Christmette und Liebestod

"Link" mit Robert Siodmak

Weihnachten mit Richard Wagner, einer Hure und einem Soziopathen

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Filme, die man gesehen haben muss, ehe einen die Demenz ereilt. Folge 6: Christmas Holiday von Robert Siodmak

Link zum Tessin

Früher einmal, als nicht alles besser aber manches anders war, gab es keine mit von der Industrie bestellten Selbstloborgien zugemüllten DVDs (Making of genannt), und das Fernsehen strahlte mit einer gewissen Regelmäßigkeit Portraits bedeutender Filmemacher aus. Da war Gutes, Mittelmäßiges und Schlechtes dabei, und manchmal wurde es bizarr wie im April 1971, als Dr. Heiner Gautschy, ein in der Schweiz legendärer Journalist und Ex-Amerikakorrespondent, vor einem Monitor und einem Mikrophon Platz nahm, um Robert Siodmak aus dem Tessin zuzuschalten. Die von Gautschy erfundene Sendung hieß Link und basierte auf der Idee, vom Studio aus bekannte Persönlichkeiten bei sich zu Hause zu befragen. Das war innovativ, machte das Fernsehen zum Big Brother, und irgendwie dämlich war es auch, weil die Schweiz nicht ganz so groß war wie die USA oder die UdSSR und Gautschy einfach selber hätte hinfahren können, um vor Ort mit dem Prominenten zu reden, statt einen Übertragungswagen zu schicken, im Studio auf Knöpfe zu drücken und die Promis, die das Kamerateam hereingelassen hatten, in eine Situation zu bringen, in der sie von Dr. Gautschy verhört wurden wie die Klingonen von Captain Kirk.

Andererseits muss man sagen, dass Gautschy auch ziemlich penetrant sein konnte, wenn er bei seinem Gesprächspartner auf der Couch saß wie 1984 in der Villa des Chefs einer Boulevardzeitung, den er so hart anging, dass er danach aus dem Verkehr gezogen wurde; nach Berechnungen der Zeitung hatte Gautschy als Interviewer zwei Drittel der Redezeit für sich beansprucht. So war es vielleicht ganz gut, dass Robert und Bertha Siodmak in ihrem Wohnzimmer in Ascona in eine Kamera starrten, als Gautschy seine Fragen stellte und korrigierend eingriff, wenn er es besser wusste. Bizarr an dieser Sendung des Schweizer Fernsehens ist auch, dass sich da ein selbstgefälliger alter Herr präsentiert, der wirkt, als habe er mit der Herstellung von Klopapier oder als Zulieferer der Autoindustrie ein Vermögen verdient und uns jetzt die Gemälde und die Antiquitäten zeigen will, die er mit seinem vielen Geld gekauft hat. Und weil sich für ihn der Wert eines Kunstwerks in Mark und Dollar bemisst sagt er dazu, was die Sachen gekostet haben. Ohne Gautschys Einführung käme man nie auf den Gedanken, dass dieser Angeber der Mann sein könnte, der Filme wie Voruntersuchung, The Killers oder Nachts, wenn der Teufel kam gemacht hat - es sei denn, man hätte zuvor Siodmaks Autobiographie Zwischen Berlin und Hollywood gelesen, wo der Hang zur Großsprecherei noch schlimmer ist.

Es lohnt sich, auf die Zwischentöne zu achten, und auf den Schalk in Siodmaks Augen, wenn er brav die Fragen des Journalisten zu beantworten scheint und diesen doch auflaufen lässt, sobald er zu nervig wird. Irgendwann stellt sich dann der Eindruck ein, dass sich hinter der Spießerfassade des sein Geld zählenden Neureichen ein ganz anderer verbergen könnte, ein bissiger Kritiker der bürgerlichen Saturiertheit, der im Laufe einer langen und wechselvollen Karriere gelernt hat, sich als einer von denen zu tarnen, die er unter die Lupe genommen hat, bis diese zum Brennglas wurde. Die angenommene Rolle spielte er so perfekt, dass er am Ende womöglich selber nicht mehr wusste, ob es eine solche war oder nicht. Warum, will Gautschy wissen, haben sich die Anfang der 1950er nach Europa zurückgekehrten Siodmaks schließlich für Ascona als ihr neues Domizil entschieden? Andere würden jetzt etwas vom angenehmen Klima erzählen, von der schönen Landschaft und den netten Leuten, die da wohnen. Siodmak spricht wieder über Geld. In Amerika habe er so viel davon verdient, dass er in die höchste Steuerklasse gerutscht und deshalb nach Europa übersiedelt sei. Ist das nun frappierend ehrlich oder die Parodie von einem, der in ein Steuerparadies zieht und dem Fernsehvolk frech seinen Reichtum zeigt, von dem er nichts abgeben will?

