CATCH 22

Mehrere Forschergruppen identifizieren exakt die Gene, die für die Erbkrankheit DiGeorge Syndrom verantwortlich sind.

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Seit 1999 ist das Chromosom 22 (siehe:Nature, Dez 1999) entziffert, es ist eines der kleinsten unter den 23 verschiedenen menschlichen Erbinformations-Träger-Paaren, die im Zellkern bei der Teilung sichtbar werden. Chromosom 22 war das erste, dessen Daten weitgehend entziffert wurden. Es enthält schätzungsweise 1,7 Prozent aller Gene des Menschen. Bisher waren 545 Gene gefunden worden, bei den meisten war die Funktion aber nicht genau geklärt.

Trotz intensiver Forschung war bisher die Identifikation der speziellen Gene, die für erbliche Krankheitsbilder verantwortlich sind, noch nicht gelungen. Bekannt war nur, dass Defekte auf einem dieser molekularen Bausteine für das Katzenaugen- und das DiGeorge Syndrom verantwortlich sind.

Das "Chromoson 22q11 Deletion"-Syndrom ist ein häufiger genetischer Defekt auf dem Band 11 des Armes des Chromosoms 22.

Der Defekt wird auch Catch22 genannt. Diese saloppe Bezeichnung, die auf den irrwitzigen Anti-Kriegsroman von Joseph Heller anspielt, wird aber von vielen Betroffenen abgelehnt. Akzeptierter ist der Begriff DiGeorge-Syndrom, nach dem amerikanischen Kinderarzt Angelo DiGeorge benannt, der als erster klar die Symptome beschrieb.

Der Nachweis einer Deletion auf dem kurzem Arm des Chromosom 22 bei einem Patienten mit Di George Syndrom gelang bereits 1981, das war der erste Schritt zur Identifikation einer möglichen genetischen Ursache. Mit neuen cytogenetischen Techniken wurden später noch andere Micro-Deletionen am gleichen Ort nachgewiesen.

Jetzt ist die Wissenschaft bei der Entschlüsselung des Syndroms wieder weiter vorangekommen, verschiedene konkurrierende Forschergruppen haben gleichzeitig ihre Ergebnisse vorgelegt. In der Ausgabe von Cell vom 23.Februar publizieren J. G. Seidman und Christine Seidman, vom Institute for Human Genetics der Harvard University ihre Studie. Sie benützen genetische Techniken (mit tierischen Embryo-Stammzellen), um die molekularen Grundlagen für kardiologische Erkrankungen zu definieren.

Antonio Baldini und seine Kollegen vom Baylor College of Medicine in Texas haben das verantwortliche Gen für die Herzmissbildungen definieren können und veröffentlichen in der ersten März-Ausgabe von Nature. Bis zu ein Zehntel der 33 Millionen Basen des Genoms kann bei DiGeorge-Patienten fehlen. Das Mediziner-Team um Baldini hat ebenfalls die neuesten Methoden der genetischen Technologie genutzt und potentielle Gene in Mäuse-Versuchen ausgetestet. Jetzt können sie das Gen Tbx1 benennen, ein Entwicklungs-Kontrollgen, dass hauptsächlich für die Herzprobleme des Syndroms verantwortlich ist. Die neuen Erkenntnisse sind nicht nur wichtig im Kampf gegen DiGeorge, sondern auch um die Entwicklung eines so komplexen Organs wie des Herzens zu begreifen.

In der Märzausgabe von Nature Genetics veröffentlichen auch Dr. Loydie A. Jerome und Dr. Virginia E. Papaioannou von der Columbia University in New York ihre Studie. Sie züchteten ebenfalls Mäuse, denen ein oder beide Tbx1-Gene fehlten. Diese Mäuse entwickeln angeborene Herzfehler, die denen von Menschen mit DiGeorge-Syndrom gleichen.

