Bürgerinitiativen gegen Müllverbrennung

Zwei Müllverbrennungs-Projekte in Hessen und Thüringen riefen Gegner auf den Plan

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Eine Umfrage des Umweltbundesamtes kam zu dem Ergebnis, dass Klimawandel, Energiewende und umweltbedingte Gesundheitsrisiken für immer mehr Menschen in Deutschland wichtig sind. Das scheint zu stimmen. Mit dem Boom von Müllverbrennungsanlagen sahen und sehen sich mehr und mehr Bürger mit deren Bau vor der eigenen Haustür konfrontiert. Zahlreiche Bürgerinitiativen haben den Kampf gegen diese Vorhaben aufgenommen. Notorische Neinsager? Zwei Beispiele mit hessisch-thüringischem Lokalkolorit.

Ein Müllheizkraftwerk in Heringen

Kürzlich erhielten die Bewohner des hessisch-thüringischen Kalireviers Post von der Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke AG (BKB AG) und der K + S Kali GmbH. In diesem Informationsblatt wird über den geplanten Bau eines Müllheizkraftwerks in Heringen informiert. Damit sollen die in den vergangenen Monaten im Revier aufgekommenen Ängste und Befürchtungen zerstreut werden.

Die BKB AG, eine Tochter von E.ON Energie, plant den Bau eines Müllheizkraftwerks mit einer Kapazität von 270.000 Tonnen jährlich zu verbrennendem Müll in Heringen, das nach seiner Fertigstellung die Energieversorgung für den K + S-Standort Wintershall übernehmen soll. Haus- und Gewerbeabfälle sollen verbrannt werden, um Dampf zu erzeugen, mit dem letztendlich der Erdgasverbrauch bei K + S von 130 auf 60 Millionen Kubikmeter jährlich zurückgefahren werden könnte. Dabei soll das Müllheizkraftwerk in Heringen durch Kraft-Wärme-Kopplung mit dem Kraftwerk Wintershall möglichst effizient Energie gewinnen.

In der Postwurfsendung wird an die wirtschaftliche Bedeutung von K + S für die Region erinnert: 4000 Beschäftigte arbeiten in der Kaliproduktion an Werra und Ulster, durch das Müllheizkraftwerk sollen weitere 50 Arbeitsplätze hinzukommen. BKB verspricht die Installation eines Rauchgasreinigungsverfahrens, das innerhalb der EU als „Beste Verfügbare Technik“ eingestuft würde, man verspricht, keine „Dreckschleuder“ bauen zu wollen.

Doch die dahin gehenden Befürchtungen der Bevölkerung scheinen im Zusammenhang mit BKB nicht ganz aus der Luft gegriffen zu sein: vor wenig mehr als 20 Jahren geriet die BKB als Betreiberin des Kraftwerks Buschhaus als „größte Dreckschleuder der Nation“ in die Schlagzeilen.1

Der Bau des Müllheizkraftwerks Heringen soll „neue Chancen zur Stärkung der Region eröffnen, ohne die Lebensqualität im Werratal nachhaltig zu beeinträchtigen“. Die Anwohner sind sich über die wirtschaftliche Bedeutung von K + S für die Gegend durchaus im Klaren; viele von ihnen würden aber trotzdem nicht soweit gehen, dieses Vorhaben als „Teil einer nachhaltigen Perspektive für die Menschen“ in ihrer Region zu akzeptieren – wenn die Bauplanung so umgesetzt wird, wie sie in den Antragsunterlagen vorgesehen ist.

Mitte September 2006 fand eine sechstägige Anhörung statt. Die Bürgerinitiative Für ein lebenswertes Werratal mit über 200 Mitgliedern hatte in den vorangegangenen Monaten mit Aufklärungsveranstaltungen, Unterschriftensammlungen sowie Demonstrationen in Hessen und in Thüringen für Bewegung gesorgt. Mittlerweile liegen mehr als 7000 Einwendungen gegen die Anlage vor, vor allem aus den angrenzenden thüringischen Gemeinden, da sie aufgrund des vorherrschenden Südwestwinds befürchten, nach Fertigstellung mit einem Grossteil der Schadstofffracht bedacht zu werden.

Für Klaus Reinhard, Vorsitzender der Bürgerinitiative, ist das geplante Müllheizwerk nicht genehmigungsfähig. Die Vorbelastungen der Umwelt durch 100 Jahre Bergbau in der Region seien nur lückenhaft berücksichtigt worden. Für den Toxikologen der Einwender, Dr. Hermann Kruse, ist die Anlage ebenfalls nicht zu akzeptieren, da nicht nur in der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft) festgelegte Irrelevanzschwellen einiger Schadstoffe, sondern außerdem toxikologisch fundierte Vorsorgewerte durch die zu erwartende Zusatzbelastung deutlich überschritten würden.