"Link" mit Robert Siodmak

Es liegt auch an dieser Form der Selbstdarstellung, dass Robert Siodmak trotz einiger Preise und einer Retrospektive auf der Berlinale ein sehr unterschätzter Regisseur geblieben und das Image des angepassten Karrieristen ohne eigenen Standpunkt und eigene Handschrift nie wirklich losgeworden ist. Den Wohnort in der Schweiz kann man allerdings auch so deuten, dass er zwar in Deutschland wieder Filme drehte, in dem Land aber nicht mehr permanent leben wollte, in dem man ihn ermordet hätte, wenn er 1933 nicht emigriert wäre. Und die Rückkehr aus den USA nach Europa hatte wohl weniger mit den Begehrlichkeiten des Finanzamts zu tun als mit dem McCarthyismus. Hervé Dumont schreibt in Robert Siodmak, le maître du film noir, dass Siodmak mehrfach vom FBI verhört wurde, weil er allen Warnungen zum Trotz weiter zu den Partys des als Staatsfeind ausgemachten (und 1952 mit einem Wiedereinreiseverbot belegten) Charlie Chaplin ging. Siodmak stand auch auf einer Liste mit hundert Namen angeblicher oder tatsächlicher Kommunisten, Sympathisanten und Mitläufer in Red Stars in Hollywood, einem Pamphlet, in dem der Dramatiker und Drehbuchautor Myron C. Fagan 1950 die rote Schreckensherrschaft in Hollywood anprangerte, um sodann in weiteren Publikationen zu enthüllen, dass die Illuminaten hinter allem steckten. Auf dem Höhepunkt der Hexenjagd in Hollywood konnten selbst die dümmsten Anschuldigungen dazu führen, dass unbescholtene Leute auf einer schwarzen oder grauen Liste landeten und mit einem inoffiziellen Berufsverbot belegt wurden. Ganz schlechte Karten hatten diejenigen, in deren Lebenslauf als irgendwie "unamerikanisch" zu etikettierende Filme standen. Besonders verdächtig waren die Krimis der "schwarzen Serie", weil da ein düsteres Bild von der amerikanischen Gesellschaft gezeichnet wurde, statt mit Hurra-Patriotismus und Verschwörungstheorien auf die kommunistische Herausforderung zu antworten. Siodmak hatte in dieser Hinsicht einiges auf dem Kerbholz, als Fagan zum Boykott seiner Filme aufrief. Nicht zuletzt war er der Regisseur, der "America’s Singing Sweetheart" zur Frau eines Soziopathen und zur Hure gemacht hatte.

Ein süßes Mädel will erwachsen werden

1936 verloren Vater und Sohn Laemmle die vom Senior gegründete Universal an Investoren von der Ostküste. Eine von "Onkel Carls" letzten Taten als Hollywood-Mogul war es gewesen, den gebürtigen Ungarn Joseph Pasternak als Produzenten zu engagieren. Teil des Deals war ein Ein-Jahres-Vertrag für den Berliner Regisseur Hermann Kosterlitz, auf den Pasternak große Stücke hielt. Als die beiden in Universal City ankamen, waren die Laemmles gerade aus ihrem Reich vertrieben worden. Die neuen Herren versuchten, die Verträge für ungültig zu erklären oder notfalls eine kleine Abfindung zu zahlen. Pasternak lehnte ab. Bei der krisengeschüttelten Universal gab es damals dauernde Wechsel im Management und ein allgemeines Chaos. Darum könnte die Anekdote sogar stimmen, dass Pasternak und Kosterlitz aus Protest auf einer Wiese campierten, bis jemand anordnete, den Rasensprenger einzuschalten. Pasternak und Kosterlitz waren hartnäckig. Hinter den Stallungen entdeckten sie ein leeres Büro. Dort dachten sie sich die seichte Geschichte von den drei Mädels aus, die versuchen, ihre entfremdeten Eltern wieder zusammenzubringen. Als dann noch eine 14-jährige Göre namens Deanna Durbin an der Hand ihrer Mutter in diesem Büro erschien, hatten Joe Pasternak und Henry Koster, wie Kosterlitz sich fortan nennen würde, ihre Hauptdarstellerin gefunden.

