Bundeswehr 2.0

Guttenbergs Bundeswehrreform nimmt Gestalt an, das Ende der Wehrpflicht scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Finanzkrise hat geschafft, woran sich der Warschauer Pakt und die Friedensbewegung die Zähne ausgebissen haben. Die deutsche Politik ist auf dem Weg zur Erkenntnis, dass sie sich eigentlich kein großes, stehendes Heer leisten kann. Doch mit der vielzitierten Friedensdividende hat das nichts zu tun. Die neue Bundeswehr soll eine schlanke Interventionsarmee werden, die an allen Ecken und Enden der Welt schnell und problemlos eingesetzt werden kann. Die Verteidigungsarmee des Grundgesetztes ist damit faktisch Vergangenheit, ebenso die Wehrpflicht.

Im aktuellen Haushalt nimmt der Wehretat 31 Milliarden Euro ein. Ohne Reformen würde dieser Etat in den nächsten Jahren um 5,6 Milliarden Euro steigen, wie innere Berechnungen der Bundeswehr ergaben. Grund dafür sind Tariferhöhungen und die steigenden Kosten für Materialerhalt und Auslandseinsätze.

Im Bendlerblock will man allerdings nichts von Kostensteigerungen wissen, sondern - ganz im Gegenteil - in den nächsten Jahren sogar über neun Milliarden Euro einsparen. Sollten diese Ziele eingehalten werden, muss die Bundeswehr also bereits in vier Jahren mit einem Budget auskommen, das nur etwas mehr als der Hälfte des eigentlichen Planziels beträgt. Ohne tiefgreifende Reformen ist das nicht möglich, zumal die Bundeswehr bereits heute im operativen Bereich massiv unterfinanziert ist.

Die Bundeswehr ist in ihrer Struktur ein einziger Anachronismus. Sie wirkt wie ein großer Jeep, den man sich einst gekauft hatte, als man noch in der Wildnis lebte, der aber nun fürs tägliche Brötchenholen in der Stadt überdimensioniert und schlichtweg zu teuer im Unterhalt ist. Mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts hatte die Verteidigungsarmee, die in Hochzeiten 500.000 Soldaten umfasste, ihren Feind verloren. Die NATO hatte ihren Gründungszweck erfüllt und hätte sich eigentlich zugunsten neuer Sicherheitsarchitekturen auflösen müssen.

Wer damals hoffte, nun die Friedensdividende kassieren zu könnten, wurde jedoch bald enttäuscht. Wehrtechnik ist ein zu lukratives Geschäft, als dass man es in Friedenszeiten aufgeben könnte. Nach angestrengter Suche fand man jedoch bald neue Feinde. Die Bundeswehr war allerdings auf die Aufgaben, die sie zu erwarten hatte, nicht vorbereitet, war sie doch ein Kind des Kalten Krieges.

Eine Armee, deren Aufgabe darin bestand, die erste Vorhut im Kampf gegen einen hochgerüsteten Feind zu bilden, lässt sich nicht einfach am Ende der Welt gegen Aufständische einsetzen. Die Taliban sitzen nicht in Kampfjets, verfügen nicht über Mittelstreckenraketen und haben noch nicht einmal Panzer. Die Hauptfähigkeiten der Bundeswehr bestanden - und bestehen - jedoch in der Luft- und Raketenabwehr und dem Kampf gegen schwer gepanzerte Großverbände. Der vor rund fünfzehn Jahren gestartete Transformationsprozess verläuft jedoch schleppend, während die Kosten aus dem Ruder laufen.

Während des Kalten Krieges war die deutsche Rüstungsindustrie ein Hätschelkind der Verteidigungspolitik. Der verteidigungspolitische Ernstfall sah jahrzehntelang folgendermaßen aus: Die Hardthöhe bestellte überdimensionierte Plattformlösungen, die nicht nur Jahrzehnte zu spät geliefert wurden, sondern dem Steuerzahler dann auch noch das Vielfache des ursprünglich projektierten Budgets kosten sollten. Der Politik ist es nie gelungen, dem militärisch-industriellen Sektor dieses Verhalten auszutreiben. Noch heute wartet die Bundeswehr auf die Auslieferung der 122 NH-90-Hubschrauber, die bereits zu Zeiten des Kalten Krieges bestellt wurden. Was die neue Bundeswehr heute noch mit einer derart großen Flotte von Transporthubschraubern anfangen will, weiß man selbst im Verteidigungsministerium nicht. Zwar sieht Guttenbergs Reform vor, "nur" noch 80 NH-90-Hubschrauber abzunehmen, wie man den drohenden Vertragsstrafen begegnen will, ist jedoch unbekannt.