Akira Imamoto und seine Kollegen von der University of Chicago, Illinois, beschäftigen sich mit den histologischen und anatomischen Manifestationen bei Mäusen, deren Crkol-Gen mutiert ist. Diese Mäuse entwickeln ebenfalls Symptome, die dem DiGeorge-Syndrom entsprechen.

"The gene that we identified is important for neural crest cell development, but it is outside the so-called critical region that is usually studied in DiGeorge syndrome....The Tbx1 gene identified in the other study is within this critical region, but surprisingly it appears that a gene outside of this region is also involved. Even though Tbx1 or Crkol knockout generate similar phenotypes in mice, the phenotypes vary between different mice. This may explain the complexity of symptoms that we see in patients and it suggests that other modifiers elsewhere in the genome also play a role."

Dr. Imamoto zu Reuters Health

Das DiGeorge-Syndrom ist neben dem Down-Syndrom die häufigste genetische Ursache für angeborene Herzfehler, es trifft eines von 4000 Neugeborenen.

Die Symptome umfassen Herzfehler, Unterentwicklung oder angeborenes Fehlen des Thymus mit T-Zelldefekt und Immunschwäche, typische Gesichtsformen (kurze breite Nase mit Missbildungen, schmaler Mund mit motorischen Störungen, Gaumenspalte, Ohranomalien), teilweise geistige Retardierung. Psychomotorischer sowie sprachlicher Entwicklungsrückstand gehören zu den Folgen. 9% der Jugendlichen, die mit DiGeorge geboren sind, haben Lern- oder Verhaltensstörungen, bis zu 20% der Erwachsenen entwickeln eine Psychose (häufig eine chronische paranoide Schizophrenie). Häufig leiden die Patienten unter Leistungsschwächen und ihre psychologische Eigenart führt zu sozialer Isolation.

Der Zusammenhang mit familiären Dispositionen war lange bekannt, das Risiko, die Krankheit an direkte Nachkommen weiterzugeben wurde mit 50% angegeben. Die Ausprägung ist sehr verschieden stark, während bei einigen Babies hauptsächlich Gesichtsverformungen und operierbare Herzfehler vorliegen, verläuft bei anderen die Erkrankung tödlich, v.a bei Fehlen oder starker Missbildung des Thymus. Der Thymus gehört zu den primären lymphatischen Organen, hier werden unreife weiße Blutkörperchen zu reifen T-Zellen (T steht für thymusabhängige Zellen). T-Helferzellen gehören zu den Abwehrzellen, sie sind wesentlich für das menschliche Immunsystem.

Insgesamt ist das phänotypische Spektrum von Deletion 22q11 sehr breit, es wurden durch die Krankengeschichte vieler Patienten beschrieben, insgesamt sind über 180 verschiedene klinische Erscheinungsbilder dieser Erbkrankheit bekannt.

Durch die neuen Forschungsergebnisse hoffen die Ärzte, den genauen Ursachen des DiGeorge einen entscheidenden Schritt näher gekommen zu sein. Allerdings ist Vorsicht geboten, die Resultate von Mäuse-Versuchsreihen direkt auf den Menschen zu übertragen. Martina Schinke und Seigo Izumo von der Harvard University, Massachusetts) analysieren ebenfalls in der Märzausgabe von Nature Genetics die vorliegenden Berichte aller Teams und kommen zu dem Schluss, dass Mäuse offensichtlich die volle Symptomatik des DiGeorge-Syndroms nur entwickeln, wenn beide entsprechenden Gen-Paare fehlen. Der Menschen reagiert wahrscheinlich wesentlich empfindlicher. Die nächsten Versuche sollten belegen, was geschieht, wenn sowohl Tbx1 wie Crkol mutiert sind, bzw. fehlen.

Unter www.kids-22q11.de gibt es noch mehr Informationen der Elterninitiativen für Kinder mit DiGeorge Syndrom in Deutschland, Verein KiDS-22q11e.V.