Die MGM hatte Judy Garland den Vorzug gegeben und Deanna Durbin deshalb ausgemustert. Mit der finanziell sehr erfolgreichen Komödie Three Smart Girls (1936) stieg Durbin zum größten Star der Universal auf. In den folgenden Jahren rettete der Publikumsliebling mit der glockenklaren Stimme das stark unterfinanzierte Studio fast im Alleingang vor dem Konkurs - mit Filmen, die immer nach demselben Muster gestrickt waren. Deanna gab das nette Mädel, sang ein paar Lieder, darum herum wurde eine garantiert familientaugliche, konservative Lobbygruppen wie die katholische Legion of Decency begeisternde Geschichte gebaut. Je seichter, desto besser. 1938 wurde das Singing Sweetheart mit einem Spezialoscar ausgezeichnet, weil sie, befand die Academy, den "Geist der Jugend" personifizierte und die amerikanischen Werte wiederbelebte. Jedes Erfolgsrezept aber nützt sich früher oder später ab. Die Chefs der Universal waren auch keine Hilfe und entschlossen, die amerikanischen Werte mit jedem neuen Durbin-Film etwas kostengünstiger wiederzubeleben als mit dem davor. Koster war ihnen zu langsam und wurde durch Regisseure ersetzt, die an ein höheres Inszenierungstempo gewöhnt waren. Den Filmen tat das nicht gut. Außerdem konnte Durbin nicht ewig das süße Mädel von nebenan spielen. Also suchte sie eine neue Herausforderung, und anspruchsvollere Rollen.

The Amazing Mrs. Holliday war ein durchaus respektabler Versuch, zu neuen Ufern aufzubrechen (Durbin spielt eine Missionarin in China), aber es kam ein recht unebenmäßiger Film dabei heraus, weil der vom Star selbst ausgewählte Regisseur, der große Jean Renoir, mitten in den Dreharbeiten abgelöst wurde. Als sie Christmas Holiday las, einen 1939 erschienenen Roman von William Somerset Maugham, glaubte sie, das Richtige gefunden zu haben. Was Felix Jackson dachte, ihr bei der Universal als Produzent arbeitender Verlobter, ist nicht überliefert. Falls er den Roman da schon gelesen hatte war er wahrscheinlich erleichtert, als Maugham sich anfangs weigerte, einer Verfilmung zuzustimmen. Die Hauptfigur, der 24-jährige Charley Mason, entstammt einer englischen Aufsteigerfamilie, die zu Ansehen und Wohlstand gelangt ist, weil ein Vorfahre geschickt in Immobilien investiert hat. Charleys Eltern sind auf eine oberflächliche Weise der Kunst zugetan und führen ein selbstgefälliges Leben als kultivierte Bildungsbürger. Er selbst hat seinen Plan aufgegeben, Künstler zu werden, bereitet sich stattdessen darauf vor, seinem Vater als Verwalter der Immobilien nachzufolgen und kriegt zur Belohnung einen Weihnachtsurlaub in Paris spendiert. Dort gerät er in ein Kontinentaleuropa, in dem sich einiges zusammenbraut.

The Amazing Mrs. Holliday

Es ist der Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Der Roman erzählt von einem sich in einer falschen Sicherheit wiegenden Großbritannien, das nun bald in seinen Grundfesten erschüttert werden würde, weil es ein Irrtum ist zu glauben, dass die Inselexistenz vor den Entwicklungen auf dem europäischen Kontinent schützen kann. Charley trifft in Paris seinen Schulfreund Simon, der als Journalist arbeitet, an den äußeren Rand des politischen Spektrums abgedriftet ist und von einem Umsturz im Vereinigten Königreich träumt. Durch ihn lernt Charley Lydia kennen, eine Exilrussin der zweiten Generation. Mit ihr besucht er die Christmette, wo Lydia einen Weinanfall hat, was im galanten Charley den Beschützerinstinkt weckt. Die nächsten Tage wird Lydia zum großen Teil mit ihm verbringen, und auch in seinem Hotelzimmer. Das ist insofern recht unschuldig, als es dort zwei getrennte Betten gibt wie vom Hollywood Production Code verlangt und es nicht zu sexuellen Handlungen kommt. Das Problem dabei: Lydia ist die Gattin eines in einem europaweit für Schlagzeilen sorgenden Sensationsprozess zur Zwangsarbeit in den Kolonien verurteilten Mörders, und Charley hat sie im Sérail kennengelernt, einem als türkisches Bad eingerichteten Bordell, in dem sich die Prostituierten den Freiern in hochhackigen Schuhen, Pluderhosen und mit Ausnahme eines Turbans oben ohne präsentieren. Lydia arbeitet dort als "Fürstin Olga", weil die Männer der Gedanke aufgeilt, mit einer russischen Adeligen zu schlafen. Das also war die Rolle, mit der Deanna Durbin hoffte, vom Image des süßen kleinen Mädchens loszukommen und in das Fach für erwachsene Frauen wechseln zu können.

