Computerprogramm beurteilt bei Strafgefangenen das Rückfallrisiko

Das britische Innenministerium beginnt mit Pilotstudien des Systems, das auch Kriterien für Gerichtsurteile oder vorzeitige Entlassungen auf Bewährung liefern soll

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Eine Vorreiterrolle werden die Kriminellen in Großbritannien spielen. Gestern gab das britische Innenministerium bekannt, wie der Telegraph berichtet, dass man mit Pilotstudien zu einem Offender Assessment System (OASys) plane. Dabei geht es darum, von Straftätern möglichst viele Daten in einer Datenbank zu speichern, aus denen ein Programm dann ableitet, wie hoch die Rückfallgefahr ist. Falls die Pilotstudien "erfolgreich" sind, soll das System 2001 landesweit eingeführt werden.

Für das Projekt sollen erstmals die Gerichte, die Gefängnisse und die Bewährungshelfer eine konsistente Beurteilungsgrundlage für die Wahrscheinlichkeit erhalten, mit der ein Straftäter wieder rückfällig werden könnte. Ganz genau wird es dabei allerdings nicht zugehen. Das vom Computer aufgrund der eingegebenen Daten gefällte Urteil lautet also nicht 45 oder 76 Prozent, sondern ermittelt wird ein geringes, mittleres oder hohes Rückfallrisiko, aber auch, wie gefährlich die möglicherweise von den Betroffenen zukünftig begangenen Straftaten sein werden.

Erfasst werden soll von OASys neben Daten wie dem Wohnort und der Kriminalitätsgeschichte auch Informationen über Ausbildung, Beschäftigung, Lebensstil, Freunde, Sozialverhalten, Alkohol- und Drogenmissbrauch oder emotionale Stabilität. Die Beurteilungen sollen vor der Verurteilung, während der Gefängnisstrafe und nach der Entlassung erfolgen, um Veränderungen im Verhalten der Straftäter fest zu stellen und zu sehen, welche Strafe oder welche Rehabilitationsprogramme für ihn gut seien. Auch die Richter sollen also vor dem Urteil bereits die computerbasierte Einschätzung des Rückfallrisikos erhalten

Sir Graham Smith, der dem Amt für Bewährungshilfe vorsteht, begrüßte das System und bezeichnete es als weltweites Novum, durch das ein umfassendes, konsistentes und effizientes Justizsystem geschaffen werde: "Wir haben uns zu sehr auf den Verstand, den Instinkt und das Gefühl verlassen. In der Vergangenheit war der Verstand wichtig, aber die Menschen haben ihn unterschiedlich eingesetzt." Der Verstand also wird jetzt objektiviert und vereinheitlicht durch ein Programm. Den Verteidigern der Straftäter soll die einsicht in

Natürlich stößt das Projekt des Innenministeriums auch auf Kritik, schließlich besteht die Gefahr, dass durch die automatisch erfolgende Risikoabschätzung eine Vorverurteilung erfolgen könnte. Die Ergebnisse sind überdies abhängig davon, welche Daten wie gewichtet werden. So meint Harry Fletcher, der Sprecher der National Association of Probation Officers, dass dies wie eine "Wettjustiz" sei: "Der einzelne Straftäter wird sich darum kümmern, welches Testergebnis er erhält und welche Informationen er geben will." Wenn beispielsweise der Wohnort eines Straftäters, so Fletcher weiter, für die Beurteilung eines Rolle spielt, dann wird derjenige, der in einer Gegend mit hoher Kriminalität wohnt, wahrscheinlich schlechter beurteilt werden als jemand, der in einer Gegend mit niedriger Kriminalität lebt.

Kritisiert wird vor allem, dass die Computerbeurteilungen dazu führen, dass die Urteile sich nicht mehr nur darauf beziehen, was ein Straftäter wirklich gemacht hat, sondern was er möglicherweise mit großer Wahrscheinlichkeit tun könnte. Davon beeinflusst würde auch, ob er eine Strafe auf Bewährung erhält.

Allerdings könnte das Projekt der britischen Regierung auch an der Europäischen Menschenrechtskonvention scheitern, die das Recht auf einen gerechten Prozess garantiert, der durch eine solche dem Urteil vorhergehende Beurteilung der Gefährlichkeit in Frage gestellt sein könnte.