Die rote Liste des schwarzen Barons

Neben NH-90-Hubschrauber soll auch beim Tiger-Kampfhubschrauber gespart werden. Statt der georderten 80 sollen nur noch 40 Exemplare beschafft werden. Die 15 Transall-Transportflugzeuge sollen stillgelegt, die Zahl der neu bestellten A400M reduziert werden, gleichzeitig soll die Tornado-Flotte von 185 auf 85 Exemplare schrumpfen und 37 bestellte Eurofighter stehen ebenfalls zur Disposition - gegen wen will man sie auch einsetzen? Auch bei Marine und Heer muss man sich auf Einsparungen gefasst machen - acht Fregatten, zehn Schnellboote und 21 Sea-King-Hubschrauber sollen stillgelegt und nur noch 280 statt 400 Puma-Schützenpanzer angeschafft werden. Wobei der letzte Punkt bei der Truppe besonders schlecht ankommen dürfte, schließlich fehlen der Bundeswehr bereits heute 3.500 gepanzerte Transportfahrzeuge, um die Soldaten ordentlich für den Einsatz in Afghanistan auszubilden.

Noch ist diese Streichliste nur ein Arbeitspapier, dennoch formiert sich bereits jetzt der Widerstand von allen Seiten. Die IG-Metall meldet massive Bedenken an und bezeichnet Verteidigungsminister zu Guttenberg als Totengräber der militärischen Luftfahrtindustrie in Deutschland, während der bayerische Wirtschaftsminister Zeil seinen Parteifreund ermahnte, er solle die technologische Kompetenz des Freistaats berücksichtigen und keine EADS-Projekte kürzen oder streichen.

Der große Sturm der Entrüstung steht Guttenberg jedoch noch bevor, schließlich bedeutet jede Stilllegung und jeder Abbau von Kapazitäten auch die Schließung von Standorten und damit einen Wegfall von Arbeitsplätzen in den Regionen. Vor allem aus dem Norden des Landes, in dem immer noch die meisten Militärstützpunkte liegen, dürfte dem bayerischen Baron eine steife Briese ins Gesicht blasen.

Zwangsdiät

Die Vorschusslorbeeren Guttenbergs sind bereits verwelkt. Nach seiner Amtseinführung tourte der Unteroffizier der Reserve durch die Stützpunkte der Republik und hörte sich die Wünsche und Sorgen der Landser an. Was Guttenberg hörte, gefiel ihm gar nicht. Material und Ausrüstung fehlt an allen Ecken und Enden, die Bundeswehr fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Anstatt diese Mängel zu beheben, arbeitete Guttenberg jedoch bereits im Hinterkopf an seiner großen Streichliste. Heute lässt er sich lieber auf Banketten blicken und überrascht das Offiziers-Korps mit seinen "Gedanken" täglich aufs Neue.

Die aktuelle Sollstärke von 250.000 Soldaten, darunter 30.000 Wehrdienstleistende, erscheint mit Blick auf die Kassenlage nicht finanzierbar. Guttenbergs Arbeitspapiere spielen daher mit verschiedenen Szenarien, die sich an einer Minimalstärke von 150.000 Soldaten orientieren. Experten gehen allerdings davon aus, dass im November eher 150.000 + X auf der beschlussfertigen Reformvorlage stehen wird. Ob dieses X nun 20.000 oder gar 50.000 betragen wird, hängt vor allem davon ab, wie man künftig die Wehrpflicht handhaben will. Belässt man es bei einer Wehrpflicht von sechs Monaten, wird man die Gesamtzahl der Zeit- und Berufssoldaten nicht signifikant drücken können, da die Ausbildung und Betreuung der Wehrpflichtigen sehr arbeitsintensiv ist.

Neue Aufgaben

Die Bundeswehr der Bonner Republik war untrennbar mit der Wehrpflicht verbunden. Nach den Erfahrungen des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reichs wollte man keine Armee, die Staat im Staate ist. Man wollte eine demokratische Bürgerarmee, die durch die Leitlinien der "Inneren Führung" und des "Staatsbürgers in Uniform" möglichst tief im Volk und der Demokratie verwurzelt ist. Diese Zeiten sind vorbei. In der Berliner Republik geht es nicht mehr um die Landesverteidigung, sondern um internationale Friedens- und Befriedungseinsätze. Doch die Transformation ist noch nicht abgeschlossen.

Die Zukunft der Bundeswehr wird auch eine verstärkte "Sicherung von See- und Handelswegen" beinhalten, die laut zu Guttenberg schließlich "unserem Mittelstand nützt". Experten gehen daher auch davon aus, dass im Rahmen der Bundeswehrreform eine Neufassung der verteidigungspolitischen Richtlinien und des Weißbuchs angestrebt wird, in denen die Sicherheitspolitik und die strategischen Ziele des Landes definiert sind. Dann wäre der Weg frei für eine Interventionsarmee, die weltweit die Interessen der deutschen Wirtschaft mit militärischen Mitteln vertritt.

