Corona-Akten des RKI: Institut wehrt sich gegen Vorwürfe, Leitmedien ändern Texte

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Debatte um Corona-Akten des Robert-Koch-Instituts zieht weitere Kreise. Kritik nun auch an Medien. Es geht vor allem um das ZDF und den Spiegel.

Das Robert-Koch-Institut ist Darstellungen entgegengetreten, die umstrittenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie seien auf politische Weisung und nicht nach fachlicher Bewertung angeordnet worden. Diesen Vorwurf hatte das Online-Magazin Multipolar erhoben, das tausende Seiten Akten des RKI freigeklagt hatte.

Der Datensatz hat eine neue Debatte über die Corona-Maßnahmen ausgelöst. Im Bundestag wird gefordert, die Maßnahmen erneut einer parlamentarischen Prüfung zu unterziehen.

Nach der gerichtlichen Niederlage war das RKI zuvor dazu verpflichtet worden, die Sitzungsprotokolle seines Corona-Krisenstabs offenzulegen. Diese Dokumente ermöglichen einen Blick hinter die Kulissen der Behörde und werfen Fragen auf, wie Multipolar berichtet.

Erhöhung der Risikoeinschätzung im Fokus

Im März 2020, kurz vor dem ersten Lockdown, stufte das RKI die Risikoeinschätzung für die Gesundheit der Deutschen demnach von "mäßig" auf "hoch" herauf. In den nun veröffentlichten Dokumenten des RKI heißt es, die neue Risikobewertung sei vorbereitet worden und solle zum genannten Zeitpunkt "hochskaliert" werden.

Die Veröffentlichung der Risikobewertung sollte erfolgen, sobald eine bestimmte, in den Protokollen jedoch geschwärzte Person ein Signal dafür gibt.

Die Identität dieser Person wirft Fragen auf. Könnte es sich um ein Mitglied der Bundesregierung handeln? Legen die Dokumente nahe, dass politischer Druck auf das RKI ausgeübt wurde? Das RKI hält den entscheidenden Akteur geheim.

RKI weist Vorwürfe zurück

Multipolar interpretiert die Schwärzung als Hinweis darauf, dass die Risikobewertung nicht vom RKI selbst, sondern von einer externen Person vorgenommen wurde. Das RKI weist diese Darstellung jedoch zurück. Eine Sprecherin des RKI erklärte inzwischen gegenüber dem ZDF heute, dass es sich bei der geschwärzten Person um eine Person aus dem eigenen Hause handele.

Die Formulierung im Protokoll diente laut RKI der "Koordinierung der Außenkommunikation". Daher könnten an der geschwärzten Stelle nicht die Namen von Politikern stehen, wie der damaligen Kanzlerin Angela Merkel oder des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (beide CDU).

Politische Reaktionen auf die Veröffentlichung

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beteuerte am Montag, das RKI habe unabhängig von politischen Weisungen gearbeitet. "Es gab also keine politische Weisung, auf die das RKI hier reagiert hätte", so Lauterbach.

Die Protokolle des RKI-Krisenstabs waren bisher unter Verschluss und wurden erst durch eine Klage des Online-Magazins "Multipolar" öffentlich. Die meisten Besprechungen wurden vom damaligen RKI-Präsidenten Lothar Wieler und seinem Stellvertreter Lars Schaade, dem heutigen Chef der Behörde, geleitet.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Kubicki fordert Gesundheitsminister Lauterbach auf, sämtliche Protokolle des RKI-Krisenstabs ohne Schwärzungen zu veröffentlichen.

Die BSW-Chefin Sahra Wagenknecht spricht sich für einen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Pandemie aus.

Multipolar hält die Replik des RKI für unglaubwürdig. Wenn das Institut selbst eine neue Risikobewertung vorbereitet habe, müsse es dazu auch Dokumente geben, so die Argumentation. Dies habe die Kanzlei Raue, die das RKI vertritt, jedoch bestrittenen, so das Magazin, das aus einem Schreiben der Anwälte zitiert:

Nach Abschluss dieser Prüfung bleibt es dabei, dass keine weiteren Dokumente vorhanden sind, die sich mit der Änderung der Risikobewertung am 17. März 2020 von "mäßig" auf "hoch" befassen. (…) Informationen, die nicht vorhanden sind, kann die Beklagte nicht herausgeben.

Kanzlei Raue, zitiert nach Multipolar

Im Kern der Debatte steht weiterhin die Frage, auf welcher Basis die Corona-Maßnahmen getroffen worden sind. Das ist vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass Freiheitsrechte über Wochen und Monate hin massiv eingeschränkt worden sind. Zudem beklagen mehrere Bevölkerungsgruppen andauernd negative Folgen durch die damals staatlich verfügten, restriktiven Maßnahmen.

Seltsame Änderungen bei Spiegel und ZDF

Über die Dokumente hatten zuletzt auch das ZDF und das Nachrichtenmagazin Spiegel berichtet. Allerdings stehen nun auch diese Berichte im Zentrum der Kontroverse. Multipolar wirft beiden Redaktionen vor, die jeweiligen Texte nachträglich zu Gunsten des RKI-Narratives verändert zu haben.

Laut Paul Schreyer, einem der Herausgeber von Multipolar, wurden einige Passagen beim ZDF und beim Spiegel nachträglich verändert worden. Dadurch seien die ursprünglichen Aussagen verfälscht worden. Diese Änderungen seien nicht kenntlich gemacht worden. Auch bleibe unklar, wer dafür verantwortlich sei, so Schreyer.

Vorwürfe von Multipolar-Herausgeber nicht nachvollziehbar

Tatsächlich konnte Telepolis die Änderungen verifizieren. Die raunende Frage Schreyers, die impliziert, dass Unbekannte hinter den Änderungen stecken, ist jedoch nicht nachvollziehbar: In beiden Fällen ist der Bericht von der gleichen ZDF-Mitarbeiterin gezeichnet.

Auf die Änderung, das sogenannte Republishing, lässt das neue Publikationsdatum schließen. Allerdings findet sich unter dem neu publizierten Text, der nur in einigen Passagen abgeändert wurde, tatsächlich kein Hinweis auf die Veränderung oder gar eine Erklärung. Verschwunden ist der Satz:

Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Hochstufung erfolgt, bleibt unklar.

Dafür habe "der unbekannte Schreiber einige vorher nicht enthaltene Sätze" ergänzt:

Die Passage in den Protokollen legt allerdings nahe, dass das RKI die Risikobewertung selbst gemacht und nach dieser das Risiko als "hoch" einstuft hat. Einzig die Veröffentlichung der Risikobewertung hing demnach von der Freigabe der nicht namentlich genannten Person ab.

Das ZDF dokumentiert in der Regel solche Änderungen auf einer speziellen Seite. Zur Begründung dort heißt es:

Wir glauben, dass Transparenz das beste Gegenmittel gegen Verschwörungstheorien und Manipulationsvorwürfe ist. Das ZDF hat als öffentlich-rechtlicher Sender eine besondere Verpflichtung gegenüber seinem Publikum.


Redaktioneller Hinweis: Die Aussage, ein "unbekannter Schreiber" habe beim ZDF "einige vorher nicht enthaltene Sätze" ergänzt, stammt von Multipolar und ist nun als Zitat kenntlich gemacht.