Als unseriös wurde der Erklärungsversuch im human-toxikologischen Gutachten des von der Genehmigungsbehörde bestellten Sachverständigen Prof. Heinz-Erich Wichmann für die Tatsache angesehen, dass hohe Sterbeziffern aufgrund von Atemwegserkrankungen der männlichen Bevölkerung daher rührten, dass sich Männer mit Atemwegsproblemen den Kreis Hersfeld-Rotenburg als Altersruhesitz auserkoren hätten. Die Bürgerinitiative forderte entschieden eine Nachbesserung beim geplanten Filtersystem der Anlage. Sie will sich nicht mit einer Anlage zufrieden geben, die die Auflagen der 17. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (17.BImschV) ausschöpft. In der Bevölkerung hat sich herumgesprochen, dass das neue Kraftwerk eine Schwesternanlage der MVA Hannover-Lahe sein soll. Hier kam es Ostern 2005 zu wenig Vertrauen bildenden Betriebsstörungen.

Viele Anwohner finden, dass gerade ein prosperierendes Unternehmen alles tun sollte, um die bei der Werteschaffung auftretenden Umweltbelastungen so gering wie möglich zu halten. Auch der BUND Landeck fordert eine Filteranlage nach neuestem Stand der Technik – wie sie längst auch in anderen MVA zum Einsatz kommen.2

Die Bürgerinitiative verwahrt sich ferner gegen Versuche, in eine bestimmte politische Ecke gedrängt oder gar als Ausgeburt des Ost-West-Konflikts angesehen zu werden.

Eine neue Balance zwischen Ökonomie und Ökologie?

Die Bewohner des Werratals erfuhren erst kürzlich von einem weiteren geplanten K + S-Projekt, nämlich dem Bau einer Pipeline von Hessen bis unmittelbar an die thüringische Grenze, um dort trotz EU-Wasserrahmenrichtline zusätzlich Salzlauge in den bereits belasteten Fluss einzuleiten (Nasspökeln an der Werra). K + S macht keinen Hehl daraus, dass dies die wirtschaftlichste bzw. billigste Variante der Entsorgung sei. Das scheint sich nun im Falle des MHKW Heringen zu wiederholen – ebenfalls mit Rückendeckung durch das Regierungspräsidium Kassel. In Hessen spricht man in diesem Zusammenhang gern von einer neuen Balance zwischen Ökonomie und Ökologie.

Dieter Weidemann, Präsident der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), entdeckte erst kürzlich den Umweltschutz als Standortfaktor und begrüßte den neuen Stil in der hessischen Umweltpolitik: die Kooperation von Landespolitik, Behörden und Unternehmen. Allerdings dürfe dabei der Umweltschutz Unternehmen nicht bürokratisch ersticken und deren Wettbewerbsfähigkeit gefährden.

Um die MVA Zella-Mehlis bahnt sich auch ein Korruptionsskandal an. Ermittelt wird wegen des Tatverdachts der Untreue und Bestechlichkeit. Betroffen davon sind unter anderem der Zweckverband für Abfallwirtschaft Südwestthüringen (ZASt) und der frühere ZASt-Vorsitzende und Suhler Ex-Oberbürgermeisters Martin Kummer (CDU).

Eine Müllverbrennungsanlage in Zella-Mehlis

50 Kilometer weiter südöstlich wird in der Nähe von Suhl die zukünftige MVA Zella-Mehlis mit einer geplanten Jahreskapazität von 160.000 Tonnen gebaut. Der Bau wurde vom Zweckverband für Abfallwirtschaft Südwestthüringen (ZASt) beantragt und durch das Thüringer Landesverwaltungsamt genehmigt. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens brachten 13.600 Bürger Einwände gegen das Projekt hervor – eine in der Geschichte des Freistaates Thüringen bei öffentlichen Bauvorhaben noch nie da gewesene Beteiligung.

Die Betroffenen konnten sich allerdings nicht durchsetzen, so dass der Genehmigungsbescheid im Wesentlichen ohne Veränderung hinsichtlich der Antragsunterlagen erging. Gegen den Genehmigungsbescheid gab es Widersprüche und Klagen. Zwei Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz wurden durch das OLG Weimar in einem Eilverfahren abgewiesen. Im Nachgang wurden Klagen zur Hauptsacheverhandlung eingereicht, so dass sich die juristische Auseinandersetzung gegenwärtig in einem schwebenden Verfahren befindet. Der Bau jedoch geht weiter. Die Anlage soll im September 2007 in Betrieb genommen werden.

