Chips für die Familie

Viel Rummel um einen erstmals in Menschen implantierten Chip, der sich in dieser Form nicht durchsetzen wird, aber gleichwohl einen Ausblick auf Überwachungsmöglichkeiten der Zukunft eröffnet

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Nachdem Applied Digital Solutions die Genehmigung der Food and Drug Administration (FDA) die Genehmigung erhalten, den VeriChip mit einer ID-Nummer in Menschen zu implantieren, solange dieser keine medizinischen Informationen enthält, wurde eine dreiköpfige Familie zu den "Pionieren" dieser fragwürdigen Technik. Das finanziell angeschlagene Unternehmen erhofft sich einen Push von dieser Aktion, die Medien hatten schon mitgespielt und konkurriert, wer die Implantation live senden kann.

Angeblich soll die Familie Jacobs mitsamt ihrem 14-jährigen Sohn auf ADS zugekommen sein, um sich als erste Menschen den Chip einpflanzen zu lassen und so als Pioniere in die Geschichte einzugehen oder zumindest gehörige Aufmerksamkeit zu finden. Ob sie dafür Geld erhalten haben, ist nicht bekannt, aber sehr wahrscheinlich. Bislang wurden ähnliche Chips in Tiere eingepflanzt, die darüber identifiziert werden können. Doch in England hat sich auch schon ein Kybernetikprofessor unter großem Mediengetöse einen Chip injizieren lassen (Sing the body electric).

ADS hat schon vor ein einigen Jahren angekündigt, unter dem Titel "Digitaler Engel" implantierbare Chips anzubieten, die bestimmte Körperfunktionen und den Standort der so an die Teleleine genommenen Menschen jederzeit zur Überwachung beispielsweise von gesundheitlich oder anderweitig Gefährdeten erfassen zu können. Angeboten werden mittlerweile eine Uhr und ein Halsband für Tiere, mit denen über das GPS der Standort ermittelt werden, der dann zusammen mit der Temperatur und der Information, ob jemand plötzlich hingefallen ist, an die Zentrale gesendet wird. Über Telefon oder Email werden dann beispielsweise die besorgten Überwacher informiert. Versprochen wird, dass bald weitere Biosensoren mehr Daten liefern sollen (Implantierbare Chips zur Identifizierung).

Nach dem 11.9. hat das Unternehmen neue Chancen gewittert, die umstrittene Überwachungstechnik auch in Form von Implantaten für Menschen anbieten zu können. Der 12 mm lange und 2,1 dicke VeriChip, der mit einer Kanüle unter die Haut eingeführt wird, bietet allerdings noch ziemlich wenig. Mit ihm lässt sich mittels eines Scanners gerade einmal eine ID-Nummer über ablesen. Der Chip benötigt dazu keine eigene Energieversorgung, da der Scanner über Radiosignal eine magnetische Spule im Chip aktiviert, wodurch die Daten übertragen werden. Mit der empfangenen ID-Nummer können dann über das Internet weitere Informationen über den Träger aus einer Datenbank abgerufen werden. Zur Einführung stellt sich ADS vor, dass für gesundheitlich gefährdete Personen in einem Notfall - so denn ein Scanner gerade vorhanden sein sollte - wichtige medizinische Daten sofort zur Verfügung stehen.

Genauso begründet die Pionierfamilie, warum sie sich die Chips implantieren ließ. Einen möglicherweise erkennbaren Grund hat allerdings nur der 48 Jahre alte, ehemalige Zahnarzt Jeff Jacobs, der offenbar schlimme Dinge wie ein Krebsleiden, einen Autounfall, eine Erbkrankheit, Augenleiden und Operationen überstanden hat und so dem Tod schon ins Auge geblickt hat. Seinen Beruf musste er wegen seiner gesundheitlichen Probleme aufgeben, die Ärzte sollen ihm attestiert haben, dass sie nicht sagen können, wie lange er noch zu leben hat. Mit dem eingebauten Chip habe man im Notfall eine größere Chance, dass schnell die richtige Hilfe kommt.

So sagt dies auch seine Frau Leslie Jacobs: "Wir haben das gemacht, weil wir uns so damit abgemüht haben, das Leben meines Gatten zu retten." Vier oder fünf Mal sei ihr Mann schon in Todesgefahr geschwebt. Als man ihn ins Krankenhaus brachte, sei er unfähig gewesen, dei Fragen der Ärzte zu beantworten. Mit dem Chip "brauchen sie nur zwei Sekunden, um ihn zu scannen und die genauen Informationen zu erhalten".

