Caves für Mittelständler

Virtuelle Welten - nur für Autobauer oder finanzkräftige Fraunhofer-Institute? Weit gefehlt

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In Deutschland bieten mittlerweile schon drei Firmen preiswerte Caves auch für Mittelständler und Hochschulen an.

Sorgfältig begutachtet der Entwickler das neueste Autodesign in der High-End-Cave der Düsseldorfer Firma TAN. Mit einer kleinen Handbewegung dreht und wendet er das Auto, versetzt sich in das Fahrzeuginnere. Er überprüft, ob sich der Türgriff sich ein- und ausbauen lässt. Passen die Karrosserieteile harmonisch zueinander? Wie deformiert sich das Material während des Aufpralls?

TAN bietet die hochwertigsten Caves vor allem für Autobauer an

Dreidimensionale virtuelle Umgebungen sind vor allem bei Autobauern beliebt, die hier kostengünstig und zeitsparend neue Automodelle austesten können. Inzwischen gibt es die virtuellen Welten jedoch schon so preiswert, dass sich auch Mittelständler eigene Anwendungen leisten können. Bislang investierten nur Großkonzerne wie VW oder Daimler-Chrysler in die dreidimensionalen Projektionsräume. Denn eine drei- bis fünfwandige Cave mit teuren Silicon-Graphics-Rechnern und hochauflösenden Projektoren kostet bis zu vier Millionen Mark. In sein Ulmer Virtual-Realities-Labor steckte Daimler-Chrysler sogar rund 20 Millionen Mark.

"Doch auch die Autobauer nutzen inzwischen einfachere Lösungen", weiß Thomas Reiber, Geschäftsführer der Stuttgarter Firma ICIDO GmbH. Während bei Ein-Wand-Projektionssystemen bislang der Einstiegslevel bei etwa 700.000 Euro lag, bietet ICIDO schon Lösungen für 200.000 Euro. "Der Preis richtet sich nach den Bedürfnissen des Kunden", sagt Reiber. So sind zwar für das Auto-Design die hochauflösenden und lichtstarken Projektoren von TAN nach wie vor das Non-Plus-Ultra. Doch für den Maschinen- und Anlagenbau eignen sich auch die zehn Mal günstigeren Liesegang-Projektoren.

Einsparungen um den Faktor 35 erreichen die Stuttgarter, indem sie millionenschwere Onyx-Großrechner von SGI durch PC-Linux-Cluster ersetzen. Sie liegen damit im Trend: Glaubt man einer aktuellen Studie der Bostoner Marktbeobachtungsfirma Aberdeen Group, wird der Markt der teuren Grafikrechner in den nächsten drei Jahren zu 80 Prozent durch PC-Linux-Cluster ersetzt. Auch die Hersteller IBM und Hewlett Packard unterstützen mit der neuen Intel-Chip-Generation die PC-Cluster-Lösungen. "Damit verschiebt sich der Fokus auf den Anwender", sagt Reiber, "der nur wissen möchte, was er mit seinen Sofwarefunktionen produzieren kann". Nicht nur Autobauer wie BMW, Daimler-Chrysler und Peugeot-Citroën setzen inzwischen auf die Stuttgarter Virtual-Reality-Lösungen, sondern auch Automobilzulieferer wie Faurecia und die Esslinger Festo AG.

Auch die Berliner Firma ITSO bietet eine für Mittelständler erschwingliche 3-D-Projektionstechnologie an. So realisierte ITSO für die Berliner Klinik für minimalinvasive Chirurgie und den Endoskopiehersteller Karl Storz einen virtuellen Operationssaal. Etwas mehr als 100.000 Euro kostet ein solcher OP, dessen Software von Fraunhofer-Forschern programmiert wurde.

Der virtuelle OP von ITSO

Der virtuelle OP kann urologische, gynokologische und allgemein-chirurgische Operationssäle simulieren. Geräte wie endoskopische Kameras, Operationstisch und -lampen steuert der Arzt entweder über Touchscreen oder per Spracheingabe. "Für Kunden ist der virtuelle OP viel überzeugender als eine Zeichnung", stellt Horst Skupin fest, der bei Karl Storz für die Projektierung von Operationssälen zuständig ist. Für Skupin ist dies jedoch nur die erste Ausbaustufe. Schon im nächsten Jahr wird der virtuelle OP auch Designstudien dienen. In einer weiteren Ausbaustufe sollen Chirurgen den OP auch als Übungssimulator verwenden können.

Eine dreidimensionale Videokonferenz stellte ITSO erstmals auf der Cebit-Messe in Hannover vor. Damit wollen die Berliner ein Problem konventioneller Videokonferenzen lösen: "Die Partner sehen aneinander vorbei. Niemand weiß, wer gerade angesprochen wird, weil der direkte Blickkontakt fehlt", hat Thomas Bendig vom Berliner Fraunhofer-Institut FIRST erkannt. Bei den Videokonferenzen in 3-D hingegen haben die Teilnehmer in einem virtuellen Konferenzraum das Gefühl, an einem gemeinsamen Tisch zu sitzen. Weil die Fraunhofer-Forscher die Kameras neu anordnen, die Videodaten anders verarbeiten und eine spezielle Projektionstechnik verwenden, entsteht sogar echter Blickkontakt.

