Chaoten hacken Site der Polizeigewerkschaft

Das Resümee der letzten "europäischen Hackerparty" im letzten Jahrtausend zeigte tiefe Brüche an der Hackerfront

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Der 16. Chaos Communication Congress spaltete die Hackergemeinde mehr denn je in ein Lager, das eine Life-Style-Kultur-Party durchziehen will, und in eine zweite Fraktion, die Vorträge und politische Diskussionen in den Vordergrund rücken möchte. Herbe Kritik und euphorische Stimmen hielten sich in der Abschlussdiskussion nach drei Tagen "Spaß am Gerät" am Mittwoch abend ziemlich die Waage. Die Brüche verlaufen quer zur "Ver-Windowsing", "Massifizierung" und "Game-Zentrisierung" des Hackertreffens. Öffnet sich der Chaos Computer Club in einer Zeit, wo das Internet zum Massenmedium wird, dem Mainstream und wird aus dem Jahreskongress eine x-beliebige LAN-Party?

"Die Luft im Hackcenter...". Der junge Hacker kann seine Beschwerde nicht zu Ende formulieren, da der Beifall in der Aula des Hauses am Köllnischen Park in Berlin los brandet. Längst ist das Allerheiligste der Freaks auf dem Kongress, in dem zwar Rauchverbot herrscht, sich aber Schweiß, der Duft ungewaschener Haare und Klamotten mit den Ausdünstungen von Pizzaresten und den Rechnern selbst zu einem alle Sinne betäubenden Gemisch vereinen, als "Pumakäfig" in der Szene bekannt. Mehrmals am Tag richtig durchlüften, kann der Frischluft-Fanatiker daher nur noch den Organisatoren ans Herz legen.

Ein Kollege von ihm findet das in der Cafeteria den Hackern servierte Essen einfach nur "scheiße und zu teuer". Anderen war die Planung und die durch mehrfache Verschiebungen von Räumen und Vorträgen gekennzeichnete Organisation des Meetings zu konfus. Doch gerade dem im Kongressnamen ja mitschwingenden Chaos gewinnen wieder andere den Reiz der Freiheit und der Kreativität ab, den sie keineswegs missen möchten.

Vortragsqualität miserabel?

Die Kritik am neuen Stil des Hackertreffens, der sich seit dem Umzug aus dem beschaulichen Hamburger Bürgerhaus Eidelstädt in die Hauptstadt vor zwei Jahren heraus kristallisiert hat, berührt aber auch das Eingemachte: "Der Anteil an guten Vorträgen geht drastisch zurück", bedauert der Kryptofreak Lutz Donnerhacke, der dem Chaos Computer Club (CCC) nur lose verbunden ist. Der Kongress habe ein ernsthaftes Problem, da immer mehr Leute, die sich mit den Entwicklungen der letzten Jahre nicht abfinden wollten, einfach nicht mehr aufkreuzten.

Felix von Leitner, der selbst zwei Vorträge auf dem Kongress gehalten hatte, konnte mit der "Miesmacherei" dagegen gar nichts anfangen. Das Publikum sei prima gewesen und die anderen Workshops, die das langjährige CCC-Mitglied besucht habe, hätten kaum Wünsche offen gelassen. Tim Pritlove, der wie schon in manchem Jahr zuvor den logistischen Veranstaltungspart übernommen hatte, gestand allerdings ein, dass es ein echtes Problem bei der Rekrutierung von guten Vortragenden wegen der Y2K-bedingten Urlaubssperre gegeben habe. Insgesamt sei der Kongress aber eine "geile Party" gewesen. Es seien zwar extrem viele junge Hacker erschienen, aber schließlich sei der CCC mit seinen bald 20 Jahren auch ein "junger Verein" und habe deshalb seine Zielgruppe genau getroffen.

Spagat zwischen "Hackerkultur" und "Vortragsrunde"

Auch Andy Müller-Maguhn, der die inhaltliche Organisation des Kongresses übernommen hatte, war nach drei Tagen Dauerhacken mit sich und den Jungs schwer zufrieden. "Der Kongress hat den Untertitel 'europäische Hackerparty'", rief der CCC-Sprecher den Frevlern ins Gedächtnis zurück. In diesem Jahr sei man an der gemeinsamen Verwirklichung dieses Anspruchs "verdammt nah dran gewesen". Gleichzeitig leugnete er nicht, dass es einen Spagat gebe zwischen dem "Kulturraum", wie die Kids ihn im Hackcenter erlebbar gemacht hätten, und der Zielsetzung des Clubs, Inhalte wie den großen Lauschangriff durch Echelon oder die Risiken bei der Chipkartenverwendung in die öffentliche Diskussion zu tragen.

