"But honestly, I mean, conspiracy theories…

Die britische Regierung versucht weiterhin das Memo, nach dem Bush den Vorschlag gemacht haben soll, al-Dschasia zu bombardieren, zu entkräften und erreicht damit das Gegenteil

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In der letzten Woche hatte der britische Mirror auf ein Memo hingewiesen, das ein Gespräch zwischen Tony Blair und George Bush im Weißen Haus im April 2004 wiedergibt. Das als "sehr geheim" eingestufte Dokument weist auf einen Vorschlag des US-Präsidenten hin. Demnach wollte er mit Blair besprechen, ob man im Rahmen des ersten Angriffs auf die Stadt Falludscha nicht die Zentrale des Fernsehsenders al-Dschasira in Katar bombardieren solle. Blair hat diese Idee Bush angeblich aus pragmatischen, keineswegs prinzipiellen Gründen ausgeredet und auf die katastrophalen politischen Folgen einer solchen Bombardierung eines Fernsehsenders in einem befreundeten Land hingewiesen, in dem sich noch dazu das Hauptquartier der US-Truppen in der Region befindet.

Das Weiße Haus hat die Berichte über die Inhalte dieses Memos als abwegig bezeichnet. Auch der Daily Mirror wollte nicht ausschließen, dass der Vorschlag von Bush vielleicht nicht ernst gemeint gewesen sein könnte. Dem widerspricht allerdings nicht nur, dass al-Dschasira von Mitgliedern der Bush-Regierung wiederholt die Zusammenarbeit mit Terroristen und Aufständischen vorgeworfen und Konsequenzen angedroht wurden, sondern dass auch in Afghanistan und in Bagdad Redaktionsbüros von amerikanischen Bomben zerstört wurden (ausführlicher hier: Der Rekordhalter: Hitlers gefährlichster Regisseur im Doppelpack). Worauf der Mirror und andere britische Medien hinweisen, ist allerdings auch, dass Informanten, die das Memo kennen, der Meinung sind, dass der Vorschlag von Bush durchaus ernst gemeint war.

Das Memo, das im Mai der damals noch amtierenden Labour-Abgeordneten Tony Clarke von David Keogh, einem Mitarbeiter des britischen Kabinetts, über Clarkes Mitarbeiter Leo O'Connor erhalten und inzwischen wieder der Regierung zurückgegeben hat, scheint aber zumindest Brisantes zu enthalten. Denn gegen Keogh, der deswegen schon im September 2004 kurzfristig festgenommen worden war, und O'Connor hat der Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith nicht nur vor 10 Tagen ein Verfahren wegen der Verletzung des Official Secrets Act eingeleitet, sondern auch allen Medien mit Strafverfahren gedroht, die das Memo veröffentlichen. Goldsmith weist Vermutungen zurück, er handle im Auftrag der britischen Regierung und wolle nur Blair und Bush damit schützen. Das dürfte man ihm kaum abnehmen. Am Dienstag findet die erste Anhörung statt. Mit dem nun aufgeladenen Hintergrund wird es für die britische Regierung ein heikler Prozess werden, in dem viel auf dem Spiel steht.

Blair selbst wird auch unter starkem Druck seitens der sowieso angeschlagenen Bush-Regierung stehen, die nicht nur innenpolitisch wegen des Irak-Kriegs, sondern beispielsweise weiterhin wegen der Verletzung von Menschenrechten und den damit zusammenhängenden CIA-Aktivitäten unter Beschuss steht ("Dieser Geheimdienst foltert nicht"). Plötzlich ist beispielsweise das Weiße Haus, nachdem noch kurz zuvor das Gegenteil gegenüber Forderungen von demokratischen Abgeordneten behauptet wurde, für einen massiven Abzug von Truppen im nächsten Jahr und tut so, als habe man nie etwas anderes gesagt.

