Bushs Woche der Wahrheit

Ist dies der Anfang vom Ende seiner Regierung?

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Vielleicht werden Historiker die vergangene Woche einmal als diejenige beschreiben, in der sich George W. Bushs Präsidentschaft entschieden hat. Wenn dem so sein sollte, wird es keine Erfolgsgeschichte sein, die da erzählt wird. Denn mit jedem Tag steigerten sich zuletzt die Hiobsbotschaften für den Mann im Weißen Haus. Und schon heute könnten neue hinzu kommen. Ist dies der Anfang vom Ende seiner Regierung?

Noch mehr als die eskalierenden Aufstände im Irak und neue Drohungen, etwa durch afghanische Fundamentalisten, machen die wachsenden Zweifel an Bushs Führungsfähigkeit dem Präsidenten zu schaffen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die derzeitigen Hearings vor dem Untersuchungsausschuss des US-Kongress zu den Terroranschlägen des 11. September 2001. Sie führten am Samstag zu dem für den Präsidenten höchst unangenehmen Geständnis, dass es über einen Monat vor den New Yorker Attentaten konkrete und ernstzunehmende Warnungen gegeben hatte. Entgegen den Wünschen des Weißen Haus', müssen in dem Ausschuss auch zahlreiche Regierungsmitglieder aussagen. In dieser Woche werden Justizminister John Ashcroft, sowie mehrere CIA-Spitzenbeamte Rede und Antwort stehen müssen.

Zu einem vorläufigen Höhepunkt wurde am vergangenen Donnerstag der Auftritt von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice (vgl. Tante Ben's Schaulaufen). Er folgte direkt auf das Hearing des ehemaligen Koordinators der Antiterrorabteilung der Bush-Regierung, Richard A. Clarke, der seine ehemaligen Chefs massiv angegriffen hatte. Medial gehyped oder nicht, von heimlichem Ehrgeiz der Sicherheitsberaterin begleitet oder nicht, wurde der Auftritt im Zusammenhang mit dem übrigen Verlauf der Woche zu einem Kommunikationsdesaster für die Regierung. Denn obwohl Beobachter der einzigen Intellektuellen in Bushs engstem Beraterkreis durchweg einen brillanten Auftritt bescheinigen, in dem Rice es mit allen taktischen und rhetorischen Kniffen vermied, ihren Präsidenten, die Regierung oder gar sich selbst konkret zu belasten und der Inhalt des umstrittenen Memorandums vom 6.August 2001 zunächst nur den Ausschussmitgliedern bekannt war - und erst später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde -, wurde Rice doch zu einem entscheidenden Eingeständnis gezwungen: "Bin Laden Determined to Attack Inside the United States" (Bin Laden entschlossen, innerhalb der USA anzugreifen) - dieser eindeutige Satz war der Titel der Geheimdienstmitteilungen gewesen, musste Rice zähneknirschend zugeben.

"Alle Bedrohungen im Griff gehabt"

Nach monatelangen Vermutungen, mögen sie auch noch so triftig untermauert gewesen sein, gab damit zum ersten Mal ein loyales - also nicht bereits im Vorfeld abgesprungenes, und damit möglicherweise durch andere Interessen motiviertes - Mitglied der Regierung dem Argument Nahrung, dass der Präsident persönlich, die Bedrohungslage im Sommer 2001 falsch eingeschätzt hatte. Damit wachsen die ohnehin mit manch guten Gründen verbreiteten Zweifel an Bush Eignung für sein Amt weiter. Denn 9/11 hätte womöglich verhindert werden können, wenn die Einschätzung der entsprechenden Warnungen durch den Präsidenten und seine obersten Beamten eine andere gewesen wäre, wenn man Hinweisen mit ähnlicher Härte und Entschlossenheit nachgegangen wäre, wie sie die Administration später im "War against Terror" und im Irak-Krieg bereitwillig an den Tag legte. Zudem lassen derartige Fehler auch weitere Rückschlüsse auf die derzeitige Anti-Terrorstrategie der Regierung zu.

