Corona-Untersuchung: Das Schweigen sollte enden

Seite 3: Der Wissenschaft folgen

"Follow the Science" war der Schlachtruf im Kampf gegen Corona. Das Befolgen der Wissenschaft galt als Zeichen einer verantwortungsvollen Politik und Haltung. Was jedoch dabei gänzlich übersehen wurde, war die Tatsache, dass es die Wissenschaft nur sehr selten gibt. Wie auch die eine richtige Antwort.

Allerdings wurde oftmals genau dieser Eindruck vermittelt, wobei einmal mehr ein Untersuchungsausschuss klären müsste, welche Rolle hierbei Medien, Politik und Wissenschaft genau gespielt haben.

Der Autor und Journalist Cory Doctorow betont eine Erkenntnis, die allzu leicht in Vergessenheit geraten ist:

Wir lehren unseren Kindern schon in der Schule: Ihr müsst an die Wissenschaft glauben! Wir lehren ihnen aber nicht, wieso das so ist. Wissenschaft bedeutet immer, bestehende Hypothesen zu widerlegen, sich zu widersprechen, bis man an den Punkt kommt, an dem man von einer Wahrheit sprechen kann. Man müsste den Menschen eigentlich viel mehr Epistemologie beibringen, ihnen also erklären, wie Wissen entsteht.

Auch der Mathematiker und Statistiker William Byers ist überzeugt:

Die meisten Menschen setzen Wissenschaft mit Gewissheit gleich. Sie sind der Meinung, dass Gewissheit ein Zustand ist, der keine Nachteile mit sich bringt, sodass die wünschenswerteste Situation eine absolute Gewissheit wäre. Wissenschaftliche Ergebnisse und Theorien scheinen eine solche Gewissheit zu versprechen.

Aber: "Die Ungewissheit ist real. Der Traum von absoluter Sicherheit ist eine Illusion."

Kommunikation und Wissenschaftsähnlichkeit

Ein grundlegendes Thema, das ebenfalls dringend einer transparenten Aufklärung bedarf, ist die staatliche Kommunikation. Der Psychologe Michael Bosnjak, der im Jahr 2022 wissenschaftlicher Direktor für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring am RKI war, kritisiert:

Wir leben in einer Demokratie und nicht einer Expertokratie. Dementsprechend ist es die Politik, die die Entscheidungen im Land trifft.

Der große Fehler war, dass die Entscheidungsträger der Bevölkerung verschwiegen haben, dass die Corona-Maßnahmen nicht immer auf robusten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhten.

Statt offen die vorhandene Unsicherheit einzugestehen und auf den verantwortungsbewussten Bürger zu setzen, entschied sich die Regierung auf eine gänzlich andere Form der Kommunikation.

Der Soziologe Heinz Bude, der die Regierung während der Corona-Jahre beraten hat, berichtete in einer Podiumsdiskussion an der Universität Graz, dass man im Expertengremium überlegt habe, wie man aufseiten der Bevölkerung "Folgebereitschaft", erzeugen könnte:

Wir haben gesagt, wir mussten, wir müssen ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist.

Dieses "wissenschaftsähnliche" Modell war die Idee des sogenannten "Flatten the Curve". Dieser Ausdruck stammte von keinem Wissenschaftler, sondern vom Journalisten Thomas Puyeo. Bude gestand offen ein:

Das haben wir geklaut von einem Wissenschaftsjournalisten, haben wir nicht selbst erfunden.

Es wurde also gezielt Wissenschaftlichkeit suggeriert, obwohl den Verantwortlichen bewusst war, dass der vermittelte Inhalt keineswegs wissenschaftlich abgesichert war.

Bereits im Jahr 2022 hatte Bude in einem Artikel für das Fachjournal Soziologie geschrieben, man habe auf die Vorgehensweise zur Pandemieeindämmung in China geschaut und sich gefragt, "ob solche Maßnahmen in Deutschland durchführbar und vor allem legitimierbar seien".

Es sei offensichtlich gewesen, dass "eine Politik des Zugriffs auf das Verhalten der Einzelnen starker Rechtfertigung bedarf".

Es ging also darum, "Zwänge zu verordnen und Zustimmung zu gewinnen und dabei die Deutungshoheit in der Hand zu behalten".

Der Welt-Journalist Jörg Phil Friedrich ist befremdet:

Wenn man in einem freiheitlich-demokratischen Land Zwangsmaßnahmen wie Ausgangssperren, Schulschließungen und Kontaktreduzierungen implementieren will, wie sie dort eigentlich nicht legitim sind, dann muss man sich ein paar Bilder ausdenken, die das Vertrauen der Leute in die Wissenschaft und in wissenschaftliche Modelle ausnutzen, sodass die Leute selbst aus einer Art Einsicht in die wissenschaftlich begründete Notwendigkeit nach Maßnahmen rufen, die gemäß dem Geist unserer Verfassung eigentlich nicht legitim sind.