China überwacht SMS

Um die Verbreitung von unerwünschten Mitteilungen zu unterbinden und zu bestrafen, werden mit einem neuen System alle verschickten SMS nach Schlüsselbegriffen durchsucht

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Bis zum Ende des Jahres sollen, wie das Ministerium für Informationsindustrie voraussagt, 25 Prozent aller Chinesen ein Handy besitzen. Jetzt haben knapp 21 Prozent oder 300 Millionen ein Handy. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres wuchs die Zahl der Handybesitzer um 27 Millionen. Das ist nicht nur ein großer Markt, sondern auch ein Problem für die chinesische Regierung. Wie schon beim Internet wird nun auch hier stärker überwacht.

Letztes Jahr haben die chinesischen Handybenutzer 220 Milliarden SMS-Botschaften verschickt, das ist die Hälfte aller SMS, die auf der ganzen Welt zirkulierten. Grund für diese gewaltige Menge ist nicht nur der große Kommunikationswunsch der Chinesen, sondern - zumindest nach der chinesischen Regierung - auch die Vielzahl der Spam-SMS, die unverlangt auf dem Handy der Benutzer eintreffen. 330 Millionen US-Dollar an Einnahmen erzielten die Anbieter im letzten Jahr mit SMS, dieses Jahr sollen die Einkünfte auf 530 Millionen hochschnellen.

Die chinesische Regierung hat nun mitgeteilt oder die chinesischen Bürger gewarnt, dass Maßnahmen zum Filtern von SMS-Botschaften mit "pornographischen, betrügerischen oder verbotenen" Inhalten in Kraft getreten sind. Sie betreffen zunächst nur die China Mobile Corp. Das ist allerdings der größte Mobiltelefonanbieter in China, der 65 Prozent des Marktes abdeckt. Bislang würden 10 Firmen die SMS-Botschaften nach Inhalten innerhalb von 20 Kategorien überprüfen, auf die man sich nach einem Abkommen zwischen der Regierung und Internetprovidern geeinigt habe. Offenbar ist auch eine umfassende gesetzliche Regelung für die Kontrolle von SMS und das Internet in Arbeit. Man diskutiere noch über das Gesetzesvorhaben, das eine Standardisierung für Mobiltelefonanbieter, Internet und Contentanprovider nach sich ziehen und alles betreffen soll, was sich "negativ" für die SMS-Benutzer auswirken könnte.

Wie die Überwachung jetzt ausgeführt wird, berichtet die Organisation Internetpolicy. Die chinesische Firma Venus Info Tech Ltd hat Anfang Juni in einer Mitteilung erklärt, dass sie für ihr Echtzeitungs-Überwachungssystem auch die Zulassung erhalten hat, es für den Einsatz bei SMS-Botschaften auf den Markt zu bringen. Es dürfte sich also um das System handeln, mit dem nun überwacht wird. Damit können die SMS-Botschaften nach Schlüsselbegriffen durchsucht und "reaktionäre" Versender identifiziert werden. Zwar sei SMS zu einer wichtigen Kommunikationsform geworden, aber es gebe auch "wichtige verborgene Gefahren für die Informationssicherheit, da jede Art von pornographischer Gewalt, politischen Humors, reaktionärer Meinung, betrügerischer Tricks und verbotener Werbung die gesellschaftliche Stabilität gefährdet". Daher sei ein System zur Überwachung und zum Abfangen der SMS-Botschaften dringend erforderlich.

Angeblich kann das Lauschsystem beispielsweise "falsche politische Gerüchte" oder "reaktionäre Äußerungen" aufgrund der Erkennung von Worten und Wortkombinationen entdecken. Werden solche "verdächtigen" Textstellen gefunden, wird automatisch die Polizei benachrichtigt und die betreffende SMS mit allen Daten wie Absender, Empfänger, Datum etc. für 60 Tage abgespeichert. Die SMS kann auch abgefangen werden. Einsetzbar sei das System auch zur Überwachung von Email, IRC und der Web-Benutzung. Internetpolicy glaubt, dass dann, wenn sich das Überwachungssystem als effizient erweist und billig ist, es auch in andere Länder exportiert werden wird, die die Kommunikation auch stärker kontrollieren und einschränken wollen.

Die Bemühungen der chinesischen Regierung, die SMS-Botschaften in den Griff zu bekommen, rühren vermutlich auch aus den Erfahrungen im letzten Jahr nach dem Ausbruch der Sara-Epidemie. Auch damals versuchte man mit den zahlreichen Überwachungszentren für SMS, angeblich soll es 2.800 solcher geben, die SMS-Botschaften zu überwachen. Einige Personen wurden wegen der Verbreitung von "falschen Gerüchten" durch SMS verhaftet. Die chinesische Regierung hatte zunächst versucht, den Ausbruch der Epidemie vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Da dies nicht gelang, wurden Panik und Gerüchteküche erst angeheizt (Nosferatu in Hongkong).

Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisiert das neue Überwachungssystem und den dahinter stehenden Trend: "Die chinesischen Behörden setzen immer stärker die neue Technologie ein, um die Zirkulation von Nachrichten und Informationen zu kontrollieren. In den letzten Monaten haben wir einen wirklichen Rückgang der Pressefreiheit, besonders im Internet, beobachten können." China wurde von der Organisation in ihrem vor kurzem veröffentlichten Bericht "The Internet under Surveillance" (Netz unter Kontrolle) als das weltgrößte Gefängnis für Cyber-Dissidenten bezeichnet.