann sicher zu Recht. Gehen manche aber soweit zu behaupten, sie seien die Opfer des „nächsten Holocaustes“, dann ist das nicht nur ein Totschlagargument, sondern auch der Beweis, dass keine Auseinandersetzung mit der Historie stattfand – und ihre Integration überhaupt nicht funktioniert hat. Müsste von deutscher Seite nicht auch hier mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, etwa in Form von Führungen durch Gedenkstätten?

Udo Steinbach: Solange das Völkerrecht - wie im Falle der Politik Israels in Palästina – ignoriert wird, ist die Bühne frei für Populisten aller Couleur. Ob es sich um einen Herrn Ahmadinejad handelt, der mit seinen hohlen propagandistischen Parolen auf Stimmenfang geht oder um jene, die uns den Holocaust vorhalten, um ihn für durchschaubare politische Zwecke zu instrumentalisieren. Dies wird so bleiben, solange unserer Politik im Nahen Osten die Basis fehlt und die lautet: Recht und immer wieder Recht.