Corona-Debatte: Trial and Error - und Stuss

Das Gemälde "Der Quacksalber" von Franz Anton Maulbertsch (* 1724 † 1796) / CC0 1.0

Wenn Wissenschaftler Pandemie-Maßnahmen ablehnen: Der schmale Grat zwischen gesunder Skepsis und Querdenker-PR

Der Kern der wissenschaftlichen Methode ist der methodische Zweifel, der wissenschaftliche Modelle und Theorien immer wieder auf den Prüfstand stellt. Dank ihrer kompromisslosen Neugier und Skepsis wagen es Wissenschaftler, bestehende Auffassungen kritisch zu hinterfragen und so falsches "Wissen" zu korrigieren, denn was Autoritäten für wahr erklären, erweist sich nur allzu oft als unwahr. So wurden in der Geschichte nahezu alle wissenschaftlichen Theorien irgendwann als falsch oder zumindest korrektur- und erweiterungsbedürftig erkannt.

Deshalb muss aber nicht gleich jeder Widerspruch zu einem bestehenden wissenschaftlichen Konsens als glaubwürdig eingestuft werden. Dies trifft vor allem für Themen zu, die sich in einem breiteren gesellschaftlichen Diskussionsfeld befinden. Hier vermischt sich oft eine als wissenschaftlich verkleidete Aussage mit speziellen sozialen Forderungen, individuellem Geltungsbedürfnis oder gar politischen oder ökonomischen Interessenkonflikten. Dies lässt sich gut in der gegenwärtigen Corona-Krise beobachten.

Viele von denen, die glauben, sich mit "corona-skeptischen" Artikeln und Videos an die Öffentlichkeit richten zu müssen und sich dabei auf die erfolgreiche wissenschaftliche Skepsis historischer Vorbilder berufen, könnten falscher nicht liegen. Zunächst war sogar die Annahme weit verbreitet, dass Kinder kaum zur Verbreitung des Coronavirus beitrügen, was unterdessen als komplett falsche erkannt wurde.

Seit der Ausbreitung des neuartigen Virus vor rund 15 Monaten haben die Forscher in einer bewundernswerten Arbeit in Rekordschnelle viele Eigenschaften des Virus ermittelt, unter anderem seine genetische Struktur, seine Infektiösität, seine Wirkungen im menschlichen Körper und damit seine Gefährlichkeit. Es gab vergleichsweise wenig Politik, wenig Anspruch auf unwiderlegbares Wissen, wenig Selbstdarstellung und wenig nach öffentlicher Anerkennung buhlenden Narzissmus.

Vorbilder waren sehr akribisch - und kaum polemisch

Wie im wissenschaftlichen Betrieb üblich lernte man mit der Zeit immer mehr über das Virus. Dabei zeigte sich, dass man mit den frühen Einschätzungen erstaunlich richtig lag. Auch wer die Arbeiten historischer Idole wie Galilei, Darwin oder Einstein anschaut, deren Skepsis und Ideenreichtum zu den wissenschaftlichen Revolutionen der Vergangenheit führten, wird erkennen, wie detailversessen und akribisch diese Forscher gearbeitet und wie wenig sie sich mit scharfen Worten und Polemik ausgedrückt haben.

Zumeist wenden sich Wissenschaftler mit ihren Ideen und Gedanken an so genannte "Peers", also an andere Wissenschaftler und Experten auf ihrem Gebiet, und nicht an eine breite Öffentlichkeit, deren Meinung es oft anders als mit rationalen Mitteln zu beeinflussen galt. "Peer Review" gilt als anerkanntes Verfahren zur Qualitätssicherung bei wissenschaftlichen Publikationen.

Dass dagegen einige wenige Forscher heute mit offenen Briefen und YouTube-Videos ihre Meinung über die Corona-Maßnahmen kundtun, um politische Aufmerksamkeit zu erringen, steht kaum im Zeichen seriöser wissenschaftlicher Arbeit. Hier handelt es sich zumeist eher um öffentliche Aufmerksamkeit und persönliche Bestätigung suchende Aktionen als um ernsthafte wissenschaftliche Kommunikation. Ein Beispiel ist Sucharit Bhakdi, vor seinem Ruhestand im Jahr 2012 ein anerkannter deutscher Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, der im März 2020 über Youtube sowie einen offenen Brief an Angela Merkel teils massive medizinische Fehlinformationen über Covid-19 verbreitete.

Kurz darauf gab Bhakdi ein Interview im Youtube-Kanal des Verschwörungsideologen Ken Jebsen. Zusammen mit seiner Frau, ihrerseits Biochemikerin, publizierte er dann das Buch "Corona Fehlalarm?", das in der Fachwelt aufgrund "tendenziöser Aussagen" auf breite Ablehnung traf. So meinte Bhakdi, man müsse unbedingt zwischen symptomfreien Infizierten und tatsächlichen, erkrankten Patienten unterscheiden. Erstere seien in der Statistik gar nicht zu berücksichtigen, forderte er.

