Chinas "Warp-Geschwindigkeit"

Die Energie- und Klimawochenschau: UN-Klimakonferenz ließ die meisten strittigen Fragen offen, in vielen Ländern boomende die erneuerbaren Energieträger trotzdem

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Es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich die Ergebnisse des UN-Klimagipfels bewertet werden, der wie berichtet (Auf der Intensivstation) am Freitag letzter Woche zu ende ging. Boliviens UN-Botschafter Pablo Solon hatte in den letzten Sitzungsstunden immer wieder interveniert und darauf bestanden, dass es keinen Konsens über die Beschlüsse gebe. Christiana Figueres, die neue costarikanische Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention sah in den Beschlüssen hingegen einen Neubeginn. Auch in so unterschiedlichen Ländern wie Australien, Deutschland und Indien zeigte man sich mit dem Erreichten zufrieden.

Solon hatte hingegen mehrfach darauf hingewiesen, dass die bisher gemachten unverbindlichen Versprechen zur Einschränkung und Verminderung der Treibhausgasemissionen alles andere als ausreichen, um einen gefährlichen Klimawandel aufzuhalten. Den Industriestaaten würde ein Blankoscheck ausgestellt und Tote in Kauf genommen. Tatsächlich sagen unabhängige Berechnungen, dass die bisherigen Versprechen zu einer globalen Erwärmung von 3,2 Grad Celsius führen werden. (Fehlerbereich: +2,4 bis +4 Grad Celsius.)

Die Konferenzleiterin, Mexikos Außenministerin Patricia Espinoza, ließ am Ende der zweiten anstrengenden Nachtsitzung wissen, dass man die Einwände zu Protokoll genommen habe. Wenn es keine weiteren Vorbehalte gebe, seien die Beschlüsse angenommen. "Konsens bedeutet nicht, dass ein Land ein Veto gegen einen Prozess einlegen kann, an dem andere Nationen seit vielen Jahren arbeiten", so Espinoza.

Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Xinhua erhielt sie dafür sehr viel Applaus von den anderen Teilnehmern, womit die Beschlüsse sozusagen per Akklamation angenommen worden wären. So ungewöhnlich, wie das erscheinen mag, ist das indes gar nicht. Im UN-System wird selten abgestimmt. Im Zweifelsfall müsste Bolivien jetzt andere UN-Institutionen anrufen und darauf beharren, dass es keinen Konsens gab. Das Ergebnis wäre aber mit ziemlicher Sicherheit ein enormer diplomatischer Druck, denn anders als die USA hat es nicht die Macht, um sich über UN-Beschlüsse hinwegsetzen zu können.

Nebenbei bemerkt: Bisher waren die UN-Klimakonferenzen stets von den Umweltministern des gastgebenden Landes geleitet worden. Aber auch eine ganze Reihe anderer Staaten hatten sich diesmal nicht durch die Leiter des Umweltressorts sondern durch Außen- oder auch Ölminister vertreten lassen oder gleich ganz auf die Entsendung von Regierungsmitgliedern verzichtet.

Ganz allein stand Bolivien allerdings nicht mit seiner Position. Auch andere Entwicklungsländer hatten Bauchschmerzen. "Er [der Abschlusstext] ist nicht perfekt und noch kein Vertrag, aber lasst uns ihn akzeptieren und voranschreiten", zitiert Xinhua Karl Hood, Grenadas Umweltminister. Dieser ist derzeit Sprecher der Allianz der kleinen Inselstaaten AOSIS. Deren 41 Mitglieder gehören zu den ersten, die vom Klimawandel betroffen sein werden. Auf einigen Pazifikinseln mussten wegen des steigenden Meeresspiegels bereits Siedlungen aufgegeben werden.

Tatsächlich sind in Cancún wesentliche Fragen unbeantwortet geblieben, sodass es ziemlich fraglich ist, ob der Verhandlungsprozess nun wirklich wieder in Gang gekommen ist. Es gibt weder verbindliche Minderungsziele für die Treibhausgasemissionen der Industriestaaten noch ist klar, wo die 100 Milliarden US-Dollar herkommen werden, die ab 2020 in den so genannten Grünen Fonds für Anpassung und Transfer klimafreundlicher Technologien eingezahlt werden sollen. Auch ist weiter strittig, ob das Kyoto-Protokoll verlängert oder durch ein neues Abkommen ersetzt wird.

Auch die neue Zusammensetzung des US-Parlaments lässt wenig Gutes erwarten. Schon mit einer komfortablen demokratischen Mehrheit war die US-Regierung nicht in der Lage, eine nennenswerte Klimaschutzgesetzgebung auf den Weg zu bringen. Nach den jüngsten Wahlen sitzen dort nun mehr Freunde der Öl-, Auto- und Kohleindustrie denn je zuvor, die vermutlich nicht einmal einen vollkommen zahnlosen Klimaschutzvertrag ratifizieren würden. Auf der nächsten UN-Klimakonferenz, die in einem Jahr im südafrikanischen Durban stattfindet, wird mit ziemlicher Sicherheit erneut reichlich Fetzen fliegen.

China soll der weltweit attraktivste Markt für grüne Technologien sein

Vielleicht ist ja die einzige Hoffnung, dass die Fortschritte in China zum Umdenken in den USA führen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg zitiert in einer längeren Analyse verschiedene Politiker und Wirtschaftsvertreter von jenseits des Atlantiks, die genau darauf hoffen und vor Chinas "Warp-Geschwindigkeit" warnen.

Was damit gemeint ist, zeigt unter anderem eine von der Consulting-Firma Ernst&Young jüngst veröffentlichte Studie. Annähernd jede zweite 2010 errichtete Windkraftanlage dürfte in China stehen, heißt es darin. Auch die heimische Solarindustrie boomt, weshalb die Volksrepublik nach der Ansicht von Ernst&Young inzwischen den weltweit attraktivsten Markt für grüne Technologien ist.

Im zweiten Quartal 2010, das der Bericht analysiert, seien knapp die Hälfte der weltweiten Investitionen in der Windbranche in der Volksrepublik getätigt worden. Um genau zu sein: zehn von 20,5 Milliarden US-Dollar, schreibt der Brancheninformationsdienst Reve.

Die Financial Times berichtet von Sorgen, die sich europäische Anleger deswegen machen. Im dritten Quartal hätten die chinesischen Investitionen im Bereich der grünen Technologien bereits 13,5 Milliarden US-Dollar betragen, die europäischen hingegen nur 8,4 Milliarden. Die EU drohe nicht nur zurückzufallen, sondern könnte auch ihre Klimaschutzziele und die sich ergebenden Marktchancen verlieren, befürchte EVCA, ein Dachverband von 1300 Investmentfonds und ähnlichen Unternehmen. Der Gesetzgeber müsse unbedingt einen günstigen Rahmen für die notwendigen Investitionen in der Branche schaffen.

Ernst & Young weist darauf hin, dass es auch in Ländern wie Südkorea und Mexiko einen stark expandierenden Markt für Wind&Co. gebe. Mit Rumänien und Ägypten seien zwei neue Länder hinzu gekommen, die erheblich Pläne für den Ausbau der Windenergie hätten.