Auslaufmodell Wehrpflicht

Die Wehrpflicht ist durch das Grundgesetz streng an die Landesverteidigung gekoppelt und mit Wehrpflichtigen kann man die neuen Aufgabenfelder ohnehin nicht wahrnehmen, da sie im Ausland nicht eingesetzt werden können. Die neuen Soldaten der Bundeswehr sollen eher Rambos in Flecktarn als Staatsbürger in Uniform sein. Die Angehörigen eines Berufssoldaten wissen in den meisten Fällen, dass der lukrative Job auch mit dem Tod enden kann. Wehrpflichtige, die aus einem sinnlosen Krieg in einem Zinksarg nach Hause kommen, würden indes die Moral der "Heimatfront" merklich untergraben.

Die soziale Struktur der Armee hat sich bereits seit Jahren verändert. War es in der Bonner Republik noch normal, dass auch Söhne aus "besserem Hause" ihren Dienst an der Waffe verrichten, so wird heute nur noch ein Bruchteil eines Jahrgangs in der Bundeswehr gebraucht. Mit einem Wandel zu einer "De-facto-Berufsarmee" würde die Bundeswehr strukturell den Berufsarmeen anderer westlicher Staaten folgen. Auch in der US Army dienen hauptsächlich Angehörige der Unterschicht. Es ist auch einfacher, einen Rodrigo, dessen Eltern Tellerwäscher in einem kalifornischen Diner sind, fernab der neuen Heimat in den Tod zu schicken, als den Filius eines republikanischen Senators aus Rhode Island.

Der deutsche Rodrigo heißt René und kommt aus Brandenburg und steht vor der Wahl, sich zu verpflichten oder ein Leben in Hartz IV zu verbringen. Natürlich schickt die Berliner Politik lieber René nach Afghanistan als den Sohn eines Parlamentariers oder eines Leistungsträgers. So manche Entscheidung im Plenum wäre sicher anders ausgefallen, wenn die Abgeordneten ihre eigenen Söhne und Töchter in den Krieg schicken müssten.

Mit allen Folgen für die Sicherheit der Menschen unseres Landes gibt es die Option, den Wehrdienst so, wie er jetzt ist, beizubehalten – mit allen Vor- und Nachteilen Es gibt das Extremmodell, auf die Wehrpflicht im Grundgesetz zu verzichten. Davon halte ich nichts. Und es gibt verschiedene Alternativmodelle, auch solche, die freiwillige Elemente enthalten. Daher ist vielen Fragen zu begegnen, etwa jener, wie weit einer, der heute bei der Bundeswehr Wehrdienst leistet, noch ein Unfreiwilliger ist.

Karl-Theodor zu Guttenberg in einem Interview der FAZ

Verfassungsrechtliche Probleme

Um die Wehrpflicht abzuschaffen, bräuchte man eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. FDP, Grüne und Linke unterstützten eine Abschaffung bzw. Aussetzung der Wehrpflicht, die SPD lehnt sie kategorisch ab. Auch wenn zu Guttenberg die Wehrpflicht am liebsten ganz abschaffen würde, so dürfte dieses Vorhaben innerhalb der Union nicht mehrheitsfähig sein. Es ist daher anzunehmen, dass die Wehrpflicht nicht abgeschafft wird, sondern durch einen freiwilligen Dienst an der Waffe, der mindestens 24 Monate dauert, ersetzt wird. Diese Soldaten würden dann als Zeitsoldaten gelten und dürften auch im Ausland eingesetzt werden.

Das Problem eines solchen Modells ist jedoch der verfassungsrechtliche Rahmen. Die Wehrpflicht fußt auf der Landesverteidigung und es ist unwahrscheinlich, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichtes eine "ausgesetzte" Wehrpflicht mit freiwilligen Zeitsoldaten überhaupt anerkennen würden. Guttenberg kalkuliert das Veto aus Karlsruhe wahrscheinlich bereits in seine Planungen ein, würde ein solcher Richterspruch die Politik doch vor die Entscheidung stellen, entweder für eine nicht finanzierbare Wehrpflichtigenarmee oder eine Abschaffung der Wehrpflicht zu votieren. Das Ende der Wehrpflicht ist somit mittelfristig die wahrscheinlichste Lösung.

Wenn diese Transformation abgeschlossen ist, wird die Berliner Republik endlich ihre Interventionsarmee haben, die Deutschland (und die Interessen der deutschen Wirtschaft) nicht nur am Hindukusch, sondern weltweit vorwärtsverteidigt. Als die junge Bundesrepublik sich wieder bewaffnete, misstraute sie den Militärs und konstruierte die Bundeswehr als Parlamentsarmee. Es ist tragisch, dass sich heute ausgerechnet das Parlament als größte Bedrohung für die Idee einer demokratischen Verteidigungsarmee herausstellt, die das Kämpfen erlernte, um nie kämpfen zu müssen. Die Lehren aus der Vergangenheit sind offensichtlich bereits verpufft - schönes neues Deutschland.