Cameron bekennt sich zum "christlichen Großbritannien"

Kritiker werfen ihm vor, dass seine Äußerungen zu Entfremdung und Spaltungen im Land führen könnten

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Ob christliche Werte auf Politiker wie den britische Premierminister Cameron einen großen Einfluß bei Entscheidungen haben, die sich auf Sozialleistungen auswirken, ist nach der Praxis zu urteilen, eine rhetorische Frage. Tun sie nicht; die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist wichtiger, die Kosten für derlei Idealismus sind zu hoch. Insofern dürfte sich kaum jemand von der an Cameron adressierten Bitte der 45 anglikanischen Bischöfe und 600 Kirchenführer um bessere Löhne und ein besseres Sozialsystem eine andere Politik versprechen. Auch wenn Cameron zum Osterfest laut proklamiert hat, dass Großbritannien ein christliches Land sei.

Am gestrigen Ostermontag stand Camerons Bekenntnis zum christlichen Glauben im Zentrum einer Diskussion, die er selbst vor seinem Osterurlaub angeregt hat. In einem Artikel, der zur Karwoche in der Church Times erschienen war, hatte Cameron sich vom säkularen Zeitgeist distanziert, um zu betonen, dass man seiner Überzeugung nach "mehr Vertrauen in den Status des Landes als christliches Land" setzen sollte.

In der Konsequenz, so deutet der Premier an, gehe diese Einsicht mit dem Ehrgeiz einher, vom Glauben an Gott getragenen Organisationen eine stärkere Rolle zuzuweisen - und dazu, "ehrlich und frei heraus gesagt", "mit einer starken evangelikalen Überzeugung einem Glauben zu folgen, der uns dazu verpflichtet, aus uns herauszugehen und den Menschen das Leben in einem anderen Licht zu zeigen".

Cameron vermeidet bei seinem Credo als christlicher Premier eines christlichen Landes bestimmte Verfänglichkeiten - nein, er gehe nicht regelmäßig zur Messe und er sei "vage", was die schwierigeren Stellen des Glaubens angehe und nein,er wolle mit seinem Bekenntnis auf keinen Fall andere Religionen herabsetzen. So erntete er Beifall der Glaubensgemeinschaften. Dennoch blieb ihm Kritik nicht erspart. Sie kam von säkularer Seite, von Wissenschaftlern, Schriftstellern, Universitätsmitgliedern und nicht zuletzt der British Humanist Association.

Auch sie schrieben einen Brief an den Premierminister vor, in dem sie ihm entgegenhalten, dass Großbritannien "kein christliches Land" sei. Anderes zu behaupten, würde nur zu Entfremdung und Spaltungen im Land führen.

"Durch viele Nicht-Christen zum Besseren gewandelt"

Die darauf folgende Diskussion über die wahre spirituelle Verfassung Großbritanniens wurde schließlich wie üblich mit statistischen Zahlen aufgemischt. Diese sprächen für einen Trend zur Abkehr vom christlichen Glauben, behaupten Camerons Kritiker. Habe der Zensus 2001 noch gezeigt, dass 72 Prozent der Bevölkerung von England und Wales nominell Christen seien, so stellte der Zensus zehn Jahre später fest, dass sich nur mehr 59 % als Christen bezeichneten.

Der "Nettoverlust" von 4,1 Millionen Glaubenden wäre noch stärker ins Gewicht gefallen, wenn nicht die Einwanderung aus Polen und Nigeria 1,2 Millionen Christen ins Land gebracht hätte, wird argumentiert. Laut einer Studie der House of Commons Library aus dem Jahr 2012 wächst die Anzahl der Atheisten und Agnostiker um 750.000 jährlich, bis zum Jahr 2030 werden sie demnach die Mehrheit gegenüber den Christen stellen.

Großbritannien habe sich durch die vielen Nicht-Christen zum Besseren gewandelt, spitzt der kritische Brief die Gegenposition zu Cameron zu. Cameron selbst hatte behauptet, dass das Christentum ein vitales moralisches Fundament für Großbritannien stelle.

Dass dieses Fundament seine Lücken hat, wenn es um Wirklichkeiten geht, ist dem österlichen Bekenntnis schon zu entnehmen. Es geht ihm mehr um Sentimentales, Gefühle, für die man keine Verantwortung übernehmen muss. Denn wo es um realpolitische Verpflichtungen geht, die aus dem "vitalen moralischen Fundament" erwachsen könnten, zieht es Cameron, wie bei den anderen schwierigen Aspekten des Glaubens, vor, vage zu bleiben.

Zum Thema Wohlfahrtsstaat (vgl. die heutige Meldung dazu: Welfare cuts drive UK's poorest families deeper into poverty) fällt Cameron ein, dass es "kontrovers" sei - und dazu ein Gefühl: Er habe manchmal das Gefühl, dass nicht genügend entstehe aus "unseren Bemühungen, die Armut zu bekämpfen". Ob das schon die - vorweggenommene - Antwort war auf den Brief der Kirchenführer? (Abbau des Wohlfahrtsstaates: Immer mehr Briten hungern). Eine aktuelle Antwort auf den Brief steht jedenfalls noch aus.

Geht es nach kritischen Beobachtern, die der Guardian zitiert, so das gesteigerte Interesse Camerons am Glaubensbekenntnis durchaus auch realpolitische Motive. Die seien im Konkurrenzkampf zur Ukip zu finden.