Viele Bürger hatten die Hoffnung, dass mit einem Politikwechsel nach den Kommunalwahlen 2006 auch in Richtungswechsel hinsichtlich der MVA einherginge. Tatsächlich wurden MVA-Vorkämpfer wie der damalige Oberbürgermeister von Suhl, Martin Kummer (CDU), abgewählt; andere Volksvertreter erlitten in ihren Kreisen herbe Niederlagen. Die Wählervereinigung Aktiv für Suhl hatte den Kampf gegen die MVA in ihr Wahlprogramm aufgenommen.

Zwar änderten sich mit der Wahl die Mehrheitsverhältnisse, doch die MVA-Befürworter konnten sich geschickt manövrierend durchsetzen. Die Chance, die MVA an dieser Stelle zu stoppen, verstrich wegen der verbreiteten Angst vor möglichen späteren Schadensersatzforderungen ungenutzt. Früh formierte sich in den betroffenen Kommunen ein breiter Protest gegen die MVA. Zuletzt wurden auf einer Großdemonstration in Suhl ca. 5.000 Teilnehmern gezählt; am Erörterungstermin haben sich über die gesamte Dauer 4.000 Bürger beteiligt. Die Einwände bezogen sich im Wesentlichen auf die Gefahr negativer gesundheitlicher Auswirkungen sowie Einschränkung in der Wohnqualität. Darüber hinaus gab es Einwände zu den Auswirkungen auf Wohneigentum, Tourismus und Klimaschutz.

Bei den gesundheitlichen Auswirkungen wurde insbesondere auf die atypische Lage der MVA in einem Talkessel hingewiesen - vor Ort werden häufig Inversionswetterlagen registriert. Dadurch können die Abgase nicht störungsfrei abziehen, was wiederum zu einer erhöhten Schadstoffbelastung führt. Diese Befürchtungen werden durch die Erfahrungen aus dem Betrieb des ehemaligen Braunkohleheizkraftwerkes an gleicher Stelle genährt.

Die Genehmigungsbehörde glaubt hier einem selbst in Auftrag gegebenen Gutachten. Doch Kritiker bemängeln die Qualität der Immissionsprognose, die Mindestanforderungen an wissenschaftliche Qualität erfüllen und ein gewisses Maß an Realitätsbezogenheit aufweisen sollte. Ein Obergutachter wie z.B. der Deutsche Wetterdienst oder das Umweltbundesamt wurde nicht hinzugezogen. Das Gericht hat die Qualität der Immissionsprognose nicht hinterfragt – sie wird lediglich als „wahrscheinlich nicht falsch“ bewertet. Ob diese Prognose der TA-Luft entspricht, wird an keiner Stelle geklärt.

Experten halten die der einen in Auftrag gegebenen Simulationsrechnung zugrunde liegenden Wetterdaten zudem für räumlich nicht repräsentativ. Ein 90 Meter hoher Schornstein soll für einen freien Abtransport der Schadstoffe sorgen – die dafür tatsächlich nötige Kaminhöhe ist nach Expertenmeinung allerdings nicht realisierbar.

Alle anderen Einwände von ökologischen bis hin zu wirtschaftlichen Aspekten waren nicht verfahrensrelevant; da das Genehmigungsverfahren ein Verfahren nach den Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ist, spielte zum Beispiel die Frage nach dem zu erwartenden Müllaufkommen hier keine Rolle. Das Müllaufkommen ist in Thüringen seit Jahren rückläufig; die spätere Auslastung der neuen Anlage durch einheimischen Müll bleibt fraglich. Durch die verspätete Fertigstellung der MVA war der ZASt zu einer Zwischenlagerung der Abfälle gezwungen. Dieser zwischengelagerte Müll wird in der Anfangszeit die MVA auslasten. Was danach kommt, ist unklar. Muss später Abfall hinzugekauft werden, merken das die Bürger an ihren Müllgebühren. Linkspartei-Umweltpolitiker Tilo Kummer erwartet zudem, dass unter anderem auch das Heringer Projekt die Auslastung der MVA Zella-Mehlis unwahrscheinlich werden lässt – auch dort soll Müll aus Südthüringen verfeuert werden.

Der Ausgang beider Verfahren ist ungewiss. In Heringen und Umgebung hoffen die MVA-Gegner zumindest auf den Stopp des angestrebten vorzeitigen Baubeginns und Nachbesserungen in der Bauplanung.

Hin und wieder können Bürgerinitiativen auch Bauvorhaben verhindern – wie gerade jüngst im Fall der geplanten MVA Poppendorf in der Nähe von Rostock geschehen. Auf dem Gelände einer Düngemittelfabrik sollte der Prototyp eines Kraftwerks zur thermischen Entsorgung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen mit einer Jahreskapazität von 40.000 Tonnen gebaut werden. Auch in dieser Anlage sollten die Emissionsgrenzwerte der 17.BImschV ausgereizt werden.