Um die Spannungsfelder aufzulösen, schlug Müller-Maguhn vor, sich zukünftig stärker auf die Endlos-Party rund ums Hackcenter zu konzentrieren und die "Medienereignisse" und öffentlichkeitswirksamen Diskussionen zu anderen Zeitpunkten während des Jahres zu führen. Auch wenn dieses Jahr kaum Presse vor Ort gewesen wäre, so sei ihm doch noch stärker als sonst aufgefallen, dass dies "ein ganz anderer Menschenschlag" sei. Und für die Krawattenträger sei der Kongress vielleicht auch nicht so der richtige Ort.

Während die "älteren Semester" angesichts der im Raum stehenden Konzeptänderung den Ausverkauf von angestammten Hackeridealen witterten und von Hamburger Nostalgie oder dem Horror vor der tausendundeinsten LAN-Party befallen wurden, zog Müller-Maguhn vor allem die Newcomer schnell auf seine Seite. "Einfach nur phat", fand ein zum ersten Mal angereister Teenie-Hacker die Sause im Hackcenter. Es sei ihm "absolut geil" erschienen, wie gut dort alle "connected" gewesen wären. Die Bandbreite und den Internetanschluss konnte der beeindruckte Freak mit dieser Aussage allerdings nicht gemeint haben: Fast den ganzen Dienstag über waren die Ausflüge der Datenreisenden auf das Intranet im Hackcenter eingeschränkt, die extra eingerichtete 11 Megabit-Funkverbindung zum Netz der Netze stand still.

Die "dunkle" Seite: Im Hackcenter wurde tatsächlich gehackt

"Die Internet-Experience war nicht so berauschend", musste der Netzwerkverantwortliche beim CCC denn auch eingestehen. Aber auch während der Ausfälle hätten die Kids ja die Server des internen Hackcenter-Netzes leer saugen können. Erneut habe es - ähnlich wie auf dem Chaos Camp im Sommer, wo ein vorlautes Script-Kiddy die Leitungen zum Erliegen brachte und mit Kloputzen bestraft wurde - aber auch Angriffe auf die zentralen Netzwerksysteme gegeben. So hätte ihm ein neugieriger Junge die Passwörter weggesnifft und sich auf seiner Vax das System geschnappt. Ein absolutes No, No natürlich - doch die Freaks in der Aula amüsierten sich kräftig und klatschen Beifall.

Die Jubelausbrüche wurden nur noch übertroffen von der Meldung, die Pritlove kurz vor Ende der Abschlussveranstaltung machen durfte: Es hätte da "noch so'n Hack" gegeben: "Das sehen wir gar nicht gerne." Getroffen hatte es in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, als die Internetverbindung wieder funktionierte, niemand Geringeren als die Gewerkschaft der Polizei: Ein vermessener Hacker hatte unter Missachtung aller Ermahnungen - vor Beginn der Session hatten am Montag extra zwei Beamte des Landeskriminalamts Berlin auf dem Kongress vorbeigeschaut und vor dem Begehen von Straftaten gewarnt - kurzerhand die etwas dröge Homepage der "staatstragenden" Institution aufgepeppt. Die ganze Nacht lang machte sich die versammelte Hackercrew daraufhin den Spaß, die angeblich von einem "A. Maguhn" designte und im Verlauf des Mittwochs wieder in ihren Urzustand versetzte Seite zu bewundern. Der zufällig denselben Namen tragende Pressesprecher fand's dann doch eher lustig, obwohl es immer so anstrengend sei, "mit den Bullen zu reden" und er die Sache nun wohl ausbaden müsse.

All you need is fun

Die Kids im Hackcenter kamen also auf ihre Kosten, während die Vortragshüpfer eher die Nase rümpften über das bunte, von Jolt-Cola (2 x Caffein) und Joints angeheizte Treiben. Nicht richtig verstehen konnten den ganzen Trouble und die fast zwei Stunden dauernde Aussprache die Lockpicker, die mit allerlei Gerät oder nur mit ihren zarten Händen Schlösser jeder Art bei der 3. Meisterschaft im Schlossöffnen aufmachten. Das Rennen machte dieses Jahr wieder "Meister Arthur", der für die versammelte Hackergemeinde nur noch eine Message am Schluss hatte: "Kommt zu den Meisterschaften im nächsten Jahr! Lockpicking macht Euch Fun, Fun, Fun!"