Bhakdi stellte die Gefährlichkeit des Coronavirus grundsätzlich in Frage, behauptete, Szenen wie in Italien oder Spanien seien in Deutschland gar nicht möglich und stritt sogar ab, dass asymptomatische Menschen die Krankheit Covid-19 übertragen könnten. Längst wurde er diesbezüglich von der Realität eingeholt. Seriöse Wissenschaft und Verschwörungsideologie passen nun einmal nicht zusammen.

Ein weiteres Beispiel ist die Aussage des Veterinärvirologen Geert Vanden Bossche, der seit 1995 keine wissenschaftliche Forschungsarbeit mehr veröffentlicht hat, dass wir mitten in einer Pandemie, die nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation bereits mehr als drei Millionen Menschen getötet hat, aufhören sollen, Menschen zu impfen. Bei Impfskeptikern stößt eine solche Forderung natürlich auf fruchtbaren Boden. Vanden Bossche begründet diese Forderung mit der spekulativen Aussage, dass die Impfstoffe virale Varianten selektieren werden, die dem Impfschutz entgehen können und so zu einer höheren Virulenz gelangen.

Diese Aussage stützt sich wesentlich auf die Annahme, dass Covid-19-Impfstoffe keinen signifikanten Einfluss auf die Übertragung des Virus haben. Sie wurde in zahlreichen Studien und unterdessen auch in der empirischen Erfahrung in Ländern mit fortgeschrittenem Impfstatus der breiten Bevölkerung als falsch aufgezeigt.

Richtige Aussagen mit falschen und unbelegten vermischt

Sowohl in Bhakdis als auch in Vanden Bossches Aufrufen stecken auch korrekte Aussagen, was ihren Schlussfolgerungen bei Nicht-Experten eine gewisse Überzeugungskraft verleiht. So ist die Statistik von Corona-Fällen, wie Bhakdi im März 2020 monierte, nicht immer eindeutig definiert, und Impfungen können, wie Vanden Bossche behauptet, tatsächlich einen Selektionsdruck auf Viren erzeugen - vergleichbar mit Bakterien, die gegen Antibiotika resistente Stämme bilden.

Doch andere Annahmen, auf denen dann ihre jeweiligen dramatischen Schlussfolgerungen und Forderungen beruhen, erweisen sich schnell als haarsträubend falsch. Wir müssen sie daher gemäß der Formulierung des Physikers Wolfgang Paul als "nicht nur nicht richtig, sondern nicht einmal falsch" einstufen, denn sie vermischen Fakten mit Spekulation und Desinformation auf suggestive und oft schamlose Weise. In einem Bhakdi-Interview fanden Mitarbeiter des Portals Correctiv im Juni 2020 beispielsweise zwei korrekte, zwei falsche und drei schlicht unbelegte Aussagen.

Der Unterschied zwischen öffentlichen Pamphleten wie die von Bhakdi und Vanden Bossche und seriösen wissenschaftlichen Aussagen ist ähnlich wie der zwischen Politik und Wissenschaft. Politiker orientieren sich an Ideologien und Überzeugungsstrategien. Hier zählt das Selbstvertrauen und die Darstellung, oft auch Polemik und vorgespieltes Wissen. In der Wissenschaft hingegen haben Ideologie und Polemik wenig zu suchen - auch wenn sie selbst hier nicht ganz verschwinden. Glaubwürdigkeit gibt es nur auf der Basis von Konsistenz und Fakten.

Warum Stuss nicht einfach verboten werden kann

Wissenschaftliche Skeptiker fühlen sich mitunter wie Falschfahrer auf der Autobahn: Es kommen ihnen viele Autos entgegen. Nun ist es theoretisch möglich, dass sie die einzigen sind, die auf der richtigen Seite fahren und alle anderen auf der falschen. Die Wissenschaftsgeschichte kennt solche Beispiele: Kopernikus, Kepler und Galilei und ihre heliozentrische Himmelstheorie, Darwin und seine Evolutionstheorie, Boltzmann und seine statistische Deutung der Wärmelehre, Einstein und seine Photonenhypothese beziehungsweise Relativitätstheorie.

Aber dies sind eher Ausnahmen, und es scheint schwer zu akzeptieren, wie jemand, der das Coronavirus als vergleichsweise harmlos und Impfungen als gefährlich darstellt, einen solchen Status für sich beanspruchen kann. Hier darf man davon ausgehen, dass es sich um wissenschaftliche Geisterfahrer handelt. Doch anders als auf unseren Straßen dürfen wir solchen Menschen nicht verbieten, auf der falschen Seite zu fahren.

Es ist falsch, Wissenschaftlern einen Maulkorb zu verpassen, wie dies teils in England getan und in der Schweiz versucht wurde. Vielmehr sollten Wissenschaftler eine stärkere Stimme in der Öffentlichkeit haben. Und hier ist es das Wesen der Wissenschaften, auch solche Gegenpositionen zuzulassen. Früher oder später wird ihre Richtigkeit oder Falschheit dann herauskommen. In den beiden genannten und ähnlichen anderen Fällen geschieht dies eher früher.

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