Prostituierte zwischen Bordell und Nachtclub

Maugham war schließlich doch bereit, der Universal die Filmrechte zu verkaufen. Herman J. Mankiewicz, der gemeinsam mit Orson Welles einen Oscar für das Drehbuch zu Citizen Kane erhalten hatte, verlegte den Schauplatz von Paris nach New Orleans, trug der neuen Lage Rechnung (gedreht wurde im Januar und Februar 1944), indem er den angehenden Immobilienverwalter durch einen US-Soldaten auf Weihnachtsurlaub ersetzte und machte aus dem Sérail einen Nachtclub, in dem die Heldin als Sängerin tätig ist. Im letzten Akt taucht ihr Gatte auf und denkt, dass sie eine Hure ist. Damit liegt er nicht so falsch. Im Hollywood des Production Code tarnten sich die Bordelle als solche Nachtclubs, und es blieb weitgehend dem Zuschauer überlassen, ob er die Fassade akzeptieren oder diese Etablissements als Platzhalter für etwas verstehen wollte, das es nicht geben durfte, weil es die Zensur verboten hatte. Von der Inszenierung, der Ausstattung und den Dialogen hing es ab, in welchem Maße vernebelt oder über die wahre Natur des Nachtclubs aufgeklärt wurde (man vergleiche auch die Saloondamen im Western, bei denen man sich fragt, was die eigentlich da tun). Christmas Holiday ist für einen Film dieser Zeit sehr deutlich.

Christmas Holiday

Robert Siodmak war 1933 von Nazi-Deutschland nach Frankreich emigriert, hatte dort neu angefangen und 1939 wieder seine Zelte abgebrochen, um nach Amerika zu gehen. Nach einigen wenig inspirierten Auftragsarbeiten hatte er 1943 den Film noir gedreht, mit dem die beste Phase seiner Hollywoodkarriere begann: Phantom Lady. Seine einfühlsame Art, die Hauptdarstellerin Ella Raines durch den Film zu führen, hatte Eindruck gemacht, darum bot ihm Jackson die Regie von Christmas Holiday an. Konflikte aber waren vorprogrammiert, weil einige der Beteiligten Angst vor der eigenen Courage hatten. Jackson hätte gern Durbins jungfräuliches Image bewahrt, mit dem die Universal in den vergangenen Jahren viel Geld verdient hatte. Durbin wollte keine Jungfrau mehr sein und neue Rollen verkörpern, dies aber, ohne ihr Erscheinungsbild zu ändern. Sie war ganz dafür, die "Sängerin" eines dekadenten "Nachtclubs" in New Orleans zu spielen, wollte dabei aber möglichst unschuldig und glamourös aussehen.

Probleme wie diese waren Kleinkram und nicht der Rede wert, wenn man bedenkt, dass Christmas Holiday von der freiwilligen Selbstkontrolle der amerikanischen Filmwirtschaft abgesegnet werden musste, der Production Code Administration (PCA), und dass diese vom reaktionären Katholiken Joseph Ignatius Breen geleitet wurde. Der Film handelt von der dualen Natur des Menschen, von den Licht- wie von den Schattenseiten, was sich theoretisch sehr gut mit der christlichen Weltsicht verträgt, aber praktisch wird Weihnachten, das Fest der Liebe, auf eine Weise mit der Karriere eines Soziopathen in Verbindung gebracht, und mit Spielarten der Liebe, von denen man im Stall zu Bethlehem nicht einmal zu träumen gewagt hätte, dass Breen die Zornesröte ins Gesicht geschossen sein müsste, als er von diesem Projekt der Universal erfuhr.

Ein Film wie Christmas Holiday entstand jedoch nicht über Nacht, war das Resultat zäher Verhandlungen zwischen dem Studio und der PCA und wurde nicht in der Form zur Begutachtung eingereicht, wie die Geschichte am Ende auf der Leinwand zu sehen sein würde. Die mutigeren unter den Filmemachern in Hollywood hatten inzwischen auch gelernt, dass ihnen die PCA so manches durchgehen ließ, wenn es am Schluss eine Portion Religionskitsch gab, der sich als christliche Heilsbotschaft deuten ließ. In Christmas Holiday teilen sich die Wolken, damit wir gen Himmel blicken können. Siodmak hatte erkennbar kein Interesse daran zu verbergen, dass das ein billiger Filmtrick ist. Seinen Zweck erfüllte das Schlussbild auch so. Doch wir wollen hier jetzt der Empfehlung des Königs in Alice im Wunderland folgen und mit dem Anfang anfangen, um von da zum Ende zu kommen und dann aufzuhören.

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