Da kann man eigentlich nichts einwenden, aber warum wollten dann auch Frau und Sohn die Chips? Angeblich sei der Sohn überhaupt an allem Schuld, der von dem Chip in den Nachrichten gehört und dann seine Mutter bestürmt haben soll, sich an ADS zu wenden. Mag sein, so ist die Story auf jeden Fall zur Werbung für ADS besser. Wenn dann gar noch ein Kind sich um das Gadget reißt und schließlich eine ganze Familie verchippt wird, dann wird es sicher eine richtige Nachricht. Überdies spielt die Familie selbst alle weiteren Bedenken beiseite. Ob man nun sich einen Chip implantiere oder nicht, überwacht werden könne man sowieso über das Internet, die Kreditkarten oder Handys: "Wir wundern uns über das ganze Trara", meinte Jacobs, nachdem seine Bereitschaft, sich und seiner Familie den Chip einzupflanzen, bekannt gegeben wurde. "Das ist, als würde jemand der Welt ein Geschenk machen. Es ist unvorstellbar, dass das nicht nur Gutes bewirken kann."

Als Geschenk hat freilich ADS den digitalen Ausweis unter der Haut nicht gedacht. Der Chips soll um die 200 US-Dollar kosten, der Scanner zwischen 1000 und 3000 US-Dollar. Und angepriesen wird die Technik ganz offen auch für andere Zwecke. Schließlich sei nach dem 11.9. ein großes Interesse an sicheren ID-Verfahren verfahren. Im Blickpunkt stünden jetzt biometrische ID-Verfahren, aber ADS meint, dass sein Chip da einfach noch besser ist:

"VeriChip beruht hingegen auf einer eingebetteten stoßfesten Mikrochip-Technologie, die einen nichtinvasiven Zugriff auf eine ID-Nummer eröffnet ... Der Einsatz der neuen VeriChip-Technologie bedeutet, dass das Risiko des Diebstahls, des Verlustes, des Kopierens oder Fälschens der Daten wesentlich vermindert oder ganz ausgeschlossen ist."

So kann sich ADS vorstellen, dass der Chip zur Verbesserung der schon existierenden Identifikationsverfahren dienen, aber auch bei der Strafverfolgung oder für das Militär eine Rolle spielen könne. Warum allerdings ein leicht zu entfernender und implantierbarer Chip - gleich, ob die Daten nur mit einen Scanner in unmittelbarer Nähe abgelesen oder diese in Echtzeit aus der Ferne abgerufen werden können - so viel sicherer sein soll als biometrische ID-Verfahren, wird von ADS nicht verraten. Nur weil etwas sich angeblich fest unter der Haut befindet und nicht gleichsichtbar ist, schützt noch lange nicht vor Manipulation, die nicht nur den Chip und die auf ihm gespeicherte Nummer betreffen könnte, sondern auch die damit verbundene Datenbank. Auch medizinisch wäre der Chip nur sinnvoll, wenn tatsächlich alle Krankenhäuser und Notärzte einen Scanner erwerben würden.

Daher dürfte dieser Chip, unabhängig von aller Kritik von Bürgerrechtlern und aller Medianaufmerksamkeit, die Aktienkurse des Unternehmens nicht wesentlich verbessern. Vermutlich wird man auch noch eine Weile darauf warten müssen, bis manche es schick finden, einen solchen Chip unter der Haut zu haben, wenn nicht andere interessante Anwendungen erfunden werden. Vielleicht halten ja Familien mit Chips besser zusammen oder finden sich Liebespartner schneller. Dass Regierungen die Implantation von Chips vorschreiben werden wie jetzt Ausweise, dürfte hoffentlich auch noch eine Weile dauern.

Man muss ja auch nicht gleich einen Chip in die Haut eingepflanzt bekommen, sondern es reicht mobile oder wearable computing, um die Überwachung aus welchen Gründen auch immer zu perfektionieren. Vermutlich werden in unseren Körper und in unsere Gehirne auch immer mehr künstliche Systeme zur Behebung von Schäden oder zur Erweiterung von Funktionen eingebaut werden, so dass ID-Verfahren nicht mehr durch gesonderte Chips geleistet werden müssten. Insofern symbolisiert der VeriChip tatsächlich einen Schritt in eine Welt, in der möglicherweise jeder an eine digitale Leine gelegt ist. Vielleicht lassen ja auch schon die "humanbots" auf sich warten, nachdem nun bereits Ratten ferngesteuert werden können (Ratbots).