Bundespräsident Köhler geht beim Gnadengesuch auf Nummer sicher

Die Ablehnung des Gnadengesuchs für Christian Klar und Birgit Hogefeld ist ein später Sieg der Konservativen über die Kinkel-Initiative

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Bundespräsident Köhler hat die Gnadengesuche der RAF-Gefangenen Christian Klar und Birgit Hogefeld heute abgelehnt. Doch die Auseinandersetzung ist damit keineswegs beendet. Sie begann mehrere Wochen nachdem Klar eine kapitalismuskritische Grußadresse an die Rosa Luxemburg Konferenz im Januar gesandt hatte. In Teilen der Medien wurde sie aufgenommen, als hätte es sich um eine Kommandoerklärung der RAF gehandelt. Doch es blieb nicht bei der medialen Erregung. Der Justizminister von Baden-Württemberg setzte nach dem Presseecho schon beschlossene Hafterleichterungen für Klar aus und handelte sich dafür bei der Justiz eine Niederlage ein. Dem zu lebenslänglicher Haft verurteilten Klar stehen die Lockerungsmaßnahmen zu, weil er in zwei Jahren mit seiner Entlassung aus dem Gefängnis rechnen kann. Er hätte dann 25 Jahre im Gefängnis gesessen.

Doch Klar wollte nicht so lange warten. Er hatte sich auf Initiative des mittlerweile verstorbenen Publizisten Günther Gaus bereit erklärt, das Gnadengesuch zu stellen. Mit einer Zustimmung hätte Bundespräsident Köhler aber unter Umständen seine weitere politische Karriere gefährdet. Nachdem er sich vor einigen Tagen mit Klar getroffen hat, war bei Teilen der Union und der FDP die Empörung groß. Bei der CSU stellte man die Unterstützung für eine zweite Amtszeit Köhlers in Frage, wenn er Klar begnadigen sollte.

Von den Befürwortern der Begnadigung wurden solche Überlegungen als Angriff auf die Unabhängigkeit des Bundespräsidenten verurteilt. Hinter dieser Formel verstecken sich Politiker von Linkspartei, SPD und Grünen. Schließlich wollen sie sich nicht offen für eine Begnadigung aussprechen und sich dann im Wahlkampf vorwerfen lassen, es an der nötigen Härte gegen den Terrorismus fehlen zu lassen. Bundespräsident Köhlers mit Spannung erwartete und unter hohem Druck getroffene Entscheidung teilte das Bundespräsidialamt mit aller Knappheit mit:

Die Entscheidungen lauten wie folgt:

* "Der Bundespräsident hat entschieden, von einem Gnadenerweis für Herrn Christian Klar abzusehen."

* "Der Bundespräsident sieht sich nicht in der Lage, dem Gnadengesuch von Frau Birgit Hogefeld, rechtskräftig verurteilt seit dem 6. Januar 1999 zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe, derzeit - im vierzehnten Haftjahr - zu entsprechen. Der Bundespräsident wird jedoch zu gegebener Zeit erneut und von Amts wegen über das Gesuch befinden."

Auch 30 Jahre nach dem "Deutschen Herbst", wie kritische Intellektuelle die Wochen der Schleyer-Entführung nannten, kann man mit der längst aufgelösten RAF noch Politik machen. Das wurde in den letzten Wochen deutlich und hat sich in der Entscheidung des Bundespräsidenten bestätigt. Während konservative Politiker davor warnen, dass ehemalige RAF-Aktivisten in Talkshows auftreten könnten, wird fast jede öffentliche Bewegung von Menschen, die irgendwann einmal im Kontext der RAF oder der Bewegung 2. Juni verurteilt worden sind, zum Teil einer Medienkampagne.

So wurde der Auftritt eines ehemaligen Mitglieds der Bewegung 2. Juni auf der Pressekonferenz eines linken Bündnisses vor dem 1. Mai in Berlin zur Topmeldung. Wenige Tage später sorgte die Teilnahme von Inge Viett an der Demonstration für Schlagzeilen. Sie war wegen Mitgliedschaft in der Bewegung 2. Juni und der RAF verurteilt worden. Beide sind seit Jahren aus der Haft entlassen und seitdem in der linken Bewegung politisch aktiv gewesen.

Aber selbst Susanne Albrecht, die schon Ende der 70er Jahre aus der RAF ausgestiegen und in der DDR untergetaucht war, geriet wieder in die Schlagzeilen. Sie war nach dem Ende der DDR verurteilt worden und hatte nach ihrer Freilassung in Bremen eine Stelle als Lehrerin angenommen. Das wurde nach einer Schlagzeile der Bildzeitung zum Thema im Bremer Landtagswahlkampf. Die CDU hat sich an die Spitze einer populistischen Kampagne gesetzt, die die Kinder durch Albrecht in Gefahr wähnt. Dass diese sich schon vor über 25 Jahren aus der Politik zurückzogen hat, spielt dabei keine Rolle.

Eine neue Erfahrung machen allerdings die Konservativen in der Kampagne. Sie müssen sich mit der Justiz auseinandersetzen und können dabei sogar den Kürzeren ziehen. So hat Christian Klar die ausgesetzten Hafterleichterungen erfolgreich eingeklagt. Die RAF-Gefangene Eva Haule, die sich gerade auf ihre Freilassung vorbereitet und von der Berliner Boulevardpresse auf Schritt und Tritt mit der Kamera verfolgt wurde, klagte zunächst erfolgreich für ihr Recht auf das eigene Bild. In der zweiten Instanz bekamen dann allerdings die Boulevardmedien Recht.

Sieg über Kinkelinitiative

Dass die ehemaligen Staatsfeinde den Rechtsweg beschreiten, könnte eigentlich als Beweis für eine gelungene Resozialisierung gedeutet werden. Wer die Justiz bemüht, um Rechtsstreitigkeiten zu klären, oder wer beim Präsidenten um Gnade bittet, taugt eigentlich nicht mehr als Staatsfeind. Genau das ist das Problem derer, die sich so vehement gegen eine Begnadigung ausgesprochen haben. Sie wollten damit einen letzten Erfolg der nach dem früheren Bundesinnenminister Klaus Kinkel benannten Initiative verhindern.

Kinkel hatte Anfang der 90er Jahre den Umgang mit den Gefangenen aus der RAF und dem politischen Umfeld als Schlüssel für eine Befriedung gesehen. Schließlich hatte in den 70er Jahren die Empörung über die Haftbedingungen nicht wenige politische Aktivisten mobilisiert. Einige sind später in den Untergrund gegangen. Eine Begnadigung von Klar 30 Jahre nach dem deutschen Herbst hätte den erfolgreichen Abschluss der Kinkel-Initiative bedeutet. Doch viele Konservative sahen in der Initiative eine Schwäche des Staates. Diese Position hat bis heute Unterstützer in großen Teilen der Union.

Statt einer Begnadigung Klars setzen sie auf die Eröffnung neuer Verfahren. Nach der von Peter-Jürgen Boock gelieferten Tatversion des Attentats auf Buback geriet Stefan Wischnewski, der schon ehr eine mehr als 20jährige Haft verbüßt hat, erneut ins Blickfeld der Justiz. So wird das Thema RAF auch 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst die Innenpolitik in Deutschland bestimmen.