Bereits einen Tag nach dem Rice-Hearing später, am vergangenen Freitag, gab ein Sprecher des Weißen Haus in einer Art Vorwärtsverteidigung weitere Einzelheiten bekannt: Von Sprengkörpern und geplanten Flugzeugentführungen sei in dem Memorandum gleichfalls die Rede gewesen, war zu hören. Damit widersprach die Regierung eigenen, früheren Stellungnahmen, nach denen solche Informationen im Vorfeld des 11. September nur von "historischem" Charakter gewesen seien und es keinerlei konkrete Anhaltspunkte für neue Gefahren gegeben habe.

In der Debatte darüber, ob die Bush-Administration im Sommer 2001 auf alle Warnungen angemessen reagiert und genug getan habe, um etwaigen Anschlägen vorzubeugen, könnten sich bald neue Risse auftun. Zum einen gibt es gewisse Widersprüche in den Erklärungen von Rice gegenüber jenen des von Ashcroft geleiteten Justizministeriums. Während Rice darauf besteht, die Regierung habe im Sommer 2001 "alle Bedrohungen im Griff gehabt", leugnet dieser, dass es überhaupt eine erkennbare Bedrohung gegeben hätte. Zunehmend geht die Regierung dabei auch auf Distanz gegenüber dem FBI, und streut Zweifel an dessen Reaktion auf Mahnungen des Weißen Haus, sich verstärkt um die Aufklärung bekannter Al Quaida-Vernetzungen zu widmen. Eine der wenigen Momente der Einigkeit zwischen Clarkes und Rice's Statement war dann auch die Klage über die völlig fehlende Warnung vor den Angriffen des 11.September.

"Gibt es überhaupt Iraker im Irak?"

Währendessen spitzt sich die Lage im Irak stündlich zu (vgl. Krieg in den Städten). In der Nacht zum Dienstag wurden acht russische Techniker in Bagdad als Geiseln genommen, zuzüglich zu den Geiselnahmen von Europäern und Asiaten während der vergangenen Tage. Offensichtlich ist, dass auch regionale US-Experten die gegenwärtigen Vorgänge zunehmend schwerer durchschauen: "Gibt es überhaupt Iraker im Irak?" fragte am Osterwochenende verzweifelt Leitartikler Thomas L. Friedman in der generell Bush-kritischen New York Times, und wunderte sich über den scheinbaren Zerfall des Irak in Sunniten, Schiiten und Kurden.

Zusehends und mit guten Gründen strapaziert werden auch die Vietnam-Parallelen. Während der erzkonservative William Safire über die heimischen "Quagmirists" ("Quagmire", Sumpf, ist die beliebteste Metapher für die US-Verstrickung in Vietnam) schimpfte, nannte Senator Ted Kennedy jetzt die Irak-Besatzung erstmals "Bushs Vietnam". "Ohne neue Alliierte, ohne mehr weltweite Legitimität, können wir im Irak nicht gewinnen", meinte Friedman, "Wir bauen ein Haus ohne Zement". Aber solange täglich neue Ausländer entführt werden, es täglich Attentate auf Besatzungstruppen gibt, wird es Bush kaum gelingen, neue Verbündete zu finden.

Auch die militärische Führung scheint orientierungslos: "We're trying to explain how things are going, and they are going as they are going", meinte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vergangene Woche. "Einiges läuft gut, anderes läuft offensichtlich nicht so gut. Dies ist ein Moment und es wird andere Momente geben." Seine Soldaten wissen schon längst nicht mehr, was, selbst idealtypisch gedacht, die Ziele ihrer Mission sind.

Neue Bedrohungen zeigen sich ebenfalls am Horizont. So rief der einschlägig bekannte afghanische Fundamentalistenführer Gulbuddin Hekmatjar seine Landsleute zum Volksaufstand gegen die internationalen Streitkräfte auf. "Die afghanische Nation sollte versuchen, ihre Souveränität noch vor den Irakern zu erlangen". Vertreter westlicher Geheimdienste und Regions-Experten reagierten zwar skeptisch auf die generellen Möglichkeiten Hekmatjars, einen solchen Aufstand zu entfesseln, zumal sein Einfluss in Afghanistan seit den Tagen des Bürgerkriegs stark geschwunden ist. Aber dies wäre nicht das erste Mal, dass sich die Experten täuschen. Womöglich dauert Bushs Woche der Wahrheit länger als sieben Tage.