Auf einer Pressekonferenz am Samstag nach dem Memo gefragt, stammelte der britische Regierungschef, der zwar als Bushs Pudel vieles bereitwillig mitmachte, aber doch auch einige besonders unbedachte Schritte der Bush-Regierung zu verhindern suchte, dass er über solche geheimen Dinge eigentlich nichts sagen dürfe und bezeichnete dann noch alles als Ausdruck von Verschwörungstheorien:

Look, there's a limit to what I can say - it's all sub judice. But honestly, I mean, conspiracy theories…

Es ist bei all den Versuchen, sich selbst zusammen mit der Bush-Regierung zu verteidigen, geradezu ironisch, dass nun ausgerechnet die britische Regierung, die im Augenblick die EU-Ratspräsidentschaft innehat, in Washington Aufklärung über die CIA-Flüge und etwaige Gefangenenlager in Europa verlangen soll.

Vermutlich wäre es für die britische Regierung besser, der Forderung von Peter Kilfoyle, einem ehemaligen Labour-Verteidigungsminister, nachzukommen und das Memo zu veröffentlichen. Durch die Geheimhaltung und die politischen Verdrehungen werden jedenfalls, dass sollte auch die britische Regierung allmählich wissen, Verschwörungstheorien systematisch geschürt. So gehen nun bereits manche Vermutungen weit über den Vorschlag von Bush hinaus, die Sendezentrale von al-Dschasira zu bombardieren, um zu verhindern, dass dieser weiter unerwünschte Bilder und Reportagen über die Folgen des Kriegs publiziert, den das Pentagon gerne als sauberen Krieg mit Präzisionswaffen gegen die Bösen dargestellt sähe.

Auch gegen Katherine Dunn, eine ehemalige Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes, wurde Anklage auf der Grundlage des Official Secrets Act erhoben. Sie hatte im Vorfeld der Abstimmung des unter massiven Druck seitens der amerikanischen und britischen Regierung stehenden UN-Sicherheitsrats über die Irak-Resolution und damit über die Zustimmung oder Ablehnung des von Bush und Blair gewünschten Krieges, eine Anweisung des US-Geheimdienstes NSA an die Presse geleitet (Lauschangriff auf die Delegierten des UN-Sicherheitsrats). Daraus wurde klar, dass die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats von den Amerikanern mit der Hilfe von Briten abgehört wurden. Der Prozess gegen Dunn wurde schließlich aber, nachdem die Tatsachen einmal gesetzt waren und der Krieg zunächst einmal die Lügen, Tricks und Machtspiele, die zu ihm geführt haben, überdeckte, wieder eingestellt. Man fürchtete, dass dabei nicht nur weitere Geheimnisse aus den britischen Geheimdiensten aufgedeckt würden, sondern auch die Legitimität des Krieges ins Blickfeld gekommen wäre. Ein Prozess und eine Verurteilung hätten sicherlich mehr Aufmerksamkeit auf den Vorfall gelenkt, so wurde er schnell wieder vergessen.

Allerdings ist nun die Situation eine andere. Bush und Blair stehen unter heftiger Kritik und haben an Macht und Glaubwürdigkeit verloren, zumal immer neue Enthüllungen und Memos bekannt werden. Das Gebäude, um das der Irak-Krieg gerechtfertigt wurde und wird, bricht an allen Ecken auseinander. In einem heute im Observer veröffentlichten Interview sagte auch noch ausgerechnet der ehemalige irakische Ministerpräsident, der die von Großbritannien und der USA installierte Übergangsregierung leitete, dass die Menschenrechtsverletzungen im Irak jetzt schlimmer als zur Zeit Husseins seien.

Die Menschen machen dasselbe wie zu Saddams Zeiten und schlimmer. Das ist ein zutreffender Vergleich. Die Menschen werden an die Zeit Saddams erinnert. Das waren genau die Gründe, warum wir Saddam bekämpft haben. Und nun sehen wir dasselbe wieder.

Der Sunnit Allawi hatte allerdings selbst mit harter Hand regiert, nachdem der CIA- und Pentagon-Vertraute willig in einem Überraschungscoup die Macht übernahmen und lange Zeit loyal hinter der US-Politik stand (Überraschend wurde die Machtübergabe im Irak vorgezogen). Die ersten Foltervorwürfe tauchten im Übrigen mit der Machtübernahme von Allawi auf (Geht die Willkürherrschaft weiter?).