Chinas "Langer Marsch" ins All

Künstlerische Darstellung der geplanten chinesischen Raumstation. Bild: Penyulap, CC0 1.0

Das erste Modul der chinesischen Raumstation Tianhe ist seit Juni bemannt. Geplant ist eine Mega-Station mit mehr als einem Kilometer Ausdehnung. ISS für Chinesen bisher tabu

Die chinesische Internetgemeinde ist aus dem Häuschen. Vor allem die Weltraum- und Science-Fiction-Fans unter ihnen schwärmen schon von der Realisierung der "Deep Space Nine" und ähnlich fantasievollen Entwürfen Hollywoods. Der Grund für die Aufregung ist, dass Peking vor wenigen Wochen angekündigt hat, im Zuge des aktuellen 14. Fünfjahresplans (2021-2025) mit den Forschungen zu einer riesigen erdnahen Raumstation zu beginnen.

Einmal fertiggestellt könnte diese Station vielleicht einen Kilometer oder mehr umspannen. Dann wäre sie etwa zehnmal so groß wie die Internationale Raumstation (ISS), die derzeit das größte Raumschiff der Menschheit darstellt.

Anders als die US-Weltraumbehörde NASA oder einschlägig bekannte US-amerikanische Milliardäre setzen die Chinesen jedoch weniger auf PR als auf Informationen. Deshalb gibt es in dem entsprechenden Beitrag in der englischsprachigen chinesischen Tageszeitung Global Times auch keine schicken Animationen zu bewundern. Stattdessen präsentieren die Journalisten des Blatts eine längere Liste von Herausforderungen.

Das Einzige, was bisher vorausgesetzt werden kann, ist, dass auch diese Raumstation aus einzelnen Modulen im Weltall zusammenbaut wird. Soll das Vorhaben in einer hinnehmbaren Bauzeit umgesetzt werden, sprengt schon der riesige Bedarf an Ressourcen, Arbeitskräften und Kapital alle herkömmlichen Maßstäbe.

Auf der technischen Seite geht es vor darum, das Gewicht der einzelnen Module zu minimieren, um Herstellungskosten und die Zahl der benötigten Starts zu reduzieren. Denn das Gewicht spielt auch eine entscheidende Rolle dabei, das Ganze während und nach seiner Fertigstellung kontrollierbar und manövrierbar zu halten.

Auch Verformungen und Vibrationen der Konstruktionen müssen begrenzt werden, um eine Montage im All zu ermöglichen.

Zeitprobleme der ISS sollen vermieden werden

So kann es denn auch nicht verwundern, dass die aktuelle Forschungsphase vorwiegend den technischen Belangen beim Zusammenbau eines so großen Objekts im Weltall gewidmet ist.

Eine Projektübersicht wurde kürzlich von der Nationalen Chinesischen Stiftung für Naturwissenschaften veröffentlicht.

Pang Zhihao, ein pensionierter Forscher der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie, thematisiert eine Reihe weiterer Hindernisse, die das Parteiorgan getreulich kolportiert: Seiner Auffassung nach wird allein das Management eines solchen Vorhabens neue Dimensionen eröffnen müssen.

Was er damit meint, erläutert am Beispiel der ISS: "Es hat zwölf Jahre - von 1998 bis 2010 - gedauert, um den Aufbau der ISS abzuschließen", erinnert Pang. "Zum Zeitpunkt der Fertigstellung hatte das erste in die Umlaufbahn geschossene Modul schon fast seine vorgesehene Lebensdauer erreicht." Eine Station in Kilometer-Größe bedürfe deshalb weit langlebigerer Module, die zudem gegebenenfalls sehr flexibel austauschbar sein müssen.

Auch an die Gefahr von Kollisionen mit Weltraumschrott erinnert Pang, die mit der Größe einer Raumstation exponentiell zunehme. Den Risiken stünden jedoch großartige Nutzungsmöglichkeiten gegenüber: Die Station könne die Ausgangsbasis für weitere Weltraumunternehmungen bilden, als Reparaturwerkstatt für Satelliten dienen oder sogar als Weltraumkraftwerk, um die Erde mit Solarenergie zu versorgen.

Für all dies braucht man jedoch eine zuverlässige Trägerrakete, die erhebliche Nutzlasten preiswert ins All befördern kann. Wie auch bei der bemannten Mondlandung, die China für 2030 ins Auge gefasst hat, soll für den Bau der Raumstation die Raketenbaureihe "Langer Marsch" um das Modell 9 erweitert werden. Die Forschungen dafür haben ebenfalls in diesem Jahr begonnen.

Der Lange Marsch bezeichnet in China den taktischen Rückzug der Streitkräfte der Kommunistischen Partei von Oktober 1934 bis Oktober 1935, um sich aus der Einkreisung durch die Armee Chiang Kai-sheks zu befreien. Die verlustreiche Aktion legte den Grundstein für spätere Offensiven und letztlich die Machtübernahme der chinesischen Kommunisten.

Pläne für chinesisches Weltraumteleskop

Doch auch, wenn sich die Fertigstellung dieses Raketentyps verzögern sollte, verfügt China mit der "Langer Marsch 5" seit zwei Jahren über eine leistungsfähige Flüssigtreibstoff-Rakete.

Die LM5 hat mittlerweile ihre Zuverlässigkeit bewiesen und drei eindrucksvolle Projekte ermöglicht: Die unbemannten Missionen zum Mond (Chang’e-5) und zum Mars (Tianwen-1) – jeweils mit Landefahrzeug und Orbiter – sowie der im April erfolgte Start des ersten Moduls der chinesischen Raumstation (Tianhe). Seit Juni ist die Station bemannt.

Der Start des zweiten Moduls ist für 2022 geplant - dann soll die Station ihren Regelbetrieb aufnehmen.

Die Asia Times weist darauf hin, dass jetzt schon über Tausend Experimente aus aller Welt von der Chinesischen Weltraumagentur für Bemannte Missionen (CMSA) für die Station zugelassen wurden, von denen die Ersten bereits laufen.

Doch soll die Station darüber hinaus demnächst auch als gelegentliche Serviceplattform für ein chinesisches Weltraumteleskop (Xuntian) fungieren. Dessen Start ist für 2024 geplant, und Xuntian soll im gleichen Orbit unterwegs sein wie die Raumstation.

Auch dieses – dem Hubble-Teleskop vergleichbare – Gerät kann aufgrund seiner Größe und seines Gewichts nur mit einer LM5 ins All befördert werden.

Die chinesischen Medien verlieren kein Sterbenswörtchen darüber, aber die Asia Times erinnert daran, dass Washington der US-Weltraumagentur NASA 2011 gesetzlich untersagt hat, mit China zu kooperieren. Kein chinesischer Astronaut hat deshalb je die ISS betreten dürfen.