Augenkontakt virtuell

Wie auch bei ICIDO entwickelten Fraunhofer-Wissenschaftler "eine völlig alternative Rechnerarchitektur", um die Datenmassen schnell verarbeiten zu können. Das patentierte Verfahren portiert nicht die herkömmliche Software-Architektur von Silicon-Graphics-Rechnern auf Linux-Cluster, betont der Berliner Wissenschaftler Boris Groth. Doch anders als bei den teuren Caves gibt es bei den X-Rooms genannten Billig-Caves nur Passivprojektionen: Die Position der Besucher wird hier nicht verfolgt. Damit ist die Lösung von ITSO noch etwas günstiger als ICIDO, die jetzt erstmals sogar kabelloses Tracking ermöglicht.

Einen Dreh weiter hat die US-Firma Teleportec die virtuelle Konferenz bereits getrieben: Sie hat eine Technik entwickelt, mit der holografische Bilder von Menschen über digitale Hochgeschwindigkeitsnetze verschickt werden können. Damit könnte ein Firmenchef in München mit Hilfe seines dreidimensionalen und lebensgroßen holografischen Abbilds eine Rede in Berlin halten. Er könnte über eine Kamera sein Publikum sehen und beide könnten miteinander in Realzeit kommunizieren. Selbst ein direkter Augenkontakt ist möglich. Nicht von ungefähr soll der Firmenname auch an die Transportertechnologie einer bekannten Science-Fiction-Fernsehserie erinnern ...

Möglich wird diese futuristische Videokonferenz mit Hilfe einer Spezialkamera, die die Person aufnimmt und das digitale Bild über das Netz verschickt. Über einen speziellen Beam wird das Bild so auf eine Glasplatte projiziert, dass ein dreidimensionaler Eindruck entsteht. Es gibt nicht nur portable Teleporter für die obere Körperhälfte, sondern sogar ein Teleportec-Theater, das ganze Personengruppen aufnehmen kann. Für das heutige Internet ist die Teleportec zu aufwändig, es wurde für das schnellere Internet 2 entwickelt.

Schon für 5000 US-Dollar monatlich ist die Anlage zu nutzen, alternativ kosten Konferenzräume etwa 500 US-Dollar pro Stunde. Damit dürfte die Holografie-Videokonferenz durchaus Marktchancen haben - da sie so nicht nur sicherer, schneller, sondern auch günstiger als eine Geschäftsreise ist. Manager von BP und Nortel Networks haben Teleportec schon für Reden quer über den Atlantik genutzt.

Die Kölner Firma Square Vision AG bietet wie ITSO Billig-Caves. "Die Kunden wollen mit ihren Standardanwendungen weiterarbeiten, ohne mühsame Konvertierungsarbeit", hat Geschäftsführer Florian Hetmann erkannt. Deshalb liefert Square Vision nicht nur die Vorführ-Technik, sondern unterstützt auch vom Automobilbereich, über CAD-Anwendungen bis hin zu 3-D-Spielen verschiedene 3-D-Dateiformate. Vor allem 3-D-Spiele werden "damit zu einem völlig neuen Erlebnis", schwärmt Hetmann. Auf Deutschlands größter LAN-Party Mitte Januar bauten die Kölner die 3-D-Umgebung für das populäre Shooter-Spiel "Counterstrike" auf, die direkt in das Hauptnetzwerk integriert war und so an den Multi-Player-Spielen teilnehmen konnte. Weniger interessant für den Nutzer, sondern eher für Event-Agenturen und Spielhallenbetreiber ist der Preis, der zwischen 80.000 und 100.000 Euro liegt.

Experten erwarten, dass die Caves auch das klassische Kino verändern werden. So wird die Berliner Firma ITSO dreidimensionale Kinobilder für die Ausstellung "Traummaschine" im Deutschen Technikmuseum in Berlin Ende 2002 produzieren. Dass "die Zukunft der Laufbilder in 3-D" liegt, davon ist auch die Deutsche Kinemathek überzeugt, die das Projekt mit ihrem Filmfundus gemeinsam mit Sony unterstützt. Doch das Entertainment-Geschäft ist bislang kaum rentabel: Erst Ende des Jahres endete mit der hochsubventionierten Betreiberfirma des Babelsberger Filmtrick-Studios, Artemedia, schon die zweite Firma nach dem Oberhauser Trickfilmzentrum in der Insolvenz. Auch die Berliner Firma Echtzeit, die die "digitale Stadt Berlin" realisiert hatte, meldete Konkurs an.